Mittwoch, Oktober 2

Dividendenstrategien sind bei Anlegern beliebt, haben jedoch ihre Tücken. Immer mehr jüngere Investoren streben an, schon in wenigen Jahrzehnten ihren Lebensunterhalt von Ausschüttungen bestreiten zu können. The Market rechnet nach, ob das gelingen kann, und zeigt attraktive ETF dafür.

Finanziell frei sein – wer will das nicht? In den vergangenen Jahren ist eine Bewegung entstanden, die dieses Ziel zum Inhalt hat: «Financial Independence, Retire Early» (FIRE, zu Deutsch: finanzielle Unabhängigkeit, früher Ruhestand), ist ihre Losung.

Immer häufiger verfolgen FIRE-Bewegte ihr Ziel mit einer Dividendenstrategie. Der Traum vom frühen Arbeitsende scheint schliesslich dank regelmässiger Ausschüttungen ein wenig berechenbarer geworden zu sein. Alles, was es vermeintlich braucht, ist die Hochrechnung für die mutmasslich benötigte monatliche Summe für die Lebenshaltungskosten – und schon kann das Dividendenportfolio Gestalt annehmen.

Die erste Million verspricht nur eine magere Rente

Doch wie wirklichkeitsnah ist dieser Ansatz? Angenommen, ein deutscher Anleger mit frugaler Lebensweise käme auch im Jahr 2024 mit einer Monatssumme von 2000 € netto aus, was in der Schweiz indes deutlich unter der Armutsgrenze läge. Der benötigte Dividendenstrom lässt sich leicht errechnen.

24’000 € im Jahr würden allerdings nicht reichen, weil das Finanzamt unbarmherzig zugreift auf die Dividenden nach dem Erreichen des Freibetrags von 1000 € bei Singles beziehungsweise 2000 € bei Paaren. Auch für Schweizer Anleger sind Dividenden steuerlich nachteiliger als Kursgewinne. Bei einer unterstellten Abgeltungssteuer von 26,37% (ohne Kirchensteuer) würden also rund 8000 € an Steuern fällig, was die benötigte Dividendensumme auf gut 32’000 € anhebt.

Um 32’000 € an Dividendenausschüttungen zu erzielen, müsste man eine erkleckliche Summe als Basiskapital mitbringen. 1 Mio. € erscheint mindestens realistisch, denn die zugrunde gelegte Dividendenrendite würde in diesem Fall bereits ordentliche 3,2% betragen. Das wiederum ist ein Niveau, das nur wenige Aktien abwerfen – das gilt sogar für die beliebten Dividendenaristokraten, die als Musterbeispiel für die Anlagestrategie herhalten.

Das Problem der Fixierung auf hohe Dividendenrendite

Die amerikanischen Blue Chips Coca-Cola und Johnson & Johnson bringen es derzeit auf eine Dividendenrendite von rund 3%, Procter & Gamble und McDonald’s werfen indes gerade einmal 2,4 und 2,1% ab – die Quellensteuer noch nicht berücksichtigt. Zum Vergleich: Der massgebliche S&P 500 bringt es gegenwärtig auf eine Dividendenrendite von 1,15%. Wer ausschliesslich von Dividenden leben will, ohne an die Substanz seines Portfolios zu greifen, dürfte also am Ende – je nach Asset Allocation und Anspruch – in etwa ein Niveau von 1,5 Mio. € oder mehr benötigen. Und lebt damit wie gesagt dann sehr bescheiden, falls nicht noch staatliche oder betriebliche Renten dazukommen. Wer schon fünfzehn oder zwanzig Jahre vor dem üblichen Eintrittsalter nicht mehr arbeiten will, wird also nur selten im Luxus schwelgen können.

Immerhin: Im Lauf eines Anlegerlebens kann bei konsequentem Einhalten eines ETF-Sparplans durchaus ein Millionenvermögen aufgebaut werden. Oft genug wird jedoch nach Abkürzungen in Form einer höheren Dividendenrendite gesucht. Es stehen schliesslich ausreichend Onlinewerkzeuge zur Verfügung, mit denen Anleger Dividenden mit offenbar fast beliebig hoher Rendite finden.

Allein: Eine Dividendenrendite von etwa 5% und mehr ist selten ein Qualitätsmerkmal und tatsächlich oft genug ein Alarmsignal. Entweder, «Mr. Market» hat bei dem Unternehmen etwas missverstanden und bewertet die Aktie auffällig falsch (was selten vorkommt), oder eine hohe Dividende gehört zum Geschäftsmodell, was sich in einem bestenfalls stagnierenden Aktienkurs ausdrückt. Das Unternehmen schüttet in solchen Fällen oft genug mehr als den erwirtschafteten Cashflow aus und zehrt von seiner Substanz.

Es gibt zahlreiche Beispiele von an sich soliden Titeln, die plötzlich eine beträchtlich hohe Dividendenrendite im Zuge deutlich fallender Kurse ausweisen – wie etwa der Pharmariese Pfizer (4,4%), der Mischkonzern 3M (6%) oder BASF (7,2%). Hier sollten Anleger nicht ausser Acht lassen, dass im Fall einer anhaltenden Krise und eines substanziellen Gewinnrückgangs auch die Dividende nicht in Stein gemeisselt ist und im Zuge der neuen Marktrealitäten drastisch zusammengestrichen werden kann wie jüngst bei Bayer. Die Ausschüttung kann gar über Jahre ausfallen wie beim Unterhaltungskonzern Disney für die Jahre 2021 bis 2023.

CAGR: der Königsweg der Dividendenstrategie

Wie sollten interessierte Dividendeninvestoren also vorgehen? Den Königsweg liefert die Anlagestrategie des Growth Investing – allerdings mit Fokus auf das Wachstum der Dividende, das jährliche durchschnittliche Wachstum (Compound Annual Growth Rate, CAGR), in der Regel berechnet über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren. Für Anleger mit einem langen Zeithorizont ist am Ende nämlich nicht die aktuelle, sondern die persönliche Dividendenrendite entscheidend. Gemäss der alten Börsenmaxime, dass der Preis nur das ist, was man bezahlt, der Wert aber das, was man bekommt («Price is what you pay, value is what you get»).

Ein Beispiel: Der derzeit an der Wallstreet hoch gehandelte Halbleiterhersteller Broadcom schüttet im laufenden Geschäftsjahr 21 $ je Aktie an Dividende aus, was bei einem Kurs von 1350 $ einer Rendite von knapp 1,6% entspricht. Für einen Wachstumswert durchaus beachtlich, aber nach den klassischen Kriterien eines Dividendeninvestors nicht spektakulär. Allerdings: 2014 betrug die ausgeschüttete Dividende pro Titel lediglich 1.23 $. Wer also vor zehn Jahren in Broadcom investiert hat, kommt auf Basis des damaligen Kaufkurses wegen der alljährlichen Anhebung der Dividende in den Genuss einer sechzehnmal höheren Ausschüttung. Die persönliche Dividendenrendite beträgt damit nach einer Dekade inzwischen beachtliche 27%.

Bei diesen Aktien ist das Dividendenwachstum am stärksten

Entsprechend sollten Anleger, die per Dividendenstrategie ein Vermögen aufbauen wollen, durchaus wie Wachstumsinvestoren denken und den Fokus auf diejenigen Werte legen, die nachhaltig robustes Wachstum als Unternehmen und als Dividendenzahler ausweisen.

Im europäischen Raum konnten unter den wachstumsstarken Large-Cap-Werten auf Sicht von fünf Jahren mit einem zweistelligen Dividendenzuwachs pro Jahr beeindrucken: L’Oréal (11%), Wolters Kluwer (16%), Hermès (27%) und Pharma-Darling Novo Nordisk (30%). Auf den ersten Blick mögen die Dividendenrenditen von 1 bis 1,6% eher unspektakulär erscheinen, binnen einer halben Dekade konnte die persönliche Dividendenrendite mit den europäischen Champions indes mitunter verdoppelt werden.

In den USA konnten Grossbanken, Rohstoffunternehmen und Tech-Konzerne die Top-fünf-Positionen im S&P 500 nach dem Dividendenwachstum für sich beanspruchen. Microchip Technology weist im Fünfjahresdurchschnitt ein Dividendenwachstum von 19,8% aus, Morgan Stanley bringt es auf 23,1%, der Goldförderer Newmont schaffte 23,4%, hat allerdings jüngst seine Dividende deutlich gekürzt, während der Kupferkonzern Freeport-McMoRan zwischen Anfang 2019 und 2023 durchschnittlich jedes Jahr 24,6% mehr an die Aktionäre ausschüttete.

Der grösste Dividenden-Compounder wäre in den letzten fünf Jahren die Investmentbank Goldman Sachs gewesen. Sie brachte es auf eine jährliche Wachstumsrate von 28%. Die aktuelle Dividendenrendite von 2,6% kann sich dabei durchaus sehen lassen.

Diese Dividenden-ETF versprechen Rendite und Wachstum

Anleger, denen das Stock Picking zu mühsam und riskant erscheint, haben die Möglichkeit, zwischen zahlreichen ETF mit Dividendenfokus zu wählen. Besonders beliebt unter ausschüttungsorientierten Investoren sind die sogenannten Dividendenaristokraten –Unternehmen, die ihre Ausschüttung seit mindestens 25 Jahren kontinuierlich gesteigert haben. Der SPDR S&P US Dividend Aristocrats ETF bietet derzeit eine Dividendenrendite von 2,1% und dabei eine Fünfjahres-CAGR von 8,4%. Zu den grössten Positionen zählen 3M, Realty, Edison International und der Technologiekonzern IBM, den The Market kürzlich analysiert hat.

Noch erfreulichere Attribute weist der Fidelity Global Quality Income ETF auf: Er bietet eine Dividendenrendite von 2,6% und ein Dividendenwachstum von 8,4% über fünf Jahre. Zu den grössten Positionen zählen einige der wertvollsten Konzerne der Welt: Microsoft, Apple, Nvidia, Eli Lilly und Broadcom.

Die 3%-Marke bei der Dividendenrendite knackt unterdessen der Klassiker unter den Dividenden-ETF, der Vanguard FTSE All-World High Dividend Yield ETF. Er weist allerdings eine minimal negative Fünfjahres-CAGR auf (–0,54%). Die grössten fünf Werte sind die Blue Chips Broadcom, JPMorgan, ExxonMobil, Johnson & Johnson und Procter & Gamble.

Auf eine Dividendenrendite von 4% kommt der SPDR S&P Global Dividend Aristocrats ETF, der seine Ausschüttung binnen einer halben Dekade um 1% p.a. gesteigert hat. Zu den Top-Positionen zählen weniger bekannte Unternehmen wie Highwoods Property, Solvay oder KT-G Corp.

Deutlich prominentere Top-Positionen weist der VanEck Morningstar Developed Markets Dividend Leaders ETF mit Verizon, Pfizer oder TotalEnergies auf. Die Dividendenrendite beträgt 4,6%, das Durchschnittswachstum über fünf Jahre immerhin 6,9%.

Wer konsequent an höheren Dividendenausschüttungen interessiert ist, kann sie in gleich drei ETF mit Fokus auf Europa, Schwellenländer oder die weltweite Anlage bei iShares finden – nämlich im iShares Stoxx Global Select Dividend 100 (Dividendenrendite 5,7%, CAGR 7,8%), im iShares Stoxx Europe Select Dividend 30 ETF (Dividendenrendite 6,7%, CAGR 18,7%) oder im iShares EM Dividend ETF (Dividendenrendite 7,4%, CAGR -0,4%).

Doch natürlich sollte auch die Kursentwicklung nicht ignoriert werden. In einem Zeitfenster von fünf Jahren hat inklusive der ausgezahlten Dividenden lediglich der iShares EM Dividend ETF eine marginale negative Performance von –2% ausgewiesen, alle anderen ETF verbuchten ein zweistelliges Kursplus. Besonders bemerkenswert sind dabei die Gewinne der beiden Top-Performer, die Anlegern jährlich einen zweistelligen Kurszuwachs beschert hätten. Der VanEck Morningstar Developed Markets Dividend Leaders ETF bringt es binnen einer halben Dekade inklusive der jährlichen Ausschüttung von 4,7% auf eine jährliche Gesamtrendite von 11,2%. Der Fidelity Global Quality Income ETF hätte Anteilseignern innerhalb von fünf Jahren eine Gesamtrendite von 12,1% pro Jahr beschert.

Für Vermögensaufbau ist Dividendenfokus unnötig

Der Wertzuwachs inklusive der Ausschüttungen ist erfreulich. Er lag in den letzten fünf Jahren allerdings leicht unter dem Wertzuwachs des MSCI World (12,7% p.a. in Euro) und deutlich unter demjenigen des S&P 500 (14,9%).

Der Vergleich zeigt, dass der Traum, eines Tages von Ausschüttungen leben zu können, nicht mit einer Dividendenstrategie für den Vermögensaufbau verfolgt werden muss. Ein breit diversifiziertes Aktieninvestment ohne Dividendenfokus erzielte zuletzt bessere Ergebnisse. Die Ausschüttungen werden spannend, wenn Anleger an dem Punkt ihres Lebens angekommen sind, an dem sie das angesammelte Vermögen geniessen können.

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