Mehrere Medien haben das vollständige AfD-Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz veröffentlicht. Für die Behörde gilt als erwiesen, dass die gesamte Partei gesichert rechtsextremistisch ist.
Was steht im Gutachten des Verfassungsschutzes?
Das rund tausendseitige Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz stützt sich auf öffentlich zugängliche Quellen wie Reden, Parteiprogramme, Social-Media-Beiträge und Publikationen von Funktionären, die als Belege für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD gelten sollen.
Im Fokus stehen dabei vier zentrale Themenfelder: Erstens propagiere die AfD ein ethnisch-abstammungsmässiges Volksverständnis, das dem Staatsvolkbegriff des Grundgesetzes widerspreche. Zweitens verbreite die AfD pauschale Fremden- und Islamfeindlichkeit. Drittens würden einzelne Mitglieder die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren. Die Behörde betont – gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die herausragende Bedeutung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus.
Viertens untergrabe die Partei mit ihren Äusserungen gezielt das Vertrauen in demokratische Institutionen. Als eines von vielen Beispielen werden etwa Sätze des Brandenburger Landtagsabgeordneten René Springer herangezogen, der in einer Rede davon sprach, dass die Gewaltenteilung «nur noch auf dem Papier» existiere. Zusammengenommen deuten diese Aspekte laut dem Verfassungsschutz auf das Bestreben hin, die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausser Kraft zu setzen.
Von wann bis wann hat der Verfassungsschutz die AfD beobachtet?
Schon im Jahr 2019 begann das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der Beobachtung der AfD, damals noch als Prüffall. Im März 2021 erfolgte eine Hochstufung der AfD zum «Verdachtsfall», was dem Verfassungsschutz den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ermöglichte. Eigentlich sollte der Beobachtungszeitraum für das vorliegende Gutachten nur bis Mitte November 2024 andauern. Da sich jedoch im Verlauf des Novembers abzeichnete, dass die Bundestagswahl – ursprünglich für September 2025 geplant – vorgezogen werden könnte, entschied das Bundesamt für Verfassungsschutz, auch Äusserungen im Rahmen des sich anbahnenden Bundestagswahlkampfs für das Gutachten einzubeziehen.
Ist damit wirklich gesichert, dass die AfD auf Bundesebene rechtsextremistisch ist?
Anfang Mai hielt das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer inzwischen gelöschten Pressemitteilung fest, dass es «aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei» die AfD als «gesichert rechtsextremistisch» einstufe. Kurz nach der Veröffentlichung des zugrunde liegenden Gutachtens reichte die AfD Klage gegen diese Einstufung ein und beantragte im Rahmen eines Eilverfahrens einen sogenannten Hängebeschluss. In der Folge pausierte der Verfassungsschutz die öffentliche Kommunikation über die Einstufung – ein informelles Stillhalteabkommen, das nur bis zum Abschluss des Eilverfahrens gilt, aber nicht bedeutet, dass die Behörde von ihrer Einstufung abrückt.
Warum ist das AfD-Gutachten nun doch öffentlich?
Zwar unterliegt das Gutachten der Geheimhaltung, doch schon kurz nach der Bekanntgabe der neuen Einstufung deutete sich an, dass das Magazin «Der Spiegel» das Gutachten zugespielt bekommen hatte. Von wem, ist bis heute unklar. Naheliegend ist, dass Mitarbeiter der Behörde es ausgewählten Medien präsentiert haben. Es ist nicht das erste Mal, dass die Geheimhaltung nicht beachtet wird. Bereits 2019 hatte das Portal «Netzpolitik» ein Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD veröffentlicht.
Gut eine Woche später veröffentlichten mehrere Medien, unter anderem der «Cicero», das vollständige Gutachten mit dem Ziel, für mehr Transparenz zu sorgen und den Lesern die Einschätzung selbst zu überlassen. Zuvor hatte der frühere mecklenburg-vorpommerische SPD-Kultur- und Finanzminister Mathias Brodkorb in einem Beitrag für die «Welt» darauf hingewiesen, dass es sich bei der Veröffentlichung von Zitaten um eine Straftat handeln könnte, da das Dokument als geheim eingestuft sei. Im Vorwort zur Veröffentlichung durch den «Cicero» schreibt Brodkorb nun: «Es gibt keine relevanten geheimdienstlichen Quellen, die es zu schützen gälte.»