Freitag, Januar 24

Schafmagen auf dem Teller, Stoff um die Hüften: Das «Burns Supper» fordert den Gaumen und den guten Geschmack. Für Reisende ist es die perfekte Chance, Schottlands Essenz zu erleben.

O mein Gott, worauf habe ich mich da bloss eingelassen? Ausgerechnet ich hob den Finger, als der Küchenchef eines Traditionslokals im schottischen Inverness fragte, wer von seinen Gästen den Mut habe, das Nationalgericht Haggis zu verkosten. Dabei werde ich zu Hause schon zum Teilzeitvegetarier, sobald Lamm auf den Tisch kommt.

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Ich ertrage den Geschmack von Schaffleisch einfach nicht. Was hat mich da bloss geritten? Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich reisse mich zusammen und schreite der Bedeutung des Augenblicks entsprechend feierlich – und wohl etwas verkrampft lächelnd – hinter einem selbstverständlich in einen Kilt gekleideten Dudelsackspieler und dem Koch des Hauses her.

Dieser trägt mit bedeutungsschwerer Miene und ausgestreckten Armen den Haggis auf einem Silbertablett durch das Restaurant zu einem Podium, auf dem ein riesiges Messer liegt. So will es die Zeremonie, die jedes Jahr am 25. Januar zum «Burns Supper» abgehalten wird – dem Gedenkfest für den schottischen Nationaldichter Robert Burns. 1786 schrieb er eine achtstrophige «Ode an den Haggis» – den mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett, Zwiebeln (alles klein gehackt) und Hafermehl gefüllten Schafmagen.

Der fettige Klops entblösst sein Inneres

Der Zeremonienmeister drückt mir das Messer in die Hand und beginnt mit grossem Tamtam Burns’ Ode zu rezitieren. Sie verspottet Feinschmecker und preist den Haggis als einzig wahre Speise.

Zum Glück bleibt mir keine Zeit, über die bevorstehende Verkostung nachzudenken, denn ich muss mich darauf konzentrieren, meinen Einsatz nicht zu verpassen. Der kommt mitten in der dritten Strophe, die sinngemäss fordert, einen schnellen, beherzten Schnitt zu machen.

Das tue ich nahezu todesmutig, und schon reisst der riesige, glänzend fettige Klops auf und legt sein Inneres offen. Kein schöner Anblick, doch nichts gegen das, was mir gleich bevorsteht – die Verkostung.

Was soll’s: Ich schiebe mir eine Gabel voll Haggis in den Mund und merke sofort, diesem Schaf war ein sehr, sehr langes Leben vergönnt. Es schmeckt intensiv nach altem Bock und lässt sich für den Moment nur mit einem kräftigen Schluck schottischen Whiskys neutralisieren.

Später verraten mir einheimische Gäste, die den Haggis offensichtlich mehr schätzen, dass man es auch mit «neeps and tatties», dem süsslichen Püree aus Kohlrüben und Kartoffeln, geniessen könne, das traditionell zum Haggis gereicht wird. Nach der dritten oder vierten Gabel – und mindestens ebenso vielen Schlucken Whisky – gewöhnt sich mein Gaumen allmählich an das schottische Nationalgericht, wenngleich ich nicht behaupten kann, dass es künftig zu meinen Leibspeisen zählen wird.

Der Kochbuchautor wünscht «Mut und guten Appetit»

Für Unerschrockene wie Experimentierfreudige hier das Rezept für den Haggis, zu dem der schottische Kochbuchautor Paul Harris schreibt: «Das folgende Rezept ist nichts für schwache Nerven.»

Man nehme einen Schafmagen, den man kalt auswäscht, umwendet und bei dem man die festen Reste von Magensäure und -schleimhaut mit der stumpfen Seite eines Messers entfernt. Herz, Leber und Lunge des Schafes werden in Brühe gar gekocht. Danach alles fein schneiden, mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss würzen und mit dem Nierenfett, gehackten Zwiebeln und Hafermehl vermischen. Die Masse in den Magen füllen, wobei darauf zu achten ist, dass er nur zu zwei Dritteln voll ist, weil das Hafermehl noch aufquillt. Gut zubinden und rund drei Stunden in Wasser kochen lassen. Und dann: «Nur Mut und guten Appetit!»

Nachdem ich diese typisch schottische Feuertaufe einigermassen gut überstanden habe, fühle ich mich bereit, das Geheimnis des schottischen Nationalgewandes, des Kilts, zu lüften. Und damit die ewige Frage: Was trägt Mann unterm Rock? Die beste Adresse dafür ist das Traditionshaus Chisholm in Inverness. Seit vielen Generationen fertigt die Familie Schottenröcke für Männer und Frauen. Profan gesagt: knielange, gefaltete Wickelröcke. Ein Blick in die Werkstatt zeigt, dass dahinter wahre Kunst steckt.

Massgeschneiderte Faltenröcke für die Königsfamilie

Bevor ich ins Allerheiligste darf, muss ich ein Missverständnis klären. Ian Chisholm, der sein Leben dem Kilt verschrieben hat, hält mich zunächst wohl für eine Kundin. Sein Blick auf meine verwaschenen Jeans verrät wenig Begeisterung. «Haben Sie schon einmal einen Kilt getragen?», fragt er. Als ich verneine, reagiert er very Britishly: «Oh, it’s terrible!» (Oh, das ist ja entsetzlich!) Doch selbst als ich ihm erkläre, dass ich auch künftig auf das – aus seiner Sicht – einzig akzeptable Kleidungsstück verzichten werde, gewährt er mir bereitwillig einen Blick hinter die Kulissen.

«Schauen Sie nur, ist der nicht wunderschön?», fragt Ian und zeigt auf einen ziemlich verschlissenen Kilt, an dem er gerade arbeitet. «Er ist mehr als hundert Jahre alt. Ich darf ihn restaurieren, rund acht Wochen wird es dauern, bis ich ihn dem Besitzer zurückgeben kann.» Liebevoll streicht er über den Rock, den einer seiner Vorfahren gefertigt hat. Vielleicht denkt er ja dabei, dass möglicherweise eines Tages einer seiner Nachkommen einen Kilt aus seiner Werkstatt aufarbeiten wird. Die Chancen dafür stehen gut, denn in über sechzig Jahren, die Ian im Geschäft tätig ist, hat er nach eigenen Angaben etwa 2500 Kilts geschneidert. Darunter, wie er stolz erzählt, auch schon etliche für die Königsfamilie.

Von der Stoffauswahl bis zur Fertigstellung des Kleidungsstücks vergehen etwa zehn Wochen. Allein das Nähen der Falten beansprucht drei bis fünf Tage. Jede Falte wird sorgfältig von Hand geheftet, damit sie exakt und gleichmässig fällt. Das ist entscheidend für die Optik und den perfekten Sitz.

Ein Kilt entsteht aus rund 8 Yards, etwa 7 Meter 30, feinster Schafwolle. Das Karomuster verrät den Familienclan des Trägers. Ursprünglich zeigten Karos jedoch den gesellschaftlichen Stand: Arme trugen einfarbige oder einfach karierte Stoffe, Reiche leisteten sich mehrfarbige Karos.

Ein Kilt ist auch heute noch kostspielig: Je nach Material sollte man 450 bis 600 Pfund (1 Pfund = 1,12 Schweizerfranken) einplanen. Frauen zahlen etwas weniger. Der Unterschied zwischen Männer- und Frauenkilts, erklärt Ian, liege in der variablen Länge der Frauenröcke und einem zusätzlichen seitlichen Verschluss.

Der Rock ist nur eines von acht Teilen, die das Outfit eines echten Schotten ausmachen – ein Anblick, der im Alltag wieder häufiger wird. Dazu gehören passende Schuhe, eine spezielle Jacke, Hemd und Krawatte, wollene Kniestrümpfe mit Strumpfband, ein Ledergürtel mit dem kunstvoll gearbeiteten Sporran (einem Geldbeutel), ein Sgian dubh (ein kleiner Dolch im Strumpf) oder ein Dirk (ein langer Dolch). «Auch junge Leute legen wieder Wert auf das richtige Outfit und tragen es mit grossem Selbstbewusstsein», sagt Ian, für den der Kilt selbstverständlich zur Alltagskleidung gehört.

Von ihm habe ich viel gelernt, doch eine Frage bleibt offen: «Was trägt der Schotte unterm Rock, Ian?» Er lacht und gibt die erwartete Antwort: «Das ist ein grosses Geheimnis.» Als ich den Laden verlasse, ruft er mir fröhlich nach: «Aber ich kann Ihnen versichern, darunter ist alles in bester Ordnung.»

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