Dem Publikum Bücher aufdrängen, die es will, ohne von diesem Wollen bisher etwas gewusst zu haben – das macht Klett-Cotta gerade sehr gut.
Der zornige mittelalte Mann des Literaturbetriebs geht die Dinge wieder gelassen an. «Unverschämtheit!», schimpfte Clemens Meyer noch vor zwei Wochen, als er den Deutschen Buchpreis nicht bekam. Im Literaturhaus Zürich, wo Meyer am Sonntag aus seinem Roman «Die Projektoren» las, klang dann alles ein bisschen anders, fast schon beschwingt.
Geradezu satirisch rollte der Schriftsteller den Fall auf der Bühne noch einmal auf und versuchte den Debatten den Todesstoss zu versetzen: «Ich bin Schriftsteller geworden, weil ich mich nicht an der Leistungsgesellschaft beteilige.» Kürzlich wurde das vom Autor in einem «Spiegel»-Interview noch so formuliert: Der buchpreisgekrönte Roman «Hey guten Morgen, wie geht es dir?» von Martina Hefter sei «jetzt auf Platz eins der Liste der meistverkauften Bücher bei Amazon. Mein Roman ist irgendwo bei Platz 500», klagte Clemens Meyer. Gegenwärtig stehen «Die Projektoren» auf Platz 1701, Hefter findet sich auf Platz 60. Auf der «Spiegel»-Bestsellerliste ist «Hey guten Morgen, wie geht es dir?» auf Platz 4 eingestiegen. Ist das wichtig, und was sagen solche Zahlen über die Qualität von Büchern aus?
Beginn mit dem DDR-Roman
Einerseits ist das ökonomisch ohne Zweifel wichtig, andererseits sind weder Amazon noch die Bestsellerlisten literaturkritische Vergleichsportale. Hier sieht man, was die Leute gerade lesen wollen. Was die Leute lesen wollen, scheint gerade ein deutscher Verlag ganz genau zu wissen, der in Sachen Literatur fast schon in der Versenkung verschwunden war: Klett-Cotta. Viele Jahre war die Shortlist des Deutschen Buchpreises unter den Marktkönigen Suhrkamp, Hanser, Rowohlt und S. Fischer aufgeteilt. Matthes & Seitz mischte auch kräftig mit. Es gab Nominierungen für Kleinverlage, aber Klett-Cotta? Lange Zeit nirgends.
Im letzten Jahr scheint begonnen zu haben, was man einen Erfolgslauf nennen könnte. Mit ihrem DDR-Roman «Die Möglichkeit von Glück» war die Klett-Cotta-Autorin Anne Raabe damals in der engeren Auswahl zum Buchpreis. In diesem Jahr kamen mit Iris Wolff und der späteren Siegerin Martina Hefter gleich zwei Schriftstellerinnen des Verlags zu dieser Ehre.
Iris Wolff muss sich über die Niederlage nicht beklagen. Ihr heuer erschienener Roman «Lichtungen» verkauft sich wie wild und ist bereits in der 10. Auflage. Wolff hat 2024 den Uwe-Johnson-Preis und den Spycher-Literaturpreis Leuk bekommen. Martina Hefters Werk (ebenfalls in der 10. Auflage) hat sich seit Erscheinen schon drei grosse Auszeichnungen geholt. Und dann ist da noch etwas: Der «aspekte»-Literaturpreis für Debüts, bisher ein verlässlicher Kompass, was junge Autoren betrifft, ging in diesem Jahr an Julja Linhof für den Roman «Krummes Holz». Und der ist wo erschienen? Bei Klett-Cotta.
Ende der «Selbstverzwergung»
Bevor es jüngst bei Suhrkamp einen Eigentümerwechsel gab, wurde gemunkelt, der Verlag stecke in Finanznöten. Gleichzeitig wurde es zu einer Art öffentlichem Spiel, dem Berliner Haus auszurichten, wie es sein Programm ändern müsse. Auf Bücher zu setzen, die man gerade erst aus dem künstlerischen Aufwachraum zieht, auf Autoren, die noch kaum jemand kennt, ist ein Roulettespiel. In diesem scheint Klett-Cotta gerade gegen die Bank zu gewinnen.
Lange Zeit hat das Stuttgarter Unternehmen nicht viel mehr getan, als das literarische Erbe von J. R. R. Tolkien zu verwalten, aber die Zeit der «Selbstverzwergung» ist offenbar vorbei. So hat der Klett-Cotta-Verleger und -Miteigentümer Tom Kraushaar das masochistische Ritual der Buchbranche genannt, alles schlechtzureden. «Dem Publikum neue Werte aufzudrängen, die es nicht will, ist die wichtigste und schönste Mission des Verlegers», hat der grosse Samuel Fischer in den heroischen Zeiten des Büchermachens einmal gesagt. In weniger heroischen Zeiten geht es vielleicht darum, dem Publikum Bücher aufzudrängen, die es will, ohne von diesem Wollen bisher etwas gewusst zu haben. Das macht Klett-Cotta gerade sehr gut.