Sonntag, November 24

Auf den ersten Blick schlicht, auf den zweiten überragend: Andreas Dresens Drama über Hilde Coppi von der Widerstandsgruppe Rote Kapelle.

Zu Filmen über die Schrecken der Nazi-Zeit gibt es zwei mögliche Haltungen: Aufgeschlossenheit und Erschöpfung. Der Zivilisationsbruch, den das Hitler-Regime beging, kann nicht oft und bildmächtig genug in Erinnerung gerufen werden. Andererseits muss man kein Revisionist sein, um die Fülle der Kinowerke, in denen die Barbarei des Dritten Reichs teils besser, teils schlechter reinszeniert wird, anstrengend zu finden. Der Widerstand hat als Filmthema immer wieder Konjunktur – das ist gut so, weil sich gerade jüngere Generationen historische Themen eher über Bild- als über Textmedien erschliessen. Aber auch hier die Frage: Was gibt es noch zu wissen und zu sehen, was uns die Kinogeschichte nicht schon vermittelt hätte?

Andreas Dresen hat einen auf den ersten Blick konventionellen Film gedreht. Hilde Coppi, eine Angehörige der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, landet 1942 erst in Untersuchungshaft, dann im Gefängnis, am Ende wird sie hingerichtet. Es ist eine bekannte Geschichte, und Dresen fügt ihr keine Ausmalungen oder Weiterdichtungen hinzu. Die Darsteller und Darstellerinnen sind exzellent, vor allem Liv Lisa Fries als Hilde, deren stille Präsenz den Film mit beeindruckender Intensität auflädt.

Subversives Potenzial

Dass die Nazis bürokratische Spiesser waren, die ihr Schlächtertum nach Vorschrift praktizierten, dass es auch unter Hitlers Schergen menschelte und nicht jeder Faschist ein Monstrum war – für diese durch Tausende Studien, Historienwerke und Filmdokumentationen vermittelte Einsicht findet Dresen keine wesentlich neue Bildsprache.

Und doch ist «In Liebe, eure Hilde» ein überragender Film. Sein subversives Potenzial liegt in einem tiefen Humanismus, der sich so nur auf der Leinwand zeigen kann. Auf Handlungsebene ist dem Grauen der Nazi-Jurisprudenz und ihrer Vollstrecker nichts hinzuzufügen. Entsprechend läuft alles – Verhöre, Haft und Hinrichtung – wie am Schnürchen ab.

Zwar fächern zahlreiche Rückblenden die Geschichte der Widerstandsgruppe auf, aber das ändert nichts an der fast schlafwandlerischen Ergebenheit der Heldin in ihr Schicksal. Die Opfer nehmen ihre Rolle als gegeben hin – die Macht der Diktatur ist erdrückend und allumfassend; sie hat die Züge eines Fatums angenommen, gegen das sich aufzulehnen so ehrenwert wie folgenlos ist.

Liv Lisa Fries drückt dieses Überwältigtsein vom Staatsterror und von seinen Apparaten mit einer Mischung aus Gefasstheit und Verzweiflung aus, die jeden Filmpreis wert wäre. Dresen inszeniert seine Heldin als Mutter Courage, deren Sanftmut gepaart ist mit Tapferkeit, aber es gibt keine grossen Gesten, Aus- oder Zusammenbrüche.

Stille Würde

«In Liebe, eure Hilde» ist, so scheint es erst einmal, ein Gefängnisfilm, der vom Alltag im Faschismus erzählt, vom zur Konvention gewordenen Rechtsbruch und davon, wie eine Frau diesen Kosmos der verwalteten Bosheit von Anfang (Verhaftung) bis Ende (Hinrichtung) in stiller Würde durchmisst.

Wenn alles durchdrungen ist von Unrecht und Gewalt, die Institutionen, das Denken, Handeln und sogar das Fühlen, wenn auch die Kultur durchdrungen wird von ideologischer Falschheit – der Gefängnispfarrer (Alexander Scheer) bietet für ein letztes Gespräch Themen wie Goethes Lyrik oder deutsche Staatskunde an –, in welcher Sphäre kann sich Menschlichkeit dann überhaupt noch bewähren?

Dresens Film gibt eine so zarte und feinsinnige Antwort auf diese Frage, dass sie fast zu übersehen ist. Unantastbar in einem System, das alle Kategorien von Menschlichkeit selbst auszulöschen droht, ist das körperliche Empfinden. Die sachte Verbundenheit, die in physischer Nähe und Fürsorge entsteht. Hilde und die mitgefangenen Frauen in einem hässlichen Waschraum, und die Hände verschränken sich. Hilde, in der Reihe der Häftlinge, beim Anstehen vor dem Henker, wie sie ihr Gesicht in die Sonne taucht.

Genuss eines Sonnenstrahls

Es gibt eine kreatürliche Sphäre des Daseins, die noch so viel Gewalt und Zerstörung nicht angreifen können. Unser Streben hin zu dieser natürlichen Güte, die sich in einer zärtlichen Geste ebenso auszudrücken vermag wie im sinnlichen Genuss eines Sonnenstrahls, überschreitet die Knechtschaft des Terrors, der alles, Wissenschaft und Dichtung, Rechtswesen und Technik, vergiften kann. Widerstand, wie ihn Dresen darstellt, ist ganz persönlich und zugleich universell. Er zeigt sich in der Lebenszuwendung, die einem auf Auslöschung geeichten Apparat bis zur letzten Sekunde widerspricht.

Dieser unhintergehbaren Körperlichkeit – ihrer Schönheit und Erhabenheit, die sich nicht deformieren lassen, auch wenn die Begriffe von schön und hässlich pervertiert und umgewertet sind – ein filmisches Denkmal zu setzen: Das ist die eminente Leistung des Films. Hildes / Liv Lisa Fries’ Physiognomie ist am Ende das Emblem dieser nicht auszumerzenden Würde. Ein Antlitz, das nicht mit religiöser Bedeutung befeuert werden muss, weil es sich selbst auflädt durch sein Empfinden. «In Liebe, eure Hilde» ist so gesehen ein fatalistischer und revolutionärer Film in einem. Er besteht auf die Grösse des Menschen unter dem Joch der Entmenschlichung.

Exit mobile version