Mittwoch, Februar 5

Der Kaiser Roms war der mächtigste Mensch der antiken Welt. Aber was heisst das konkret? Die britische Althistorikerin Mary Beard zeigt, was Macht im Alltag bedeutete. Und wie gefährlich es war, Kaiser zu sein.

Im Frühling des Jahres 235 n. Chr. wurde Alexander Severus umgebracht. Von den eigenen Truppen, in einem Heereslager in der Nähe von Mainz. Er war sechsundzwanzig Jahre alt und hatte das Römische Reich dreizehn Jahre lang regiert, zumindest soweit seine dominante Mutter Julia Mamaea dies zugelassen hatte. Auch Julia, die den Sohn auf allen Feldzügen begleitete, wurde von den marodierenden Soldaten erschlagen. Sie hatten genug.

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Misserfolg reihte sich an Misserfolg. Von Osten her, über Kleinasien und den Balkan, drängten die persischen Sassaniden heran, von Norden die Alamannen. Rom war unter Druck. Ganz erfolglos war Alexander nicht gewesen. Gegen die Perser hatte er vorübergehend so etwas wie ein Unentschieden erreicht und in Rom dafür einen Triumph gefeiert. Aber Alexanders Inszenierung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zeichen schlecht standen. Für die römischen Legionen. Für das Reich. Aber auch für den Kaiser.

Glaubt man den antiken Geschichtsschreibern, war Alexander ein charmanter Mensch. Sanft, gebildet, vielseitig interessiert. Aber kränklich, völlig abhängig von seiner Mutter und denkbar ungeeignet für die Aufgabe, über ein Weltreich zu herrschen, das von allen Seiten bedrängt wurde. Kein Troupier, die Welt der Soldaten war ihm fremd. Und das war seit dem Ende des 2. Jahrhunderts die entscheidende Qualifikation für einen römischen Kaiser.

Fliegen töten

Nur die wenigsten erfüllten sie. Alexanders Vorgänger Elagabal hatte kein günstigeres Schicksal. Auch er war ermordet worden. Auch er von den eigenen Garden und zusammen mit seiner Mutter. Sein Leichnam wurde geschändet und in den Tiber geworfen. Alexanders Mutter Julia Mamaea, Elagabals Tante, hatte dabei Regie geführt. Und, ohne es zu ahnen, ihr eigenes Ende vorweggenommen.

Kaiser war ein gefährlicher Beruf. Von den fünfundzwanzig Herrschern des 1. bis 3. Jahrhunderts, die Mary Beard in ihrem Buch «Die Kaiser von Rom» Revue passieren lässt, starb die Hälfte offiziell keines natürlichen Todes. Nero wurde zum Selbstmord gezwungen. Und bei den meisten wurde zumindest der Verdacht geäussert, es könnte bei ihrem Ableben nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Sogar bei Augustus, der als Beispiel eines guten Kaisers galt, hielten sich hartnäckig Gerüchte, seine Frau Livia habe ihn vergiftet, um ihrem Sohn Tiberius den Weg zum Thron zu ebnen.

Die römische Kaiserzeit bietet eine fast unerschöpfliche Fülle von Geschichten über absonderliche, skrupellose und grausame Herrscher. Und Mary Beard kostet die Anekdoten genussvoll aus. Mit ironischem Understatement erzählt sie von Nero, der seinen Lieblingssklaven Sporus kastriert und geheiratet haben soll, von Domitian, der sich die Zeit damit vertrieb, mit der Schreibfeder Fliegen aufzuspiessen, und von Commodus, dem finsteren Antihelden von Ridley Scotts «Gladiator», der im Colosseum als Tierhetzer auftrat und mit Pfeil und Bogen wahllos in die Zuschauerreihen schoss.

Macht ausüben

Doch Mary Beard bleibt bei den Anekdoten nicht einfach stehen. Auch wenn klar ist, dass ein grosser Teil davon mehr oder weniger frei erfunden wurde. Von Günstlingen, die sich nach dem Tod eines Kaisers bei seinem Rivalen oder Nachfolger beliebt machen wollten, oder von Geschichtsschreibern, die Herrscher, die als ungerecht in die Überlieferung eingegangen waren, in den düstersten Farben schilderten – so, wie man die Gesichter in Ungnade gefallener Kaiser auf öffentlichen Reliefs nachträglich zerstörte, um sie aus der Geschichte zu verbannen. Nur, und darauf beharrt Mary Beard: Auch in unglaubwürdigen Geschichten zeigt sich eine Facette kaiserlicher Macht.

Die kuriosen Berichte sind für Mary Beard wie eine Lupe, unter der sich das, was einen guten Kaiser gut und einen schlechten schlecht macht, exemplarisch zeigt: Caligula, der sein Lieblingspferd zum Consul ernennen wollte. Elagabal, der seinen Gästen Kamelfersen und Flamingohirne servierte und sie auf Furzkissen sitzen liess. Oder Hadrian, der in einem Wutanfall mit dem Griffel einem Sklaven ein Auge ausgestochen haben soll. Beard versteht die Geschichten als Spiegel einer Macht, die tatsächlich kaum Grenzen kannte.

Rein formal herrschten römische Kaiser nicht uneingeschränkt. Es gab einen Senat, es gab Magistraten und Gerichte. Nach der blutigen Beendigung der Bürgerkriege im Jahr 31 v. Chr. hatte Augustus das Kunststück fertiggebracht, die Monarchie, die er schuf, als Wiederherstellung der Republik erscheinen zu lassen. Er nannte sich nicht «rex», (König), weil das die Erinnerung an die verhasste frühe Königszeit wachgerufen hätte. Sondern «princeps», was so viel bedeutet wie «der erste Mann im Staat». Demonstrative Bescheidenheit also. Aber dass Rom keine Republik mehr war, war allen bewusst. Der Senat beschloss nur, was der Kaiser wünschte.

Briefe schreiben

Im Lauf der Zeit zeigte sich allerdings, dass die Macht des Kaisers zwar gross, aber zugleich äusserst labil war. Spätestens seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. hing sie immer mehr vom Wohlwollen der Armee und der Offiziere ab. Und von den engsten Vertrauten am Hof, deren Solidarität sich der Princeps mit Gunstbeweisen erkaufte. Ein Hochseilakt. Je nachdem, wie der Kaiser sein Wohlwollen verteilte, schuf er sich Freunde, auf die er sich verlassen konnte. Aber sie durften nicht zu Feinden werden, weil das zu seinem Untergang geführt hätte.

In ihrem Panoptikum römischer Herrscher von Julius Cäsar bis Alexander Severus geht es Mary Beard weniger um die bisweilen seltsamen Persönlichkeiten der Herrscher, sondern vielmehr um die Frage, was es hiess, römischer Kaiser zu sein. Wie sich Macht im Alltag zeigte. Was es konkret bedeutete, ein Reich zu leiten, das sich von Schottland bis zur Sahara und von Portugal bis zum Irak erstreckte und Ende des 2. Jahrhunderts gegen fünfzig Millionen Einwohner hatte.

Mary Beard entwirft in ihrem glänzend geschriebenen Buch das Stellenprofil für den CEO eines Weltreichs. Für einen unmöglichen Job, salopp gesagt, auch wenn ein grosser Teil davon in unspektakulärer Büroarbeit bestanden haben dürfte. Der Rhetoriklehrer Marcus Cornelius Fronto jedenfalls sah es so. Seinem Schüler, dem jungen Kaiser Marc Aurel, schärfte er ein, was die Hauptaufgabe eines Kaisers sei: «Briefe in die ganze Welt zu schicken.»

Mary Beard: Die Kaiser von Rom. Herrscher über Volk und Reich. Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2025. 544 S., Fr. 49.90.

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