Freitag, Oktober 18

Tech-Milliardär Elon Musk kontrolliert mehr als die Hälfte aller aktiven Satelliten. Diese verbinden bald normale Smartphones mit dem Internet. Das dürfte den einen oder anderen Diktator zum Zittern bringen.

Kein Witz, kein Pathos, sondern ein simples «Hellow» war die erste Nachricht, die mit einem Smartphone über das Satelliteninternet von SpaceX, dem Raumfahrtunternehmen von Elon Musk, versandt wurde. Dies zeigt ein Bild von SpaceX, das am 11. Januar auf X veröffentlicht wurde. «Much wow» und «Never had such signal» lauteten weitere Nachrichten im Chat.

Der Vorfall zeigt: Um Zugang zum grössten Satellitennetzwerk zu haben, braucht es bald keine Satellitenschüsseln mehr, wie sie in der kriegsversehrten Ukraine zu Tausenden zum Einsatz kamen, es reichen moderne Smartphones.

Im Moment funktioniert laut Starlink, dem Satellitenservice von SpaceX, zwar erst das Versenden und Empfangen von Textnachrichten. Aber schon im kommenden Jahr sollen auch die Internettelefonie und das eigentliche Surfen im Netz dazukommen. Das dürfte die Geopolitik des Internets verändern und Elon Musk eine weitere Fülle von Macht verschaffen.

Über 60 Prozent aller aktiven Satelliten gehören Starlink

Möglich machen dies die rund 5300 aktiven Satelliten von Starlink, die gegenwärtig in einer Höhe von rund 550 Kilometern die Erde umkreisen. Seit 2019 schiesst SpaceX beinahe wöchentlich Satelliten ins All. Sie rasen mit einer Geschwindigkeit von 27 000 Kilometern in der Stunde um die Erde. Das ist rund dreimal so schnell wie eine Gewehrkugel.

Die meisten Starlink-Satelliten fliegen in erdnahen Umlaufbahnen, also etwa 550 Kilometer von der Erde entfernt. Dort befinden sich auch die Internationale Raumstation (ISS) und das Hubble-Teleskop.

Starlink konzentriert sich auf den erdnahen Orbit, weil es von dort möglich ist, Geräte auf der Erde ohne grosse Verzögerung anzufunken. Satelliten in der geostationären Umlaufbahn, also 35 786 Kilometer von der Erde entfernt, haben eine höhere Latenzzeit, die Empfangsgeräte auf der Erde müssen also länger auf ein Signal warten. Wer Dienste wie Videotelefonie über Satelliteninternet anbieten möchte, tut dies also idealerweise von möglichst nah.

Im erdnahen Orbit ist Starlink vorherrschend, kein anderes Unternehmen hat auch nur annähernd so viele Satelliten. Doch auch in der Gesamtbetrachtung ist Starlink dominant: Heute kontrolliert das Unternehmen 64 Prozent aller 8400 aktiven Satelliten.

Und Starlink wird seine Dominanz in den kommenden Monaten voraussichtlich weiter ausbauen: SpaceX will 7500 weitere Satelliten ins All schicken, dies hat die amerikanische Regierung bereits bewilligt. Die neuen Satelliten namens Starlink V2 Mini sind etwa so schwer wie kleine Autos und haben anders als ihre Vorgänger die Technologie an Bord, die es braucht, um Smartphones auf der Erde mit Mobilfunk in der Stärke von 4G zu versorgen.

Damit dürfte Starlink in den kommenden zwei Jahren das erste Satellitennetzwerk sein, das eine ähnlich gute Verbindung auf Smartphones bringt wie heute Mobilfunkanbieter wie Swisscom in der Schweiz oder die Deutsche Telekom mit dem klassischen Mobilfunk über Antennen. Starlink ist damit aller Konkurrenz Jahre voraus. Kein anderes Unternehmen schafft auf absehbare Zeit Vergleichbares.

Hinter der Megakonstellation, wie das Starlink-Netzwerk auch genannt wird, steht der Tech-Milliardär Elon Musk. Er besitzt 42 Prozent aller SpaceX-Aktien, kontrolliert aber 79 Prozent der Aktienstimmrechte. Damit muss Musk sich mit niemandem abstimmen, bevor er entscheidet, wo, für wen und wann die Satelliten Internet freischalten.

Zugang zum freien Internet für Regimekritiker in Iran

Wie stark solche Entscheide politisch gefärbt sein können, zeigen mehrere Vorfälle mit dem Starlink-Netzwerk. Zum Beispiel in Iran im September 2022, als Regimekritiker nach der Tötung der 22-jährigen Mahsa Amini die grösste Protestwelle seit über vierzig Jahren lostraten. Die junge Frau hatte sich dem Zwang zum Kopftuch verweigert, war von der Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und dabei tödlich verletzt worden. Als dies bekanntwurde, brachen Schock und Zorn aus im ganzen Land, in über 160 Städten gab es Proteste.

Die Regierung unterdrückte die Demonstrationen mit Gewalt. Aus Angst, die aufgebrachten Menschen könnten sich zu einem Netzwerk von Aufständischen zusammenfinden, blockierte sie den Zugang zu Whatsapp und Instagram. Das Internet wurde gar kurzzeitig ganz ausgeschaltet.

In den USA verfolgte man den Konflikt im Land des schon fast traditionellen Feindes mit grossem Interesse. Könnte es diesem aufständischen Volk gelingen, die Regierung – oder mindestens ihren Antiamerikanismus – wegzufegen?

In der Hoffnung, die Demonstrierenden zu stärken und die Regierung zu schwächen, lockerten die USA am 23. September die Sanktionen gegen Iran, gerade so weit, dass das Starlink-Netzwerk aktiviert werden konnte. Damit erhielten die Demonstrierenden, mindestens theoretisch, Zugang zum Internet – und zwar nicht zum zensierten iranischen, sondern zum freien amerikanischen.

Ohne Schüssel geht alles schneller

Die Sache kam dann anders als erhofft: Den Menschen in Iran fehlten die Satellitenschüsseln, die es bis heute für den Zugang zum Satelliteninternet noch braucht. Die Schüsseln mit einem Durchmesser von etwa 60 Zentimetern konnten nur vereinzelt und unter Lebensgefahr ins Land geschmuggelt werden.

Weiter blockierte Iran innerhalb weniger Stunden nach der Aktivierung des Satelliteninternets die Website von Starlink. Regierungsnahe Akteure schalteten derweil eine gefälschte Starlink-Site auf, um Personen zu identifizieren, die Starlink gerne aufgesucht hätten, und installierten ein Schadprogramm auf ihren Geräten. So berichtete es das englische Newsportal von al-Jazeera.

Insgesamt hat die Freischaltung von Starlink damit den Demonstrierenden wohl mehr geschadet als genützt. Doch hätte es damals bereits ein Satelliteninternet gegeben, das ohne Schüssel, sondern direkt mit dem Smartphone hätte erreicht werden können, wäre das Resultat vielleicht ein anderes gewesen.

Viele Regierungen schalten Kritiker stumm

Iran ist kein Einzelfall. Laut der Nichtregierungsorganisation Internet Society, die Protokoll über Netzsperren in allen Ländern der Welt führt, gab es in den vergangenen 12 Monaten über 120 politisch motivierte Internetblockaden. Besonders häufig sperrt Indien den Zugang zum Netz, oft in Verbindung mit dem Kaschmir-Konflikt, aber auch in anderen Regionen, nach Wahlen oder bei Protesten gegen unpopuläre Entscheide von Lokalregierungen.

Weiter gab es Netzsperren in Pakistan während der Wahlen im Februar, wodurch Wählerinnen und Wähler keine Fahrgelegenheiten zu den Wahllokalen organisierten konnten, in Senegal, als die Zentralregierung den Oppositionsführer verhaften liess, in Mauretanien, als ein junger Mann in Polizeigewahrsam zu Tode kam, in Guinea, als Regimekritiker gegen die Junta-Regierung protestierten, in Äthiopien, wo blutige Konflikte zwischen der Zentralregierung und regionalen Machthabern ausgetragen werden, oder in Gabon, nach der Wiederwahl des Diktators, der sogleich von der Armee aus dem Amt geputscht wurde – um nur einige Fälle aus den vergangenen Monaten zu nennen.

Diese Länder schalten immer wieder das Internet ab

Internet-Shutdowns seit 2019

Dass es auch in den kommenden Jahren zu politisch motivierten Netzsperren kommt, ist also absehbar. In welchen Fällen Elon Musk mit Starlink eingreift, hingegen nicht. Musk gilt als impulsiv, er handelt manchmal schnell, ohne alle Konsequenzen durchzudenken. Bei Ausbruch des Krieges zwischen Israel und der Hamas versprach Musk, Hilfsorganisationen im Gazastreifen mit Satelliteninternet zu versorgen. Hilferufe aus anderen Ländern mit Konflikten blieben unbeantwortet.

Musk handelt nicht immer im Interesse der USA

Dass Musk nach eigenem Gutdünken und damit nicht immer im Interesse der amerikanischen Regierung handelt, zeigte er im Ukraine-Krieg: Die ukrainischen Streitkräfte planten im Herbst 2022 einen Drohnenangriff auf die russische Schwarzmeerflotte, die im Hafen in Sewastopol auf der annektierten Halbinsel Krim ankerte. Sechs Marinedrohnen hätten über das Starlink-Netzwerk zu ihren Zielen gesteuert werden sollen.

Doch dann gab Musk das Internet für die Krim nicht frei, wie er rund ein Jahr nach dem Vorfall in einem Post auf X bestätigte, womit der Angriff nicht durchgeführt werden konnte. Musk lehnte, wie er später sagte, die dringliche Bitte der Ukraine zur Aktivierung des Netzwerks auf der Krim ab, weil er befürchtete, dass Russland mit einer Atombombe zurückschlagen könnte.

Es sei lange her, dass sich eine Einzelperson in den USA inmitten eines Krieges so offen über die Interessen der amerikanischen Regierung hinweggesetzt habe, zitiert die «New York Times» einen ehemaligen Angestellten des amerikanischen Verteidigungsdepartements zu dem Vorfall.

Ein Fenster der Freiheit für kleine Diktaturen?

Diese Episoden zeigen: Starlink gibt Elon Musk viel Macht darüber, welche Gruppen sich über das freie Internet organisieren können – und welche nicht.

«Die Diktatoren dieser Welt müssen sich nun warm anziehen», sagt Jürg Leuthold, der an der ETH Zürich an Satellitentechnologie und Laserkommunikation forscht. Für ihn war absehbar, dass Satellitennetzwerke Internet auf Mobiltelefone bringen. Dass dies schon in den kommenden Monaten geschehen könnte, überrascht ihn aber.

«Zwar dürfte Satelliteninternet, sobald es dann wirklich auf dem Smartphone verfügbar ist, noch viel kosten. Doch inzwischen ist absehbar, dass Starlink das freie Internet theoretisch überall auf der Welt einschalten könnte», sagt Leuthold.

So auch in China, wo das Internet stark zensiert ist und alle auch nur entfernt regierungskritischen Wortäusserungen sofort gelöscht werden. Da Musk mit seiner Tesla-Gigafactory in Schanghai auf den Goodwill der chinesischen Regierung angewiesen ist, ist dies nicht zu erwarten. Doch in kleineren Diktaturen, die den Ärger von Elon Musk auf sich ziehen, könnte unter Umständen dank der neuen Technologie ein Fenster der Freiheit aufgehen.

Ein Kandidat dafür wäre Nordkorea. Bekanntlich hegt Musk für den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un wenig Sympathie. So sagte Musk in einem Podcast im Sommer 2022 auf die Frage, ob er zu einem Faustkampf gegen Kim antreten würde: «Ich würde nicht Nein sagen.»

Im Fall von Nordkorea könnte das freie Internet unter Umständen vieles verändern. Laut Angaben von Reuters haben fast 70 Prozent aller Haushalte im Land ein Mobiltelefon, aber nur ein Prozent hat Zugang zum Internet. Das nordkoreanische Internet ist derweil so stark zensiert, dass es als Intranet bezeichnet wird.

Doch sowohl für Nordkorea wie auch für Länder mit besserer Mobilfunk-Durchdringung gilt: «Autoritäre Regierungen werden ihre Wege finden, um ihrer Bevölkerung das freie Internet vorzuenthalten», sagt Sarah Wiedemar, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Security Studies der ETH Zürich, die unter anderem zur Militarisierung des Weltraums forscht. So könnten Regierungen Störsender einrichten, um ihre Bevölkerung vom freien Internet abzuschirmen.

Damit würden sie aber unter Umständen auch das lokale Internet abwürgen – was wiederum grosse wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen würde. So könnte ähnlich wie in Iran der Effekt des Satelliteninternets unter dem Strich auch negativ sein.

So oder so: Satelliteninternet reiht sich ein in die Technologien, die zum globalen Machtfaktor werden. Mit Starlink schafft Elon Musk neue Fakten für die Geopolitik. Er bringt Diktatoren zum Zittern und nimmt nach eigenem Gusto Einfluss auf Konflikte. Damit wird einer der reichsten Menschen der Welt noch mächtiger.

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