Tief in der Erde wird Wasserstoff ständig neu gebildet – auch unter der Schweiz. Weltweit suchen Forscher nach wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen und nach Förderverfahren. Das Gas ist als grüner Energieträger heiss begehrt. Die Unsicherheit ist aber noch gross.
Wasserstoff gilt als ein Rohstoff der Zukunft. Er könnte Lkw und Flugzeuge klimafreundlich antreiben – ohne CO2-Ausstoss. Auch in der Industrie soll er als Energieträger helfen, vom fossilen Öl und Gas wegzukommen. Allerdings gelingt das bis jetzt kaum: Wasserstoff wird heutzutage überwiegend aus Erdgas hergestellt. Klimafreundlich wird das Gas erst, wenn es per Elektrolyse mit «grünem» Strom erzeugt wird. Ob auf diese Weise grosse Mengen kostengünstig geliefert werden können, ist allerdings strittig.
Forscher haben nun eine weitere Quelle entdeckt, die den Mangel beheben könnte: Wasserstoff, der direkt aus der Erde kommt. Das Gas wird offenbar fortwährend in der Tiefe gebildet, man hat es aber bis anhin meist übersehen. Weil nicht gezielt danach gesucht wurde oder weil das reaktive Element schon bald neue Verbindungen eingegangen war, etwa mit Sauerstoff zu simplem Wasser.
Einzelne Funde, beispielsweise in Mali, haben zu einem Umdenken geführt. Bei geochemischen Analysen in Bohrlöchern schaut man nun auch verstärkt auf Wasserstoff. Inzwischen sind etliche Vorkommen entdeckt worden, darunter in Spanien, Frankreich, Albanien und Australien.
Weltweit könnte es Billionen Tonnen Wasserstoff geben
In einer aktuellen Studie in «Science Advances» schätzt Geoffrey Ellis vom staatlichen geologischen Dienst der USA (USGS) die globalen Ressourcen auf rund fünf Billionen Tonnen, freilich mit erheblicher Unsicherheit. Der grösste Teil davon werde nicht wirtschaftlich gewinnbar sein, schränkt er ein. Die Vorkommen dürften zu tief, zu weit entfernt im Meeresboden oder zu klein sein. Doch selbst wenn nur ein kleiner Teil davon erschlossen würde, liesse sich der erwartete Bedarf von jährlich bis zu 400 Millionen Tonnen Wasserstoff decken.
Derzeit sind das nur theoretische Überlegungen. Rund um den sogenannten weissen Wasserstoff herrscht noch viel Ungewissheit. Es beginnt damit, die Vorkommen überhaupt aufzuspüren. Bisher geschah das meist zufällig, zum Beispiel in Lothringen.
Wissenschafter um Jacques Pironon von der Université de Lorraine wollten in mehr als 300 Millionen Jahre alten Sedimenten aus dem Karbon den Methangehalt ermitteln. Womöglich, so dachten sie, würde sich eine Gewinnung lohnen, um Erdgasimporte zu verringern. Mit einer neu entwickelten Sonde, die gelöste Gase im Tiefenwasser erfasst und somit wesentlich genauer ist, standen sie 2020 an einem Bohrloch bei Folschviller in Lothringen und legten los.
«Wir fanden Methan, wie erwartet, aber auch Wasserstoff. Den hatte zuvor niemand da unten gemessen», erzählt er. «Das Besondere war: Der Gehalt stieg immer weiter an, je tiefer wir kamen.» Bis 1500 Meter, dann war der Grund des Bohrlochs erreicht. Die Forscher rätselten. Würde in grösserer Tiefe noch mehr sein? Wo kam der Wasserstoff überhaupt her?
Das Gas bildet sich in der Erde durch verschiedene Prozesse
Es gibt verschiedene Vorgänge im Erdinnern, die für die Bildung von Wasserstoff infrage kommen. Als wesentlich gilt zum einen die Radiolyse: Ionisierende Strahlung spaltet Wassermoleküle auf, die aus Sauerstoff- und Wasserstoffatomen bestehen. Die Strahlung stammt aus dem Zerfall radioaktiver Isotope wie Kalium und Uran, die in Granit und anderen kristallinen Gesteinen gehäuft vorkommen.
Ein weiterer Prozess ist die sogenannte Serpentinisierung. Diese chemische Reaktion läuft in Gesteinen ab, die arm an Silikaten und reich an Eisen sind. Das Eisen wird bei Anwesenheit von Wasser oxidiert, es entsteht freier Wasserstoff. Am leichtesten läuft der Prozess bei 200 bis 300 Grad Celsius ab, diese Temperatur herrscht typischerweise in Tiefen zwischen 7 und 10 Kilometern.
Im lothringischen Becken ist es offenbar anders. «Wir haben zwei Hypothesen», sagt Pironon. Die Karbonschichten enthalten unter anderem Kohle. Beim Abbau dieser organischen Substanz in grosser Tiefe kann Wasserstoff frei werden. Der Geochemiker vermutet aber eine andere Herkunft: Dort unten befinden sich auch eisenreiche Karbonatminerale. Reagieren diese mit Wasser, sollte ebenfalls Wasserstoff entstehen – ähnlich wie bei der Serpentinisierung.
Aufklärung erhofft sich Pironon von einer weiteren Bohrung. Sie soll im Sommer erfolgen und mindestens 3 Kilometer in die Tiefe reichen. «Dann werden wir sehen, ob der Wasserstoffgehalt weiter ansteigt und ob unser Modell richtig ist.» Gemäss bisherigen Berechnungen lagern in dem 490 Quadratkilometer grossen Becken rund 34 Millionen Tonnen Wasserstoff. Das ist rund ein Drittel der gegenwärtigen globalen Jahresproduktion.
Eine Membran soll helfen, den Wasserstoff zu gewinnen
Für die Gewinnung verfolgt das Team aus Wissenschaft und Industrie ein neues Konzept. Das Gas bildet keine grosse Blase, sondern ist im Wasser gelöst. Mittels Trennverfahren an einer feinen Membran soll es direkt in der Tiefe gewonnen werden. Das verringere Umweltgefahren, weil kein Tiefenwasser nach oben geholt und verarbeitet werde, sagt Pironon. «In drei Jahren könnte die Förderung beginnen.» Sofern die Technologie einsatzfähig ist und die geologischen Voraussetzungen passen.
Im besten Fall würde da unten ständig neuer Wasserstoff gebildet – so viel, dass es eine erneuerbare Quelle wäre, erläutert er. Binnen Wochen würden entnommene Moleküle im Tiefenwasser durch neue ersetzt, im gesamten Becken. «Statt lange Pipelines zu bauen, bohrt man einfach an der Stelle, wo sich Abnehmer befinden, ein Loch und gewinnt das Gas.» Derzeit ist das bloss eine Vision. Doch solche Gedanken tauchen bei der Diskussion über natürlichen Wasserstoff häufiger auf.
Mehrere Länder haben Forschungsprogramme aufgelegt, es wird viel Geld investiert. Allein das Startup Koloma hat bereits mehr als 300 Millionen Dollar eingeworben, unter anderem von Bill Gates, United Airlines und Mitsubishi.
Ist die Aufregung um weissen Wasserstoff nur ein Hype?
Manche versprechen sich von weissem Wasserstoff, dass er die Nutzung klimafreundlicher Energie revolutioniert. Ist das Realität oder doch nur ein Hype? Keiner kann das heute sicher sagen. Derzeit beträgt die reale Produktion von weissem Wasserstoff wenige Tonnen pro Jahr.
«Noch sind die Unsicherheiten sehr gross, bei den Fragen, wie viel Wasserstoff tatsächlich im Untergrund vorhanden ist, und vor allem, wie viel davon wirtschaftlich gewinnbar ist», sagt Peter Klitzke, der beim staatlichen geologischen Dienst in Deutschland (BGR) zu diesem Thema arbeitet. Die Bildungsprozesse seien gut verstanden, aber es sei schwer anzugeben, wie und wo sich molekularer Wasserstoff in signifikanten Mengen ansammeln könnte.
«Aus optimistischer Sicht liesse sich sagen: Wir haben noch nicht mit den richtigen Werkzeugen und an den richtigen Stellen geforscht, und es ist nur eine Frage der Zeit bis zu grossen Entdeckungen», sagt Klitzke. Aus pessimistischer Sicht könnte es sein, dass es keine bedeutenden Anreicherungen gibt, weil die sehr kleinen Moleküle des Wasserstoffs die meisten Gesteinsschichten durchdringen oder durch chemische Reaktionen und Mikroben abgebaut werden. «Um das aufzuklären, ist noch erhebliche Forschung nötig.»
Dafür müssten Messungen in grosser Tiefe erfolgen, wo es mehr als 100 Grad warm sei und definitiv keine Bakterien mehr überleben könnten, die das Resultat verfälschten, sagt Éric Gaucher, der mit seiner Firma Lavoisier H2 Geoconsult in Chamonix weltweit Wasserstoff-Projekte begleitet. «Wir untersuchen vorhandene Geothermiebohrungen, schauen auch in alten Öl- und Gasbohrungen nach.» Immer wieder werden sie fündig. Das heisst aber nicht, dass die vorhandenen Konzentrationen immer ausreichen, um eine Produktion anzugehen. In den nächsten Schritten braucht es klassische geologische und geophysikalische Untersuchungen, um mehr über das Vorkommen zu erfahren und zu entscheiden, ob sich die Gewinnung über kilometertiefe Bohrungen lohnt.
Verfahren und Materialien müssen entwickelt werden
Grundsätzlich müsse man noch viel lernen, sagt Gaucher. «Anders als bei Öl und Gas stehen wir am Beginn der Entwicklung.» Beispielsweise gelte es passende Stähle für die Bohrungen zu testen, da Wasserstoff das Metall spröde mache. Oder Verfahren zu entwickeln, um nur Wasserstoff aus der Tiefe zu holen und nicht Kohlendioxid, das oft ebenfalls da unten vorkommt. «Wie bei der Elektrolyse auch müssen wir über alle Verfahrensschritte sicherstellen, dass möglichst wenig Wasserstoff entweicht.» Damit der Betrieb sicher und wirtschaftlich ist.
Gaucher, der zeitweise an der Uni Bern tätig war, hat auch in der Schweiz zu natürlichem Wasserstoff geforscht. In einem Kanton habe er «einen sehr günstigen Ort für die weitere Erkundung» gefunden. Mehr dürfe er noch nicht sagen, in den nächsten Monaten würden Details publik. Unterdessen versucht er mit Industriepartnern und Behörden eine Datenanalyse für die gesamte Schweiz zu starten, um geeignete Gebiete für die Wasserstoffsuche zu identifizieren.
Um die Akzeptanz bei den Bürgern macht er sich keine Sorgen. «Ich denke, sie wissen, dass es ein sehr sauberes Gas ist, das bei der Verbrennung nur Wasserdampf erzeugt», sagt er. An der Oberfläche brauche es kaum mehr Platz als für ein Fussballfeld und ausser den Bohrarbeiten, die einige Monate dauerten, gebe es kaum Beeinträchtigungen. Im Gegenzug erhalte man lokalen, klimafreundlichen Wasserstoff.
Entsprechende Erfahrungen hat Jacques Pironon bereits gemacht. Lothringen sei eine arme Gegend, in der viele Jobs in der Industrie verlorengegangen seien, sagt er. In Gesprächen mit Menschen vor Ort und Politikern aus den grossen Städten spüre er Optimismus. «Sie hoffen auf einen Aufschwung durch den Wasserstoff.»