Die Preise von Luxusmode steigen und steigen. Zweitlinien wie Marc by Marc Jacobs oder Jil Sander Navy boten einst eine günstigere Alternative. Doch viele von ihnen sind verschwunden. Woran das liegen könnte.

Ist das Marc Jacobs? Oder Marc by Marc Jacobs? Oder sogar das – nicht ganz ernst gemeinte – Jacobs by Marc by Marc Jacobs? Diese Fragen muss man sich beim Anblick eines Entwurfs des New Yorker Designers Marc Jacobs heute nicht mehr stellen. Sein Zweitlabel Marc by Marc Jacobs wurde 2015 in die Hauptlinie eingegliedert und verschwand damit von der Bildfläche. Ähnliches ist mit Versus Versace, McQ, M Missoni, Jil Sander Navy, Burberry Brit, See by Chloé und Red Valentino geschehen.

Solche Zweitlabels von Modedesignern werden auch Diffusionslinien genannt. Schon der Name hört sich an wie eine subtile Abwertung. Dabei beschreibt er objektiv, was sie erreichen sollen: die Streuung von Produkten der Marke an eine breitere, oft jüngere Zielgruppe. Diffusionslinien sind deswegen meist günstiger als Hauptlinien, in der Designsprache etwas vereinfacht und aus weniger kostbaren Materialien gefertigt. Das macht sie für mehr Menschen bezahl- und tragbar. «Accessible» würde man das in der heutigen Business-Sprache nennen: zugänglich.

Tiefe Kosten, gehobener Stil

Die Geburtsstunde vieler dieser Linien schlug in den achtziger Jahren, als das Prêt-à-porter von Designerlabels zwar bekannter und globalisierter wurde, mit seinen hohen Preisen aber für viele unerreichbar blieb. «Low cost high style», proklamierte etwa die Titelseite der Aprilausgabe 1989 der amerikanischen «Vogue». Die frisch ernannte Chefredaktorin Anna Wintour füllte vierzehn Seiten mit Basics von Zweitlinien wie DKNY, Emporio Armani, Polo Ralph Lauren und Comme des Garçons Shirt. Für den aufkommenden Minimalismus der neunziger Jahre schienen sie mit ihrer Schnörkellosigkeit wie gemacht.

Bald gehörte es für Modemarken zum guten Ton, eine Diffusionslinie zu unterhalten, gerne mit dem Suffix «Jeans» oder «Sport» oder mit dem Vornamen des Designers versehen.

Verkauft wurden diese Zweitlinien meist in separaten Geschäften oder in Warenhäusern. Mir ihrer breiten Zielgruppe konnten sie im Idealfall den Hauptlinien den steigenden kommerziellen Druck abnehmen. Die «New York Times» beschrieb etwa das eben gegründete D&G 1995 als «Sammelbecken für die unzähligen trendigen Ideen», die die Aufmerksamkeit von Domenico Dolce und Stefano Gabbana erregten, aber in ihrer Hauptlinie unpassend schienen. Ähnlich war das Verkaufsversprechen von Marc by Marc Jacobs, gegründet 2001 und ein Dauergast in der Hit-Serie «Gossip Girl».

Ein Konzept von gestern

Doch mit der Zeit unterschieden sich diese Diffusionslinien kaum von der immer beliebter werdenden Fast Fashion, von der sich die Designermode eigentlich abheben wollte. Viele wurden von Lizenznehmern produziert und von anonymen Teams entworfen. Manche, darunter Marc by Marc Jacobs, landeten regelmässig beim Discounter. Das verwässerte Markennamen und liess sie weniger exklusiv erscheinen. Gleichzeitig gab es im Verlauf der nuller Jahre immer mehr mittelpreisige «Contemporary»-Labels wie 3.1 Phillip Lim und Alexander Wang, die den Diffusionslabels ihr Preissegment streitig machten.

Manche Zweitlabels unterschieden sich ausserdem nicht genug von ihren Originalen und verwirrten die Verkäuferinnen und Kunden. Als D&G 2011 schloss, lautete die offizielle Begründung, man wolle die Hauptlinie stärken. «Die beiden Linien haben sich gegenseitig kannibalisiert», so erklärte es ein Fachhändler damals gegenüber dem Branchenblatt «Women’s Wear Daily».

Die Ankunft des Online-Shoppings, bei dem man Preise direkt vergleichen konnte und somit einfacher an Vergünstigungen kam, versiegelte weitere Schicksale. Marc by Marc Jacobs schloss 2015, Vivienne Westwood Red Label und Burberry Brit 2016, Jil Sander Navy 2019. See by Chloé, 2001 eingeführt für eine jüngere Altersgruppe unter Designerin Stella McCartney, wurde ab 2022 langsam eingestellt. Die Schliessung von Red Valentino war ein Jahr zuvor verkündet worden – zusammen mit der Neuigkeit, man würde keinen Pelz mehr nutzen. Die Botschaft: Diffusionslinien, so von gestern wie Nerzmäntel.

Exklusivität als höchstes Gut

Für die meisten Luxuslabels, die zu Gruppen wie LVMH und Kering gehören, ist es dabei geblieben. Exklusivität ist derzeit eines ihrer wichtigsten Güter, und diese wird von Diffusionslinien stark untergraben. Lieber bietet man Lippenstifte oder Sonnenbrillen an, um weniger vermögende Kunden für sich zu gewinnen. Und doch gibt es heute erfolgreiche Beispiele von Diffusionslinien.

Comme des Garçons, 1969 von der japanischen Designerin Rei Kawakubo gegründet, unterhält inzwischen so viele verschiedene Marken, dass es online ausführliche Leitfäden dazu gibt, wie man sie voneinander unterscheidet. Sie heissen Comme des Garçons Homme, Homme Plus, Play, Shirt oder Comme des Garçons Comme des Garçons, und zählen mehr als ein Dutzend.

Manche von ihnen scheinen spontan geboren zu sein: Black Comme des Garçons wurde 2009 als «Notreaktion auf die Rezession» lanciert, tauchte die typischen Silhouetten des Hauses ganz in Schwarz und verkaufte sie für Preise, die im zweistelligen Bereich begannen. Es existiert bis heute, obwohl man heute nur wenige Stücke für unter 500 Franken erhält.

Diese Zweitlinien gehören schlicht zur Architektur von Comme des Garçons. Denn die in Paris gezeigten Laufstegkollektionen von Kawakubo sind so aufwendig – zum Herstellen, zum Tragen und in gewisser Weise auch zum Verstehen –, dass sie ohne die profitablen Untermarken wohl schlicht nicht existieren könnten. In den eigenen Warenhäusern der Marke, den Dover Street Markets, werden alle zusammen verkauft: ein Beweis dafür, dass sie trotz ihren preislichen und materiellen Unterschieden alle im selben Universum verkehren.

«Es gibt viele Möglichkeiten, kreatives Denken auszudrücken», so erklärte es Adrian Joffe, der Ehemann von Rei Kawakubo und Präsident von Comme des Garçons, 2012 der «New York Times». Und fuhr fort: «Alles hat seinen Platz.» Ähnlich ist die Situation bei Armani und Ralph Lauren, die beide mehr als eine Handvoll Labels unterhalten, viele davon mit eigenen Schauen an diversen Modewochen.

Eine neue Generation

Die andere Ausnahme sind die Diffusionslinien, die für sich allein stehen können. Miu Miu mag 1992 als eine solche begonnen haben, ist heute aber längst mehr als die kleine Schwester von Prada, was die Preise, den Erfolg und – sehr wichtig – die modische Vision angeht. Bei MM6, dem günstigeren Label von Maison Margiela, wird derweil in Schauen und breite Distribution investiert. Dass das Designteam anonym ist, wird hier nicht als eine Schwachstelle vermarktet, sondern als in der Tradition des Gründers Martin Margiela.

Und schliesslich gibt es Heaven. Es wurde 2020 von Marc Jacobs lanciert. Nicht, dass man das auf den ersten Blick erkennen würde, denn die einst so verwirrenden Spiele mit dem Namen des Designers sind verschwunden. Heaven ist ganz an die Generation Z gerichtet, kooperiert mit jungen Gastdesignern und verkauft Secondhand-Bücher und Stofftiere und neuerdings auch Pimple-Patches. Es gibt nur zwei Läden, einen in Los Angeles und einen in London. Im Discounter wird man wohl vergeblich danach suchen.

Exit mobile version