Mittwoch, März 12

Die Wahl von Martin Pfister als Bundesrat verlief maximal berechenbar. In der wilden Welt von heute ist das erfreulich. Doch jetzt müssen alle über die Bücher, Bundesräte und Parteispitzen. Das Schweizer Regierungssystem ist fragiler, als es scheint.

Martin Pfister also. Bereits im zweiten Wahlgang hat der Zuger die Wahl als Bundesrat geschafft. Das gut eingespielte Machtkartell der vier Bundesratsparteien hat gehalten, einmal mehr. Man richtet sich stur nach den offiziellen Kandidaturen der anderen Parteien, um beim nächsten Mal die eigenen Favoriten durchzubringen. So weit, so langweilig. Doch in einer Welt, die zunehmend unberechenbar zu werden droht, ist Stabilität ein Wert für sich.

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Dass das Parlament Martin Pfister den Vorzug vor dem Bauernführer Markus Ritter gegeben hat, passt ins Bild. Man wählt den Kandidaten, der – vermeintlich – weniger Ecken und Kanten hat. Tatsächlich dürfte sich das Gefüge innerhalb des Bundesrats mit Pfister weniger stark verändern, als dies mit einem «Machtgüggel» vom Format eines Markus Ritter der Fall gewesen wäre.

Ob es für Ritters Ego, für sein raumgreifendes Selbstbewusstsein, das er nicht einmal in den Wochen seiner Kandidatur zähmen wollte oder konnte, im Bundesratszimmer genug Platz gegeben hätte: Daran zweifelten etliche Parlamentarier. Viele trauten Pfister eher zu, dass er sich innerhalb des Kollegiums einzufügen weiss, zumal er in seinem Kanton seit acht Jahren als Regierungsrat am Werk ist.

Kontraproduktiver Beistand der SVP

Pfister hat einen starken Wahlkampf betrieben, laut Parlamentariern mehrerer Parteien hat er sich in Gesprächen und in den Anhörungen gut präsentiert. Und doch verdankt er den Sieg in hohem Masse seinem Kontrahenten: Mit Ritter trat der wohl aggressivste und erfolgreichste Lobbyist unter der Bundeshauskuppel zur Wahl an. Das hat seine Chancen von Anfang an geschmälert – dass die SVP und ihre Alliierten offensiv für Ritter die Werbetrommel rührten, hat wohl auch nicht geholfen.

Die Rennleitung der Mitte, allen voran der abtretende Präsident Gerhard Pfister, wird froh sein. Sie arbeitet daran, die Partei neu zu positionieren: moderner, urbaner, sozialer. Mit einem in der Wolle gefärbten Edelweiss-Konservativen wie Ritter, dem Bauer der Nation, wäre ihr dies schwerer gefallen als mit Martin Pfister. Sachpolitisch relevant ist der Unterschied mutmasslich vor allem im Hinblick auf die Debatte über die neuen bilateralen Abkommen mit der EU. Mit Ritter wäre das Lager der Skeptiker im Bundesrat weiter gewachsen.

Aber auch mit Martin Pfister wird es im Vergleich zu seiner Vorgängerin Veränderungen geben. Die sind auch dringend nötig, vor allem in Bezug auf die Armeefinanzierung. Nachdem sich Viola Amherd im Kollegium zunehmend isoliert hat, wird es Pfisters erste Aufgabe sein, die Zusammenarbeit mit den anderen Bundesräten zu reparieren – allen voran mit der Finanzministerin Karin Keller-Sutter.

Klägliche Kandidatenkür der Mitte

Und, so seltsam das klingen mag: Letztlich ist die Wahl von Pfister auf ihre Art eben doch spektakulär. Dass ein national unbekannter Regierungsrat, der im Bundeshaus praktisch nicht vernetzt ist, aus dem Stand heraus Bundesrat wird, ist mehr als ungewöhnlich. Als Viola Amherd ihren Rücktritt angekündigt hatte, dachte wohl niemand an Martin Pfister.

Jede Bundesratswahl hat ihre eigene Geschichte. Diese hier war nicht spannend, aber äusserst seltsam. Einen kurzen Moment lang hat die Mitte-Partei, hat die gesamte Polit-Schweiz in einen ungeahnten Abgrund geschaut: was, wenn keiner will? Oder: was, wenn nur einer will, den aber das Parlament nicht will?

Beinahe wäre die Kandidatensuche der Mitte zum Fiasko geraten. Dabei galt ihre Bundeshausfraktion bis anhin als ausgesprochen machtaffin, an (vermeintlichen) Kronfavoriten herrschte kein Mangel. Aber dann sagte einer nach dem anderen ab. Nur mit Mühe hat die Mitte das Minimalziel erreicht: zwei Kandidaturen, untypische zwar, aber valable.

Die Rekrutierung fähiger, integrer Bundesratsmitglieder zählt zu den wichtigsten Aufgaben einer Regierungspartei. Die Mitte hat sie offenkundig vernachlässigt. Es wäre ein Leichtes, sich über die Partei lustig zu machen, die lauthals einen zweiten Bundesratssitz fordert, es dann aber nur mit viel gutem Zureden auf den letzten Drücker schafft, für den einen Sitz immerhin zwei Kandidaturen zusammenzukratzen. Natürlich ist das peinlich.

Vor allem aber ist es beunruhigend. Wie kann das sein? Da hat die Mitte so viele erfahrene Ständeräte, so viele Frauen und Männer in den Kantonsregierungen (mehr als jede andere Partei) – und doch wollten einzig Ritter und Pfister Bundesrat werden? Das hat nicht nur damit zu tun, dass parteiintern einiges schiefgelaufen ist, sondern – und das wiegt schwerer – auch mit dem Amt an sich.

Es liegt nicht nur am VBS

Manche trösten sich damit, dass es nur am Departement liege: Die Mitte-Papabili hätten einfach keine Lust gehabt, das Verteidigungsdepartement (VBS) zu übernehmen. Offensichtlich hat die Schweizer Armee gegenüber potenziellen Bundesräten grösseres Abschreckungspotenzial als gegenüber äusseren Feinden. Das erklärt aber nicht alles. Dass neue Bundesräte oft im VBS anfangen müssen, ist nichts Neues. Zudem ist das Departement heute definitiv kein Abstellgleis mehr: je düsterer die Weltlage, desto wichtiger das VBS. Wer etwas bewegen will und Prestige sucht, ist hier richtig. Das kann nicht der einzige Grund für die Zurückhaltung sein.

«Soll ich mir das wirklich antun?» Diese Frage werden sich potenzielle Bundesräte gestellt haben. Man kann es ihnen nicht verargen. Das Amt als Bundesrat ist härter und schwieriger geworden. Auch wenn früher nicht alles besser war, sollte man trotzdem nicht die Augen vor der Realität verschliessen.

Das Schweizer Regierungssystem mit seiner faktischen Allparteienregierung ist fragiler, als es scheint. Schon die Idee an sich ist kühn: Man nehme sieben Personen aus sämtlichen grossen Parteien – von ganz rechts bis ganz links –, sperre sie in eine Kollegialbehörde ohne Chef, zwinge sie, sich zusammenzuraufen, verbiete ihnen, ihre eigene Meinung kundzutun. Wer das vorschlägt, würde in anderen Ländern für naiv oder verrückt erklärt. Dass es hierzulande schon so lange erfolgreich funktioniert, ist faszinierend – aber nicht selbstverständlich.

Der Bundesrat ist nur so solid wie das Fundament, auf dem er steht. Und hier liegt eines der Probleme. Dass die Bundesratsparteien einander hart bekämpfen, ist normal. Dass sie aber auch Bundesräte anderer Parteien zunehmend heftig bis unanständig angreifen – daran hat man sich leider gewöhnt. Dass sie das Publikum irreführen oder sogar belügen, scheint ebenfalls akzeptiert zu sein.

Sieben Bundesräte machen keinen Staat

Die Polparteien gebärden sich schon länger als die Opposition, die sie als Bundesratspartei nicht sind. Aggressivität und Personalisierung nehmen zu, die Hemmungen fallen. Zwei Fälle aus den letzten Wochen: Nachdem ein Asylsuchender einen Rentner spitalreif geschlagen hatte, bezeichnete die SVP den Justizminister Beat Jans als «Mittäter». Als die Rechnung des Bundes aus banalen Gründen besser abschloss als budgetiert, erweckte die SP wider besseres Wissen den Eindruck, die Finanzministerin Karin Keller-Sutter kalkuliere aus schierer Bösartigkeit pessimistisch, um den Leuten das Geld wegzunehmen.

Die Absicht ist so klar wie schädlich: Es geht nicht mehr um die Sache, sondern um die Person, darum, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Ungemütlich wird es, wenn auch die Parteien im Zentrum, die FDP und die Mitte, zu solchen Mitteln greifen. Erste Tendenzen sind sichtbar. Die Freisinnigen fahren zurzeit eine harte Kampagne zum Thema Kapitalbezug im Alter, und die Mitte führt einen moralisch aufgeladenen Kampf für höhere AHV-Ehepaarrenten.

Hier wie dort zeigt sich, dass auch Mitte und FDP keine Lust mehr haben, den Part der staatstragenden Langweiler zu spielen – und weiter Wähleranteile zu verlieren. Aus Parteilogik ist das verständlich. Für das Kollegialsystem jedoch und für die Konkordanz, die es offiziell immer noch gibt, ist es gefährlich.

Gefragt sind aber auch die Mitglieder des Bundesrats selbst. Sie müssen sich wieder öfter und klarer getrauen, die Möglichkeiten, die ihnen das Amt gibt, tatsächlich zu nutzen. Wenn sie von einem Plan überzeugt sind, sollen sie ihn auch gegen Widerstände vertreten, mit aller Kraft und Autorität ihres Mandats. Das gilt beispielsweise für das EU-Dossier ebenso wie für das Militärbudget. Im Gegensatz zu den Parteien müssen Bundesräte keine Volkswahlen absolvieren. Das gibt ihnen grosse Freiheit. Sie müssten mehr daraus machen. Sonst werden sie ihrer Verantwortung nicht gerecht.

Mehr Mut und Klarheit: Das wünscht man sich von den Bundesräten. Mehr Gemeinsinn und Redlichkeit: Das ist der Beitrag der Parteien. Fake News und Fundamentalkritik zersetzen das Vertrauen und damit die Grundlage des ganzen Systems. Man hat zu Recht hohe Erwartungen an die Mitglieder des Bundesrats. Wer aber meint, sieben Frauen und Männer könnten allein die Schweizer Konkordanz zusammenhalten, mutet ihnen zu viel zu.

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