Montag, November 25

Nach zwei verlustreichen Jahren will der Sensorenhersteller ab 2025 auf den Erfolgspfad zurückfinden. Damit die Trendwende aber Bestand hat, muss er effizienter forschen. Das bedingt einen Kulturwandel.

Damit Schweizer Technologieunternehmen im globalen Wettbewerb mithalten, bleibt ihnen keine andere Wahl, als die gesamten Fähigkeiten in die Forschung und Entwicklung zu stecken. Nur so können sie sich von mächtigeren und meist unter günstigeren Bedingungen produzierenden ausländischen Konkurrenten abheben.

Um die fortschrittlichsten und höchstmargigen Produkte auf den Markt zu bringen, müssen sie zuerst viel Geld in die Forschung stecken. Vor allem bei kleineren Unternehmen sind das enorme Beträge, wenn man sie in Relation zu den Einnahmen setzt.

Zwei zum Investieren verdammte Zürcher

Zwei am Zürichsee angesiedelte Gesellschaften können ein Lied davon singen: U-Blox und Sensirion. Die im linksufrigen Thalwil domizilierte U-Blox 📈 hat über einen fünfzehnjährigen Zeitraum mehr als 1 Mrd. Fr. für die Forschung aufgewendet. In gewissen Jahren musste der Entwickler von Kommunikationschips und -modulen ein Viertel seines Umsatzes dafür ausgeben.

Im Blick zurück hat sich der riesige Aufwand nicht gelohnt. Im vergangenen Jahr musste das Unternehmen zurückkrebsen. Es stieg aus dem Geschäft mit Mobilfunkchips aus und bündelte seine beschränkten Mittel im rentablen Kerngeschäft Positionierungschips und -module. Derzeit steckt es in einer Transformationsphase.

Vor einem ähnlichen Dilemma steht die am rechten Seeufer ansässige Sensirion. Umsatzmässig (2023: 233 Mio. Fr.) ist sie kleiner als U-Blox (577 Mio. Fr.), an der Börse aber fast doppelt so viel wert (Börsenkapitalisierung 1 Mrd. Fr. vs. 581 Mio. Fr. bei U-Blox).

Ebenso wie bei U-Blox ist die Unternehmenskultur von Sensirion von Ingenieurskunst geprägt. Dem technischen Fortschritt wird Priorität eingeräumt, was nicht immer wirtschaftlichen Erfolg bedeuten muss. Klar ist indes: Ohne den Wissensdrang ihrer Exponenten hätten es weder die Produkte von U-Blox noch die von Sensirion ganz an die Spitze geschafft. Der vergleichbare Führungsstil rührt daher, dass beide Unternehmen Spin-offs der ETH Zürich sind. Entsprechend ähnlich tickt das Management.

Effizienz der Forschung entscheidend

Nach Aussagen von Sensirion sollen künftig 22 bis 24% des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung gesteckt werden. Seit dem Börsengang 2018 waren es jeweils 16 bis 26%; kumuliert wurden mehr als 300 Mio. Fr. ausgegeben. Im vergangenen Jahr, als der Umsatz um 27,5% einbrach, betrug der Anteil 23,8%.

Das Unternehmen hält auch in schwachen Phasen an den hohen Forschungsaufwendungen fest, um technisch nicht in Rückstand zu geraten. Auf temporäre Anpassungen der Belegschaft wird verzichtet. Am Standort Schweiz sei es besonders schwierig, genügend Fachpersonal zu finden, wenn die Nachfrage wieder anziehe, wird argumentiert.

Diese Strategie macht die Kostenstruktur des Unternehmens jedoch äusserst inflexibel. Das Resultat sind enorme Schwankungen der Rentabilität. Nach dem letztjährigen Verlustjahr dürfte auch die laufende Periode mit einem Minus abschliessen.

Die schlechten Finanzergebnisse sowie der Absturz des Aktienkurses – gegenüber dem Pandemiehoch hat er sich mehr als halbiert – haben das Sensirion-Management gezwungen, die Forschungsaufwendungen auf den Prüfstand zu stellen. Anfang April wurde dem Bereich Zustandsüberwachung der Stecker gezogen. Im Herbst 2021 kaufte Sensirion das deutsche Start-up AiSight, das sich auf die Zustandsüberwachung und die vorausschauende Wartung von Industrieanlagen spezialisiert.

Die Akquisition war kostspieliges Lehrgeld. Zu den Restrukturierungskosten von 3 Mio. Fr. gesellten sich Goodwill-Abschreibungen von 25,6 Mio. Fr. Der Standort Berlin wurde geschlossen. Nach Berechnungen der ZKB entlastet die Schliessung von AiSight die Kosten um 5 bis 10 Mio. Fr.

Sensirion ist es nie gelungen, die operativen Kosten (Löhne, Distribution, Forschung und Entwicklung) möglichst gering und der Nachfrage entsprechend flexibel zu halten. Das vertikale, wertschöpfungstiefe Geschäftsmodell vereinfacht und beschleunigt die Skalierung. Aber es schlägt auch überdurchschnittlich stark auf die Margen durch. Die Kostenstruktur von Sensirion ist auf einen Jahresumsatz von rund 300 Mio. Fr. ausgelegt. Sind es weniger, schwinden die Margen. Dieses Umsatzniveau wird Sensirion frühestens im kommenden Jahr erreichen.

Kerngeschäft ist gesättigt

Mit Sensoren zur Messung der relativen Luftfeuchtigkeit und der Temperatur wurde die 1998 gegründete Sensirion gross. Mittlerweile hält sie in diesem Segment, dem Goldesel des Unternehmens, einen Marktanteil von über 50%. Doch das Geschäft wächst nur noch im einstelligen Prozentbereich, weshalb das Sortiment in den Umweltbereich ausgedehnt wurde. So gehören Sensoren zur Messung von CO2, VOC (flüchtigen organischen Verbindungen) und PM2.5 (Feinstaub) zum über 300 verschiedene Produkte umfassenden Angebot.

Das breite Sortiment erwies sich in der Pandemie als Glücksfall. Zuerst explodierte die Nachfrage nach Sensoren für die Messung von Atemluftströmen bei Beatmungsgeräten, danach sorgte der Trend zur Überwachung der Luftqualität in Innenräumen für eine Sonderkonjunktur. Umsatz, Gewinn und Aktienkurs schossen in die Höhe.

Umso heftiger und langwierig fiel die anschliessende Normalisierung aus. Erst jetzt scheint das Gröbste überstanden zu sein. Seit dem Tief (57.70 Fr.) vor vier Monaten haben sich die Sensirion-Aktien (im Sog des Gesamtmarktes) um 16% erholt. Für einige Analysten nehmen sie damit aber schon zu viel vorweg. Lediglich zwei Analysten führen für Sensirion Kaufempfehlungen, während vier sie mit «Halten» einstufen und einer (UBS) mit «Verkaufen».

Wegen der derzeit extrem hohen Bewertung – was am Anfang einer Trendwende jedoch die Regel ist – werden die Titel gemieden. Auf Basis des für die nächsten zwölf Monate prognostizierten Gewinns beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) abenteuerliche 120 oder rund das Doppelte des bereits hohen Durchschnittswerts der vergangenen fünf Jahre.

Wird lediglich der für 2025 geschätzte Gewinn von 1.27 Fr. je Aktie (Konsens Bloomberg) genommen, reduziert sich das KGV auf 52, was ungefähr dem Mittelwert entspricht, wenn man die einmalige Gewinnhausse während der Pandemie ausklammert. Das ändert indes wenig daran, dass die Sensirion-Valoren derzeit bewertungsmässig keinen Support haben. Auch im Vergleich mit der Konkurrenz (Schweizer Halbleiterzulieferer, Silicon Labs, Melexis, Sensata) sind sie (wie immer) höher bewertet.

Das Schlimmste scheint vorüber zu sein

Die vor knapp zwei Wochen publizierten Zahlen zur ersten Jahreshälfte fielen gut bis besser aus als erwartet, konnten die Skeptiker aber nicht umstimmen. Der Umsatz stieg organisch und in Lokalwährung gemessen um 8,9% auf 128 Mio. Fr. Ohne Berücksichtigung des AiSight-Abschreibers resultierte eine Ebitda-Marge von 4,6%, was weniger als im Vorjahr (8,7%) war, aber weniger schwach, als es die Analysten im Vorfeld befürchtet hatten.

Gut entwickelten sich die Verkäufe an Kunden aus den Bereichen Automobil (+14%) und Industrie (+31%). Das Segment Medizintechnik (–42%) indes spürte den Lagerabbau im Zusammenhang mit Beatmungsgeräten, der erst Ende Jahr beendet sein soll. Finanziell schmerzt das besonders, weil es sich dabei um höhermargige Anwendungen handelt.

Zumindest die Prognose für das Gesamtjahr wurde bestätigt: Ein Umsatz von 250 bis 280 Mio. Fr. sowie eine Ebitda-Marge im Bereich von 5 bis 10% (2023: 4,3) werden in Aussicht gestellt. Nach dem miesen 2023 wird 2024 ein Übergangsjahr für Sensirion.

Kurzfristige Katalysatoren

Nach einhelliger Meinung wird 2025 deutlich besser sein. Damit sich die erwartete Genesung manifestiert, muss das Geschäft mit Gaslecksensoren ein Volltreffer werden. Die Chancen stehen gut. Weil in den USA neue Klimaanlagen mit weniger umweltschädlichen, aber leichter entflammbaren Kühlmitteln betrieben werden müssen, ist ein lukrativer Markt für Gaslecksensoren entstanden. Wie gross er sein wird, ist schwierig zu quantifizieren. ZKB geht von jährlich mindestens 100 Mio. Fr. aus.

Das Sensirion-Management ist überzeugt, dass es auch dort eine dominante Rolle spielen kann, weil es seit über zwanzig Jahren in diesem Bereich aktiv ist und mit den meisten Produzenten der Klimageräte eng zusammenarbeitet. Erste Einnahmen wurde schon im ersten Semester 2024 erwirtschaftet. Nach Berechnungen von Analysten könnten im kommenden Jahr damit bis zu 5% des Umsatzes erzielt werden und später deutlich mehr. Das hängt davon ab, welche Messtechnik sich als Standard durchsetzt und wie gut sich Konkurrenten wie die amerikanische Sensata 📈in diesem Markt positionieren. Das Ergebnis steht noch aus.

Mittelfristig sollte es Sensirion gelingen, die in Aussicht gestellte Ebitda-Marge von 17% zu erreichen, was aber nicht vor 2026 sein dürfte. Die während der Pandemie erzielten Margen von über 30% bleiben wohl einmalig. Doch die Konkurrenz beweist, dass in diesem Geschäft beständige Margen von über 20% machbar sind.

Am Kapitalmarkttag vom kommenden November wird sich das Management von Sensirion nach drei Jahren wieder den Investoren präsentieren. Die Erwartungen sind bescheiden. Mit mehr als Zusatzinformationen zu laufenden Projekten sowie einer Bestätigung der Mittelfristziele rechnen die Analysten nicht.

Mit Retuschen ist es nicht getan

Für eine Wende zum Guten wird das nicht reichen. Das Management muss beweisen, dass es gewillt ist, die Kostenstruktur zu flexibilisieren und bei der Forschung effizienter zu werden. Eine unternehmerische und von Innovation geprägte Firmenkultur reicht nicht aus, um im launischen Technologiesegment erfolgreich zu sein.

Gemäss dem Unternehmen seien alle laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekte einer «kritischen Überprüfung» unterzogen worden. Der Ausstieg bei AiSight ist eine Folge davon, kann jedoch nur der Anfang sein. Der grosse Wurf gelingt erst, wenn das Geschäftsmodell den Anforderungen genügt, beständige Margen zu erzielen. Die Lehren aus der Pandemie – und dem Abschwung danach – sind (noch) nicht gezogen.

Das Beispiel U-Blox zeigt, dass dafür oft ein Anstoss durch externe Investoren nötig war. Sensirion hat die Chance, zu beweisen, dass ihr der Fokus auf Effizienz aus eigener Kraft gelingt. Dann wären ihre Aktien auch wieder für längerfristige Engagements geeignet.

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