Donnerstag, März 6

Donald Trump blockiert Waffenlieferungen und den Austausch von nachrichtendienstlichen Informationen, um Selenski zu einem Waffenstillstand zu zwingen. Hält er daran fest, wird Kiew bald schon vor fast unüberwindbaren Problemen stehen.

Nach Donald Trumps Entscheid, die Militärhilfe für die Ukraine auf Eis zu legen, stecken laut Medienberichten Waffen und Munition im Wert von einer Milliarde Dollar fest. Der amerikanische Präsident hat statt Wladimir Putin den Ukrainer Wolodimir Selenski als Haupthindernis für einen Frieden identifiziert. Dieser müsse einem Waffenstillstand zustimmen, sagt Trump. Er lässt Selenski nach dem Eklat im Weissen Haus seine Abhängigkeit spüren. «Er glaubt, er sei ein grosses Tier, weil er die USA an seiner Seite hat», sagte der amerikanische Präsident. «Aber ohne uns gewinnt er nicht.»

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Aus Polen, dem wichtigsten Transitland für Militärgüter, hiess es am Dienstag, die Weiterleitung ruhe momentan. Laut der Agentur Bloomberg sind darüber hinaus Waffen und Technik betroffen, die in den USA zur Verschiffung bereitstehen oder schon unterwegs sind. Jenes Material, das in der Ukraine ist, bleibt im Einsatz. Darüber, ob Bereiche wie Ausbildung und die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit ebenfalls unter Trumps Ukas fielen, gab es keine volle Klarheit.

Am Dienstag schrieb die «Financial Times», die Amerikaner teilten mit den Ukrainern keine Informationen mehr, die sie etwa über Satelliten oder Aufklärer gesammelt hätten. Ukrainische Quellen erklärten allerdings gegenüber «Sky News», dies betreffe nur russisches Territorium und nicht besetztes ukrainisches Gebiet.

Grösste Gefahr seit Russlands Invasion

Die Ukraine sieht sich mit der bedrohlichsten Situation seit Beginn der russischen Invasion konfrontiert. Zwar droht kein sofortiger Kollaps: Die Bestände etwa an Artilleriemunition sind gegenwärtig höher als vor einem Jahr. Damals stellte Washington schon einmal die Lieferungen ein. Im Gegensatz zur Blockade von 2024, die auf Trumps Opposition gegen Präsident Bidens Pläne zurückging, kommt die jetzige Situation für Kiew nicht überraschend. Dennoch gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die Verteidiger spätestens im Herbst grosse militärische Probleme haben werden.

Der Blick auf die Zahlen ist gleichzeitig erhellend und irreführend. Laut Angaben des «Wall Street Journal» finanziert oder produziert die Ukraine gegenwärtig 55 Prozent ihrer Militärgüter. 20 Prozent kommen aus den USA, ein Viertel aus Europa. Selenski sprach jüngst von knapp einem Drittel der Waffen aus Beständen der Amerikaner. Dies muss kein Widerspruch sein, denn auch jene Ausrüstung, die Kiew formal selbst kauft, stammt oft aus den USA.

Die Erklärung dafür ist die Art und Weise, wie Washington die Ukrainer bisher unterstützt hat: So machen Lieferungen aus Beständen der amerikanischen Armee den Grossteil der umgerechnet 60 Milliarden Franken an geleisteter Militärhilfe aus. Weitere knapp 4 Milliarden wurden unter Präsident Biden politisch noch beschlossen. Doch sie bleiben ohne eine aktive Entscheidung Trumps blockiert.

Ein Teil der Militärhilfe besteht aus Krediten oder Zuschüssen, mit denen Kiew direkt Waffen bei amerikanischen Rüstungsproduzenten erwirbt. Dies bestimmt mit, wie viel Material die Regierung Trump blockieren kann: Die von Kiew bestellten Waffen gehören rechtlich den Ukrainern. Laut der Denkfabrik CSIS könnte Washington deren Auslieferung nur mit Notrecht verhindern. Gleichzeitig dauert es Monate bis Jahre von der Unterzeichnung der Verträge bis zur Ankunft der Waffen in der Ukraine. Um welche Mengen es geht, ist unklar.

Die USA sind als einziger Akteur in der Lage, hochspezialisierte Systeme in nennenswerter Zahl zu liefern. Der ukrainische Militärexperte Serhi Hrabski betont die Bedeutung der Luftverteidigung, von modernen Raketen und Artilleriegeschossen. So tragen amerikanische Systeme massgeblich zum Schutz der wichtigsten Städte bei, während Atacms-Raketen Angriffe hinter den russischen Linien ermöglichen. Der Oberst im Ruhestand sagt zwar, dass sich die Ukraine gegen die Drohnenschwärme verteidigen könne, die Russland Nacht für Nacht losschickt. Gegen ballistische Raketen und Marschflugkörper wirkten aber fast nur moderne westliche Systeme wie die amerikanischen Patriots.

Europa und die Ukraine holen auf

Weniger offensichtlich, aber umso dramatischer ist die Abhängigkeit von Kommunikations- und Navigationssystemen. Heute versorgen amerikanische Satelliten und Überwachungsflugzeuge die ukrainischen Verteidiger mit einem Lagebild in Echtzeit, das weit ins feindliche Hinterland reicht. Die Starlink-Terminals von Elon Musks Firma SpaceX vernetzen nicht nur die Kämpfer an der Front, sondern auch zivile Institutionen im ganzen Land.

Dazu kommt, dass die Menge der gelieferten Waffen riesig ist. Darunter befanden sich seit 2022 laut dem amerikanischen Aussenministerium 500 Millionen Patronen und Granaten, fast 5 Millionen Schuss Artilleriemunition, über 3000 Schützenpanzer und 5000 Geländefahrzeuge. Die europäischen Staaten haben zwar aufgeholt und leisteten mit umgerechnet knapp 60 Milliarden Franken inzwischen fast so viel Militärhilfe wie die USA. Doch ihren Produzenten fehlt die Breite der amerikanischen Rüstungsindustrie.

Trumps Erpressungstaktik und die Unsicherheit, ob Europa in die Bresche springen kann und will, zwingen die Ukrainer zur Stärkung der eigenen Ressourcen. Bei der Erhöhung der Rüstungsproduktion hat Kiew durchaus Fortschritte gemacht. Sie zeigen sich nicht nur bei der Drohnenproduktion, wo das Land weltweit führend ist. Die Regierung hat laut eigenen Angaben die Produktion von Artilleriesystemen verdreifacht und jene von gepanzerten Fahrzeugen verfünffacht. Es bleibt aber unklar, wie verlässlich diese Zahlen sind.

Gleichzeitig steht Kiew zu den Schwächen der eigenen Rüstungsindustrie, die eine aufmerksame Öffentlichkeit sehr kritisch betrachtet. So räumt die Regierung ein, sie werde bis Ende Jahr im besten Falle die Hälfte ihrer militärischen Bedürfnisse aus eigenen Mitteln abdecken können. Das reicht aus, um Russland weiterhin in einen Abnützungskrieg zu verwickeln. Doch ohne amerikanische Hilfe wird dieser für die Ukrainer noch viel blutiger.

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