Sonntag, Dezember 1

Der Goldpreis ist ohne viel Aufsehen auf ein Rekordhoch gestiegen, während gleichzeitig die in Gold-ETF investierten Volumen gesunken sind. Der wahrscheinlichste Grund für den Anstieg – und für weitere Gewinne – liegt in Asien.

Wenn an den Finanzmärkten Party herrscht, bleiben die Gold Bugs in der Regel zurück und schmollen allein in einer Ecke. Das ist durchaus nachvollziehbar. Einer der Hauptgründe, Gold zu besitzen, ist die Versicherung gegen grosse Katastrophen. In guten Zeiten glänzt Gold selten.

Seit Anfang März ist der Goldpreis jedoch dem Nasdaq, Bitcoin und anderen Kryptowährungen gefolgt und hat – mit viel weniger Aufsehen und Medienaufmerksamkeit – ein neues Allzeithoch erreicht. Fairerweise muss man sagen, dass der heutige Goldpreis auf realer Basis weit unter dem Niveau liegt, das er 2021, 2011 oder – was noch auffälliger ist – 1981 erreicht hatte (vgl. untere Hälfte der Grafik). Dieser Mangel an «realen Höchstständen» könnte dazu beitragen, das mässige Interesse am gegenwärtigen Ausbruch des Goldpreises zu erklären.

Alternativ könnte der unaufgeregte Charakter des Ausbruchs des Goldpreises eine seit langem von Gavekal vertretene Überzeugung verdeutlichen, dass der Goldpreis nicht mehr so sehr in London oder New York, sondern vielmehr in Mumbai oder Schanghai festgelegt wird.

Um diesen Effekt zu erkennen, sehen Sie sich die unten abgebildete Grafik an, die die Marktkapitalisierung des SPDR Gold ETF (GLD), dem grössten börsengehandelten Goldfonds, im Vergleich zum Goldpreis zeigt. Als sich der Goldpreis in den vergangenen Wochen erholte und Höchststände erreichte, schrumpfte die Marktkapitalisierung des GLD. ETF-Investoren verkauften Gold noch schneller, als der Goldpreis stieg (vielleicht, um sich in die neuen Bitcoin-ETF einzukaufen, die seit Januar einen beeindruckenden Vermögensaufbau gezeigt haben).

Wie wir von Gavekal seit Jahren betonen, stammt der Grossteil der weltweiten Nachfrage nach physischem Gold heute aus den Schwellenländern. Auf China und Indien entfallen zusammen etwa zwei Drittel der weltweiten Goldnachfrage, während der Rest Asiens (Vietnam, Thailand, Indonesien usw.) und der Nahe Osten (Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate usw.) zusammen ein weiteres Viertel ausmachen.

Kurzum, entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass der Goldpreis primär vom Niveau der realen Zinsen in den USA oder der Entwicklung des Dollars bestimmt wird, sind die Entwicklungen in Indien und China zunehmend von Bedeutung. In dieser Hinsicht scheinen zwei Dinge klar zu sein: Erstens erlebt Indien einen epischen Boom, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die Preise von Vermögenswerten. Und da sich Indien in einer Phase beschleunigter Wohlstandsmehrung befindet, ist es durchaus vorstellbar, dass ein kleiner Prozentsatz des neu gewonnenen indischen Reichtums in den Kauf von Gold und Schmuckstücken fliesst.

Gleichzeitig erlebt China eine schwierigere wirtschaftliche Phase, vor allem wegen der seit nunmehr drei Jahren andauernden Immobilienkrise. Vor diesem Hintergrund haben die chinesischen Politiker versucht, den Preisverfall von Vermögenswerten einzudämmen, was zu sinkenden Zinsen sowie zu Liquiditätsspritzen der People’s Bank of China führte.

Das hat jedoch nicht ausgereicht, um Chinas angeschlagene Konjunktur in Schwung zu bringen. Stattdessen schwellen die Bareinlagen im chinesischen Bankensystem weiter an. Es wäre also kaum eine grosse Überraschung, wenn chinesische Sparer, die an den lokalen Immobilien- und Aktienmärkten verzweifeln und auf ihren Spareinlagen von den Banken keine Zinsen erhalten, beschlossen hätten, Trost im Kauf von Gold zu suchen. Ein Hinweis für eine robuste Nachfrage nach Gold in China lässt sich aus der Tatsache lesen, dass das Edelmetall in Schanghai im Vergleich zum New Yorker Goldpreis mit einem Aufschlag von 2 bis 5% gehandelt wird.

Wenn es allgemein der Fall ist, dass der marginale Goldkäufer der Gegenwart entweder in Indien oder in China sitzt, dann ist die grösste Bedrohung für den sich entwickelnden Gold-Bullenmarkt möglicherweise nicht das, was die US-Notenbank tut oder nicht tut.

Die grösste Gefahr besteht vielmehr darin, dass entweder die indische Wirtschaft ins Schlingern gerät und die indischen Käufer zu Verkäufern werden, oder – vielleicht auf den ersten Blick kontraintuitiv – dass der chinesische Aktien- oder Immobilienmarkt stark anzieht und wieder zu einem Ziel für chinesische Ersparnisse wird.

Im Moment scheint sich keines der beiden Ereignisse abzuzeichnen. Das deutet darauf hin, dass der Ausbruch des Goldpreises real ist und wahrscheinlich Bestand haben wird.

Louis-Vincent Gave

Louis-Vincent Gave ist CEO von Gavekal Research, die er gemeinsam mit Charles Gave und Anatole Kaletsky 1999 in London ins Leben gerufen hatte. Im Jahr 2002 verliess er das Londoner Büro und kehrte nach Hongkong zurück, wo er zuvor als Finanzanalyst für Paribas gearbeitet hatte. Louis hat einen Bachelor-Abschluss von der Duke University, und an der Nanjing University hat er Mandarin studiert.
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