Mittwoch, Januar 15

Mit welchem Konzept Gastronomen erfolgreich sein könnten, wird jedes Jahr von Trendforschenden prognostiziert. Vieles davon ist spekulativ: Kommt nun die Rückbesinnung auf Klassiker? Und was ist mit Naturwein oder Cirular Food?

Was sind nicht schon gastronomische Trends ausgerufen und bald darauf stillschweigend wieder einkassiert worden! Die mit Sofas bestückten Liegerestaurants seien die Zukunft, hiess es einst, die vielgängigen Menus dagegen hätten eine selbige nicht mehr. Insekten würden demnächst allüberall als Fast Food verzehrt, und Fine Dining sei eh zum Aussterben verurteilt. Alles falsch. Trendforscher der Gastroszene haben sich schon unzählige Male mit diesen und anderen Aussagen blamiert – auch ich lag bereits ein paar Mal daneben.

Meine Prognose, dass die handgeschriebenen oder ausgedruckten Speisekarten zugunsten der bloss virtuell einsehbaren verschwinden würden, hat sich als Fehlschuss erwiesen. In beinah allen europäischen Gastrobetrieben sind nach wie vor gedruckte Karten zu haben, auch wenn hier und dort (etwa im sehr empfehlenswerten Restaurant Pankratiushof in Mainz) der Kunde erst einmal keine in die Hand gedrückt bekommt und nur den QR-Code sieht.

Storytelling ist wichtig, doch zu viele Storys will niemand hören

Einfach gutes Essen anzubieten, genügt allerdings längst nicht mehr – wenn es überhaupt je genügt hat. Storytelling sei, so erzählen einem viele Experten, wichtiger als die Qualität dessen, was auf den Tisch kommt. Ich halte diese Aussage für falsch. Eine Geschichte zu erzählen über die Tradition des Restaurants, die Lebensgeschichte des Kochs, die Herkunft der Zutaten kann spannend sein. Ein Ersatz für herausragende Qualität und Kochkunst ist es nicht.

Vor allem muss die Geschichte stimmig, darf nicht redundant sein. Ausgezeichnet funktioniert das bei den Sühring-Brüdern in Bangkok. Die beiden zeigen inmitten der asiatischen Metropole das Rezeptbuch der Grossmutter herum, servieren Eierlikör, schenken deutsche Weine aus. Europäische Journalisten mögen das ein wenig plakativ finden. Und dass die erzählte Story in einem Schweizer Restaurant anders ausfallen müsste, ist klar.

Eigenständigkeit ist das Zauberwort

Neben Storytelling ist Eigenständigkeit wohl der Schlüssel zu einem überdurchschnittlichen Zuspruch des Publikums. Das zu verkaufen, was alle anderen auch anbieten, mag kurzfristig funktionieren, ist aber auf Dauer nur selten ergiebig. Das soeben mit drei Sternen ausgezeichnete Restaurant Sorn in Bangkok ist ein Muster für diese rare Form der Gastronomie mit unverwechselbarem Alleinstellungsmerkmal. Man sucht hier mit Absicht rare Produkte, die es nicht überall gibt.

Eigenständigkeit kann aber nicht nur über Menus und Zutaten geschaffen, sondern auch über Events, Dresscode oder besondere Gastfreundschaft erreicht werden. Warum nicht regelmässig spezielle Abende veranstalten? Warum nicht auch einmal einen Smoking beziehungsweise ein Abendkleid zur Pflicht machen? Auftritte von Musikgruppen oder Piano-Livemusik sind ein Trend, der noch nicht richtig gezündet hat – vielleicht ist dies aber auch nur eine Hoffnung der Gastrojournalisten.

Zero Waste, Nose to Tail und Circular Food?

Trendforscher sollte man danach bewerten, wie oft sie Fremdwörter verwenden. Ist in ihren Berichten häufig von Natural Wine, Zero Waste oder Leaf to Root die Rede, sollte man das Weite suchen. Alkoholfreie Getränke über Apfelschorle hinaus gehören gewiss auch in Zukunft zum Standard der Gastronomie, doch ob sich ein Grossteil der Gäste zukünftig für Circular Food interessiert, also die Kreislaufverwertung der Produkte, ist fraglich. Da werden gern einmal Trends herbeiphantasiert.

Wahrscheinlicher ist wohl, dass in Zeiten politischer Unsicherheiten erstens die Übertreibungen ein bisschen zurückgehen, also etwa die Weinkarten kürzer werden. Andererseits dürften Wirtshäuser der alten Art an Bedeutung gewinnen. Ob Coq au Vin oder Kaiserschmarrn: Sich an Klassikern festzuhalten, wenn es draussen gerade stürmt und regnet, ist ein wiederkehrender Trend. Nicht auszuschliessen ist zudem, dass der aus der Mode gekommene Digestif 2025 zwecks allgemeiner Sedierung wieder Einzug hält. Aber, vielleicht kommt auch alles ganz anders …

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