Sonntag, September 29

Nach jahrelanger Flaute steigt der Goldpreis seit dem März kräftig. Der Ausbruch könnte erst der Beginn eines langen Bullenmarkts sein. Minenaktien bieten noch grössere Chancen, wenn ein Belastungsfaktor unter Kontrolle bleibt.

Der 84-jährige Value-Investor Jean-Marie Eveillard hat in seiner Karriere eines gelernt: «Gold ist immer eine gute Versicherung gegen extreme Entwicklungen». Der Franzose hat als Fondsmanager bei First Eagle in New York seit seinem Start dort 1999 das Kapital der Kunden ähnlich erfolgreich gemehrt wie der deutlich bekanntere Vertreter dieser Anlegerschule namens Warren Buffett, der Gold kritisch sieht. Nicht so Eveillard, der inzwischen als Berater bei First Eagle arbeitet, und seine Nachfolger im Fondsmanagement. 11% des Kapitals ihres Mischfonds First Eagle Amundi International waren zuletzt in Gold investiert, ausserdem fast 4% in Aktien von Goldminenbetreibern.

«Gold ist für uns Ballast, den wir immer an Bord haben, weil wir nicht wissen, wann der nächste Sturm kommt», sagt Max Belmont. Der am Bodensee aufgewachsene Deutsche ist Goldmarktanalyst und Portfoliomanager bei First Eagle. Stabilisierender Ballast scheint ihm derzeit offenbar besonders notwendig: Der Gold- und Goldminenanteil im International-Fonds liegt derzeit ganz am oberen Ende der dafür ausserhalb von Krisenzeiten vorgesehenen Bandbreite von 5 bis 15%.

Zum Golde drängt fast alles

Risiken sieht der First-Eagle-Fondsmanager derzeit genug: allen voran die hohe Verschuldung vieler Staaten und die Gewalt in der Ukraine und im Nahen Osten. Aber auch die Abkehr vom Dollar vieler Notenbanken, insbesondere in Asien, treibe den Preis des Edelmetalls in die Höhe. «Die Notenbanken in Asien kaufen seit den westlichen Sanktionen gegen Russland Gold, das hat etwas verändert am Goldmarkt», sagt Belmont.

Chinesische Privatanleger hätten den Preis ebenfalls emporgehievt, aus Mangel an Alternativen: Der Aktienmarkt dort darbt seit langem, ausländische Börsen sind den Chinesen wegen der Kapitalkontrollen verschlossen. Dazu kommt die Krise am Immobilienmarkt, zuvor der grösste Magnet für heimische Sparer.

Dank der Nachfrage von Notenbanken und chinesischen Anlegern sprang der Goldpreis seit Herbst von 1800 $ auf ein Rekordhoch von mehr als 2500 $ je Feinunze. Obwohl die Realzinsen stiegen, was üblicherweise den Goldpreis belastet. Gold verkauft haben denn auch westliche Anleger, die am Anleihemarkt wieder eine attraktive Alternative vorfanden. Wofür Belmont vor allem das alles andere überragende Interesse an Wachstumsaktien als Ursache sieht: «So lange die westlichen Aktienmärkte stark sind, ist die Nachfrage nach Gold von westlichen Anlegern gering.»

Im Umkehrschluss heisst das aber auch: Eine bedeutende Käufergruppe für Gold ist noch gar nicht stark in den Bullenmarkt eingestiegen. Sie ist sogar eine der grössten, zeigen die Goldbestände bei börsengehandelten Goldfonds (Exchange Traded Funds, ETF), die der Branchenverband World Gold Council erfasst. Es dominieren US-Fonds mit mehr als 1600 Tonnen Gold und europäische Fonds (mehr als 1300 Tonnen) im Vergleich zu Fonds aus Asien (240 Tonnen). In Asien sind eher andere Formen von Goldinvestitionen verbreitet, zum Beispiel der Kauf von Münzen oder neuerdings auch von Goldbohnen.

Nun gibt es Anzeichen dafür, dass westliche Anleger zaghaft beginnen, in den Bullenmarkt für Gold einzusteigen: Seit Juni überwiegen bei europäischen Gold-ETF die Zuflüsse, seit Juli wachsen auch die Bestände bei den US-ETF.

Wie die Chancen für einen weiteren Goldpreisanstieg stehen

Kenner des Edelmetallmarkts sehen gute Chancen für einen weiteren Anstieg des Goldpreises. Schon weil die Diversifizierung der Reserven durch viele Notenbanken aus geopolitischen Gründen weitergehen dürfte, sodass ein Teil dieser Reserven aus US-Staatsanleihen abfliesst und in Goldreserven umgeschichtet wird, besonders seit dem Einfrieren der staatlichen russischen Auslandvermögen. «Wir sehen die Auswirkungen der Dedollarisierung auf den Goldmarkt», sagt First-Eagle-Fondsmanager Belmont.

Erich Meier, Fondsmanager und CEO beim Schweizer Vermögensverwalter Konwave, spricht sogar von einem «Gamechanger»: «Dank der Käufe der Notenbanken ist der Goldmarkt in einem strukturellen Angebotsdefizit.»

Zinssenkungen der Notenbanken in den USA und Europa könnten westliche Anleger bald zu Goldkäufen in grösserem Umfang animieren. Denn die westlichen Investoren haben aus Erfahrung gelernt, das sinkende Zinsen meist die Edelmetallpreise beflügeln. «Gold hat sich nach der ersten Zinssenkung eines Zyklus’ durchweg positiv entwickelt in der Vergangenheit», sagt Ronald Stöferle, Gründer des Vermögensverwalters Incrementum. Der beschleunigte Goldpreisanstieg seit März könnte sich also fortsetzen und bei manchem Anleger die Angst wecken, einen Boom zu verpassen.

Konwave-Fondsmanager Meier ist aufgrund seiner Kenntnisse über früherer Aufwärtsphasen überzeugt: «Durch den Kursausbruch vom Mai hat ein mehrjähriger Bullenmarkt bei Gold begonnen.» Auch aus Sicht von Stöferle hat die Aufwärtsbewegung noch viel Luft nach oben: Er kalkuliert anhand seiner Finanzmodelle bis 2030 ein Preishoch bei mehr als 4800 $ pro Feinunze.

Bislang sind im Westen erst Hedge Funds und andere kurzfristig orientierte Investoren in hohem Ausmass in Gold engagiert, wie Daten vom Terminmarkt zeigen. Die Spekulanten setzten derzeit so stark auf einen steigenden Goldpreis wie zuletzt im Goldboomjahr 2011 oder während der Coronapandemie 2020, sagt Stöferle. Kurzfristig könne es nach dem steilen Preisanstieg von 1800 auf mehr als 2500 $ seit dem Herbst 2023 durchaus einen Rücksetzer geben, was gesund wäre für den Markt, urteilt er. Vermögensverwalter Jens Ehrhardt hatte kürzlich ebenfalls vom ausserordentlich grossen Optimismus für Gold gewarnt, den manche Stimmungsindikatoren anzeigen.

Extrem niedrige Erwartungen an Goldminenaktien

Abgesehen von den kurzfristig orientierten Hedge Funds und Trendfolgefonds am Terminmarkt seien die meisten Investoren immer noch skeptisch eingestellt zum Thema Gold, sagt Fondsmanager Meier. Das beobachtet auch Stefan Rehder, Gründer des Vermögensverwalters Value Intelligence Advisors in München. Ein grosser Teil der Anleger glaube immer noch, keine Alternative zu den beliebten Qualitätsaktien zu brauchen, sagt er: «Das ist eine gute Zeit, um unpopuläre, aber zeitgemässe Assets zu kaufen.» Rund 10% des Kapitals seiner Fonds hat er in Gold investiert und weitere 10% in Goldminenaktien.

Aufgrund des Anlegeransturms sei bei gefragten Aktien wie L’Oréal oder Microsoft das Verhältnis des freien Cashflows im Vergleich zum Börsenwert, die Free-Cashflow-Rendite, auf rund 2 bis 3% gesunken. Der Einstieg rechne sich nur, wenn die Unternehmen weiter mit zweistelligen Prozentraten wachsen würden und zudem die Zinsen dauerhaft niedrig wären, sagt Rehder: «Solche Qualitätsaktien müssen extrem hohe Erwartungen erfüllen, die Erwartungen an Goldminenaktien sind dagegen extrem niedrig.»

Auch der grösste Goldförderer der Welt, Newmont Mining, habe an der Börse lediglich einen Marktwert, der dem Nettoinventarwert (Net Asset Value) seiner Goldreserven entspreche. Im Goldboom nach der Finanzkrise seien Goldminenaktien dagegen zeitweise mit dem fast Zweifachen des Nettoinventarwerts gehandelt worden. Der Deutsche setzt auf eine Wiederentdeckung des an der Börse relativ kleinen Sektors.

Rehder sieht einen weiteren Faktor, weshalb der Aktienkurs der Minenbetreiber steigen dürften: Die Nettoinventarwerte der Goldreserven würden von Bankanalysten übertrieben vorsichtig berechnet. Denn die Analysten nutzen dafür eine Schätzung des langfristigen Goldpreises, die weit unter dem derzeitigen Goldpreis von mehr als 2500 $ liegt. Tatsächlich kalkulierte JP Morgan bei der Neuaufnahme von Newmont in das Research mit 1800 $ pro Feinunze – und kam dennoch zu einer Kaufempfehlung.

Bewertung von Goldaktien oft nah am Wert der Reserven

Scotiabank rechnet bei der Berechnung des Nettoinventarwerts von Goldreserven mit 1900 $. Allein dadurch würden die Analysten den Wert der Reserven um mehr als 20% unterschätzen, falls der Marktpreis für Gold langfristig das derzeitige Niveau halten sollte.

Joachim Berlenbach, der Gründer von Earth Resource Investments, sieht bei vielen grossen Goldminenaktien Abschläge von 30% auf den Nettoinventarwert. Auf ähnliche Preisrabatte kommt die Scotiabank für die grossen Goldminen, wenn sie doch einmal den derzeitigen Marktpreis des Goldes heranzieht.

Beim aktuellen Goldpreis verdienen die Minenbetreiber sehr gut. Die durchschnittlichen Gesamtkosten der zehn grössten Goldminenwerte liegen nur bei knapp 1800 $ pro Feinunze, hat der Geologe Berlenbach errechnet, der zehn Jahre lang in Südafrika im Gold- und Platinbergbau tätig war.

Es wäre jedoch leichtsinnig zu glauben, dass der Goldpreis nur das derzeitige Niveau halten müsse, um eine Kursrally der Minenaktien auszulösen. Die Kosten in der Branche steigen im langfristigen Durchschnitt mehr als 5% jährlich. «Wenn wir in den kommenden Jahren bei 5% Kostenanstieg pro Jahr bleiben, sieht es für die Branche gut aus», sagt Berlenbach. «Dann brauchen wir noch einen steigenden Goldpreis, sonst frisst die Kosteninflation die Free-Cashflow-Marge auf, was viele Anleger abschrecken würde.»

Schwindender Erzgehalt im Gestein treibt die Kosten hoch

Bedeutendster Kostentreiber sind für Berlenbach nicht die Löhne oder die Energiepreise, sondern der stark abnehmende Goldgehalt im geförderten Erz. Die südafrikanische Mine, für die der Deutsche in den frühen Neunzigerjahren arbeitete, holte damals 15 Gramm Gold pro Tonne Fördermaterial aus der Erde. Heute produziert dieselbe Mine mit 8 Gramm Gold pro Tonne. Seine Nachfolger müssen also zweimal so viel Material abbauen für die gleiche Menge Gold.

«Der schwindende Erzgehalt ist ein Problem. Die Branche findet nicht mehr gleich hochwertige Projekte wie noch vor fünfzehn Jahren», sagt auch Konwave-Fondsmanager Meier. Das trage zu einem von ihm erwarteten Kostenanstieg von 5 bis 10% pro Jahr bei. Auch er folgert: «Damit langfristige Investments in Goldminenaktien Erfolg haben, muss der Goldpreis weiter steigen.» Genau für einen solchen Goldpreisanstieg gibt es aber ja auch gute Gründe, wie oben gezeigt.

Der Goldmarkt befände sich in einem starken Aufwärtstrend, urteilt auch Fondsmanager Berlenbach. Sollten er und andere Marktbeobachter mit ihren Argumenten recht behalten, würden die steigenden Förderkosten mehr als kompensiert. «Wir werden ein Kursfeuerwerk bei Goldminenaktien sehen», prognostiziert er.

The Market hatte Goldminenaktien bereits im Oktober 2023 als aussichtsreich bezeichnet und hält den Sektor weiterhin für attraktiv. Der grösste Branchenwert Newmont hat Steigerungspotenzial, wie der Blick von The Market auf die jüngsten Unternehmenskennzahlen zeigt.

Nach mehr als zehn Jahren Kursflaute bei Goldminen ist allerdings erst einmal eine grosse Skepsis der Anleger zu überwinden. Die ist verständlich: Während Gold binnen zwei Jahrzehnten den Preis versechsfachte und der Weltaktienindex MSCI World eine Verfünffachung des Kapitals einbrachte, lieferten Goldminenaktien gerade einmal ein Plus von gut 30%, und zwischenzeitlich einen Verlust von 50%.

Einen Blick auf Silber werfen

Wer allerdings an eine Goldpreisrally glaubt, sollte auch einen Blick auf Silber werfen. Die Nachfrage nach dem anderen Edelmetall ist zuletzt stark gestiegen. «Bereits 10% des geförderten Silbers gehen in die Solarindustrie», sagt Berlenbach.

Der Schweizer Fondsmanager Meier hat rund ein Viertel des Kapitals seines Edelmetallfonds in Silber investiert, nicht zuletzt in den grössten Silberförderer Pan American Silver. Der sei das bestgeführte Unternehmen der Subbranche. Pan American sei günstig bewertet und verfüge über grosse neue Projekte, die der Aktienkurs noch nicht genügend spiegle. «In einem Bullenmarkt steigt Silber meist später als Gold, und stärker», sagt Meier.

Wer etwas Absicherung haben möchte für den Fall, dass eine US-Rezession vorerst die Kurshoffnungen erstickt, sollte dem Beispiel von Jean-Marie Eveillard und seiner jüngeren Kollegen folgen und Edelmetalle ins Portfolio mischen. Dafür sprechen auch die erwarteten Zinssenkungen und die geopolitische Lage. Die Aussichten für Gold und Silber sind mittelfristig sehr gut.

Mit folgenden ETF können Schweizer Anleger auf Gold und Silber setzen:

  • ZKB Gold ETF, Ticker: ZGLD, ISIN: CH0139101593
  • ZKB Silver ETF – A (CHF), Ticker: ZSIL, ISIN: CH0183135976
  • Raiffeisen ETF – Solid Gold Ounces A-Klasse CHF, Ticker: RGLDO, ISIN: CH0134034849

Diese ETF auf Gold und Silber eignen sich für deutsche Anleger:

  • Euwax Gold II, Ticker: EWG2, ISIN: DE000EWG2LD7
  • Xetra Gold, Ticker: 4GLD, ISIN: DE000A0S9GB0
  • Invesco Physical Silver, Ticker: SSLV, ISIN: IE00B43VDT70

Vorerst allerdings wollen die meisten Anleger in der westlichen Welt weder von Gold noch von Silber etwas wissen. Sie hoffen stattdessen darauf, dass die jüngsten Turbulenzen bei Kursvervielfachern wie Nvidia noch nicht das Ende des vom Thema künstliche Intelligenz befeuerten Tech-Aktien-Booms gewesen ist.

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