Sonntag, November 24

Für ihre Kinder bestellte sie farbige Wasserpistolen auf Amazon. Statt des Pakets kam der Brief von der Polizei mit der Vorladung zur Einvernahme. Was hinter der Jagd der Schweizer Behörden auf Spielzeugwaffen steckt.

Für viele Eltern beginnt Weihnachten bereits im Herbst. So auch für eine Mutter aus einer Zürcher Gemeinde, die frühzeitig mit dem Einkauf der Geschenke beginnt. Ihre Kinder wünschen sich eine «coole Wasserpistole» unter den Baum. Fündig wird die Mutter und Hausfrau, die für diesen Artikel anonym bleiben möchte, bei der deutschen Plattform des Onlinehändlers Amazon.

Auf amazon.de findet sie eine grosse Auswahl in allen Farben und Formen. In Kenntnis der Vorlieben ihrer Kinder entscheidet sie sich für eine Wasserpistole «Mini» in Blau und Grau und für eine elektrische Wasserpistole in Weiss, Rot und Orange. Beide werden als Spassobjekte für Kinder und Erwachsene angepriesen, bei beiden werden Fotos von Familien gezeigt, die sich lachend abspritzen. Bei beiden wird zudem darauf hingewiesen, dass die Produkte in die Schweiz geliefert werden.

Dann aber folgt der Schock: Statt des Pakets erhält die Mutter einen Brief der Kantonspolizei. Inhalt: eine «Vorladung zur Einvernahme als beschuldigte Person». Als Begründung wird ein «Strafverfahren betreffend Vergehen gegen das Waffengesetz, beziehungsweise der Einfuhr einer meldepflichtigen Imitationswaffe ohne Einfuhrbewilligung» angeführt.

Die Frau erschrickt zutiefst, versteht aber nicht, was sie beim Kauf der Wasserpistolen falsch gemacht haben könnte. In Absprache mit ihrem Mann, beide stammen aus dem angelsächsischen Raum, entscheidet sie sich deshalb, allein und ohne Anwalt zur Einvernahme zu gehen.

Lächerliches Vorgehen?

Im Laufe der Befragung wird ihr gezeigt, dass die von ihr bestellten Wasserpistolen mit echten Feuerwaffen verwechselt werden könnten. Und damit laut dem Schweizer Gesetz echten Waffen gleichgestellt seien. Der Erwerb hätte nur mit entsprechender Bewilligung erfolgen dürfen. Als Konsumentin trage sie die Verantwortung, dass bestellte Produkte Schweizer Recht entsprächen, wird ihr gesagt.

Die Frau schildert, dass die Befragung formell korrekt und sachlich abgelaufen sei. Sie selber sei allerdings immer emotionaler geworden und habe fast das gesamte Gespräch über geweint. Nach der Befragung unterschreibt sie das Gesprächsprotokoll, das ihr bis heute nicht vorliegt. Ihr Fall soll jetzt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft liegen, möglich wären wohl eine Einstellung oder ein Strafbefehl mit einer Busse.

Auf den ersten Blick erscheint das Vorgehen der Behörden lächerlich. Hat der Schweizer Zoll nichts Besseres zu tun, als Spielzeugwaffen zu konfiszieren? Auch Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft klagen oft über zu viel Arbeit – kein Wunder, ist man versucht zu sagen, wenn sie sich auch um solche Bagatellen kümmern müssen.

Spiel und Spass für Eltern und Kind: So wirbt der Online-Versandhandel Amazon in Deutschland für die bestellten Wasserpistolen «Mini».

Ganz so einfach sei das nicht, geben Befragte zu bedenken. Ein Polizist erinnert sich, auf einer Patrouille schon einmal die Waffe gegenüber 13- oder 14-jährigen Jugendlichen gezogen zu haben. Damals sei ein herumlaufender Amokschütze gemeldet worden. Jene Jugendlichen hätten selbst Waffen aus Holz hergestellt und basierend auf Fotovorlagen angemalt. Aus der Entfernung hätten sie wie echte Waffen gewirkt, die Jugendlichen hätten zudem Tarnkleidung getragen. In solchen Situationen sei es Glückssache, wenn man merke, dass es sich nicht um eine richtige Waffe handle, so der Polizist.

Auf Anfrage verweisen sowohl die Kantonspolizei Zürich als auch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) auf ein Fedpol-Merkblatt. Dieses zeigt Fotos von Spielzeugpistolen, die zulässig sind, und solchen, die das eben nicht sind.

Vergleicht man die Fotos, sind die Unterschiede für den Laien nicht klar ersichtlich. Die bestellten Wasserpistolen und die im Merkblatt angeführten erlaubten Spielzeugwaffen sehen sich sehr ähnlich. Beide sind farbig, beide sehen nach einem Plastikprodukt aus. Tatsächlich handle es sich bei jedem Fall um einen Einzelfallentscheid, ist denn auch zu hören.

Entscheidend dafür, ob eine Spielzeugwaffe vom Zoll aus dem Verkehr gezogen wird, ist allerdings primär die Form. Personen, welche die besagten Wasserpistolen anschauten, erklärten, dass vor allem die Wasserpistole «Mini» der klassischen Dienstpistole der Polizei täuschend ähnlich sehe, auch von der Grösse her. Aber auch die elektrische Wasserpistole sei nicht unbedenklich, so ein Polizist, denn sie gleiche von der Form her als Ganzes dem Sturmgewehr Uzi. Die israelische Maschinenpistole gilt als eine der bekanntesten der Welt.

Regelmässig im Sommer

Wenig Bedeutung hat dagegen die Farbe. Ein Angehöriger der Armee betont, dass es auch echte Pistolen in Pink gebe. Und fasst die eigenartig anmutende Situation zusammen: In der Schweiz dürfen echte Waffen wie Spielzeugwaffen aussehen, umgekehrt aber dürfen Spielzeugwaffen nicht echt aussehen. Ergibt das Sinn?

Ja, betont ein Polizist und verweist auf die relativ tiefe Quote von Tötungsdelikten mit Waffen in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern mit ähnlich vielen Waffen pro Haushalt. Das liege am strengen hiesigen Waffengesetz, aber auch daran, dass man hierzulande sehr stark auf die Sicherheitsvorschriften im Umgang mit Waffen achte, sagt der Polizist.

Der geschilderte Fall ist kein Einzelfall. Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) führt zwar keine Statistik zur Sicherstellung von Spielzeugpistolen und -gewehren. Doch würden hauptsächlich in den Sommermonaten «regelmässig Wasserpistolen festgestellt», die aufgrund ihres Aussehens mit echten Waffen verwechselt werden könnten, so das BAZG. Würden solche Sendungen sichergestellt, müsse die Polizei die Hintergründe abklären, dazu gehöre auch die Einvernahme. Einen Entscheid fällt dann der zuständige Staatsanwalt.

Eltern in der Schweiz stehen vor einem Dilemma. Da hierzulande nur sehr kindlich anmutende Spielzeugwaffen verkauft werden dürfen, landen Eltern rasch auf ausländischen Websites. Ob in Deutschland weniger strenge Regeln gelten, dazu will sich niemand äussern. Dass es länderspezifisch riesige Unterschiede gibt, ist aber klar. So kann man in Kalifornien in einigen Läden in der Kinderabteilung echte Waffen kaufen.

Für Konsumenten wäre es hilfreich, wenn Händler auf das geltende Schweizer Gesetz hinwiesen. Eine Amazon-Sprecherin erklärt einzig, dass «Kundenzufriedenheit unsere oberste Priorität ist und wir intensiv daran arbeiten, ein grossartiges Einkaufserlebnis zu schaffen. Wenn Kundinnen oder Kunden Probleme mit ihren Bestellungen haben, empfehlen wir ihnen, sich direkt an unseren Kundenservice zu wenden, damit wir der Sache nachgehen und entsprechende Massnahmen ergreifen können.»

Für die Mutter aus unserem Beispiel ist aber klar: Sie wird nie wieder Spielzeugwaffen im Internet bestellen.

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