Freitag, April 18

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD stellt unter anderem steuerliche Investitionsanreize, einen Industriestrompreis und strengere Regeln für das Bürgergeld in Aussicht. Echte Strukturreformen findet man kaum.

Deutschland brauche eine «Wirtschaftswende», um die lahmende Volkswirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu machen, war im deutschen Wahlkampf immer wieder zu hören. Mit dem von den USA angezettelten Handelsstreit ist dies umso dringlicher geworden.

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An dieser Herausforderung muss sich der Koalitionsvertrag messen lassen, auf den sich die Unionsparteien CDU/CSU und die SPD am Mittwoch geeinigt haben. Von tiefgreifenden Strukturreformen ist darin indessen wenig zu lesen. Stattdessen enthält der umfangreiche Vertrag ein Sammelsurium von Einzelmassnahmen, die aus ordnungspolitischer Sicht zum Teil sogar in die falsche Richtung führen.

Anreize für Investitionen

Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit ist, dass sich die Union mit ihrem Widerstand gegen Steuererhöhungen durchgesetzt hat. Zudem sind einige Entlastungen für Unternehmen vorgesehen: Zur Förderung von Investitionen sollen in den Jahren 2025 bis 2027 Sonderabschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen eingeführt werden. Danach soll ab 2028 die Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne in fünf Schritten von 15 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden. Einschliesslich der auf kommunaler Ebene anfallenden Gewerbesteuer sänke die Gesamtbelastung damit auf rund 25 Prozent.

Für Arbeitnehmer soll es steuerfreie Überstundenzuschläge und nicht näher definierte Entlastungen bei der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen geben. Als Konzession an die SPD soll indessen der Solidaritätszuschlag («Soli») bleiben, ein Steuerzuschlag, den seit 2021 nur noch Unternehmen, Besserverdienende und Kapitalanleger bezahlen müssen.

Kein Mut zur Rentenreform

Mutlos bleibt die künftige Koalition im Bereich Renten. Das Rentenniveau wird bis 2031 gesetzlich bei 48 Prozent garantiert. Gemeint ist, dass eine Standardrente 48 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens eines Arbeitnehmers betragen muss, was steuerfinanzierte Zuschüsse an die Rentenversicherung erfordert. Die «Rente mit 63» soll bleiben, die Mütterrente ausgeweitet werden. Die vereinbarten Reformen hingegen sind eher kosmetisch: So soll 2000 Euro im Monat steuerfrei erhalten, wer als Rentner freiwillig weiterarbeitet.

In «Grundsicherung für Arbeitssuchende» umbenannt und reformiert wird das Bürgergeld (Sozialhilfe). Eine Reihe von Massnahmen, darunter eine Stärkung der Vermittlung in Arbeit, schärfere Sanktionen und eine bessere Abstimmung mit anderen Sozialleistungen, soll mehr Bezüger in den Arbeitsmarkt integrieren.

Weiter will die künftige Regierung Genehmigungsverfahren beschleunigen und Bürokratie abbauen. So soll zum Beispiel nur noch eine Wochenhöchstarbeitszeit bestehen, die Bürokratiekosten für die Wirtschaft sollen um 25 Prozent und der Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung bis 2029 um mindestens 8 Prozent reduziert werden. Hier wird es auf den Tatbeweis ankommen, haben doch schon viele Regierungen Bürokratieabbau versprochen.

Vieles erinnert an die «grosse Koalition» von Union und SPD der späten Merkel-Jahre. Zum einen ist die Neigung geblieben, an vielen Ecken in die Wirtschaft einzugreifen. So hält der Koalitionsvertrag eine Erhöhung des Mindestlohns (für die nicht die Regierung, sondern die unabhängige Mindestlohnkommission zuständig ist) auf 15 Euro im Jahr 2026 für «erreichbar», und er will die Mietpreisbremse um vier Jahre verlängern.

Zum andern erhalten allerlei Interessengruppen gezielte Geschenke: Den Landwirten verspricht die Koalition in spe die Wiedereinführung der Vergünstigung von Agrardiesel, den Gastwirten eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen, den Pendlern eine höhere Pendlerpauschale. Deutlich vager sind im Gegenzug die Pläne zur Überprüfung und Eindämmung der Staatsausgaben. Hierzu ist auch der Druck gering, da sich Union und SPD mit Unterstützung der Grünen bereits vor den Koalitionsverhandlungen auf eine Grundgesetzänderung zur Aufnahme massiv höherer Schulden geeinigt haben.

Senkung der Energiekosten

Neben den hohen Steuern belasten auch die hohen Energiepreise die Attraktivität des Standorts Deutschland. Die energieintensiven Unternehmen haben ihre Produktion seit Ende 2021 um 20 Prozent zurückgefahren.

Die Koalitionäre wollen die Unternehmen daher bei den Energiekosten entlasten. Dazu soll die Stromsteuer auf das europäische Mindestmass gedrückt und die Netzentgelte reduziert und dauerhaft gedeckelt werden. Die Strompreiskompensation für sehr energieintensive Unternehmen soll dauerhaft verlängert werden. Für die übrigen energieintensiven Betriebe soll ein Industriestrompreis eingeführt werden. Um die Kosten für den Netzausbau zu senken, wollen die Koalitionsparteien die Übertragungsnetze, «wo möglich», als Freileitungen verlegen. Bis anhin werden diese mit hohen Kosten unterirdisch verlegt.

Grundsätzlich halten die Koalitionäre am Ziel der Klimaneutralität bis 2045 fest. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen sie die erneuerbaren Energien weiter ausbauen und am Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2038 festhalten. Als Ersatz sollen bis 2030 Gaskraftwerke mit einer Leistung von bis zu 20 Gigawatt zugebaut werden. Sollte sich der Zubau verzögern, halten sich die Koalitionäre die Option offen, die Kohlekraftwerke später vom Netz zu nehmen.

Ebenso wie die Ampelregierung wollen auch CDU, CSU und SPD die Wirtschaft langfristig auf klimaneutral hergestellten Wasserstoff umstellen.

Die erneuerbaren Energien sollen sich «perspektivisch vollständig am Markt refinanzieren können», heisst es im Koalitionsvertrag. Einen Zeitpunkt dafür nennen die Parteien nicht. Private Haushalte, die Solaranlagen nutzen, sollen «Akteure der eigenen Energieversorgung» werden. Bei negativen Preisen am Strommarkt, wie sie an sonnenreichen Tagen und bei einem Überangebot an Strom auftreten, soll eine Nullvergütung für den privat eingespeisten Grünstrom geprüft werden.

Von der Forderung der CDU im Wahlkampf, an der Option der Kernenergie festzuhalten und die Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke zu prüfen, ist in dem Koalitionsvertrag keine Rede. Die Koalition setzt damit ebenso wie schon die «Ampel» allein auf erneuerbare Energien in Verbindung mit Gaskraftwerken. Letztere sollen nicht nur Versorgungsengpässe bei Dunkelflauten verhindern, sondern darüber hinaus den Strompreis stabilisieren.

Kein Wort zur Kernenergie

Anders als die Ampelregierung wollen CDU und SPD die Abscheidung und Speicherung von CO2 mittels der CCS-Technologie auch für Gaskraftwerke ermöglichen. Gespeichert werden soll das Kohlenstoffdioxid sowohl offshore ausserhalb des Küstenmeeres als auch onshore, wo dies «geologisch geeignet und akzeptiert» ist. Die «Ampel» wollte die CCS-Technologie auf Druck der SPD nur für schwer vermeidbare Emissionen im Industriesektor erlauben.

Die unkonventionelle Fördermethode des Frackings, durch die zusätzliche Gasreserven ausgebeutet werden könnten, wird im Koalitionsvertrag nicht erwähnt.

Insgesamt setzen CDU, CSU und SPD in der Energiepolitik auf ein Weiter-so: keine Atomkraftwerke, kein Fracking, heraus aus der Kohle, hinein ins Gas und noch mehr Windräder und Solardächer. Die Energiekosten, die Unternehmen und privaten Haushalten dadurch entstehen, dürften ohne Mittel aus dem Staatshaushalt kaum zu senken sein.

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