Ein Bericht hat erschütternde Missstände in der Basler Kantonspolizei festgestellt. Nun kommt es zu personellen Konsequenzen. Die aufgedeckten Defizite sind ein Warnsignal für die Polizeiarbeit in der ganzen Schweiz.

Mit sofortiger Wirkung hat Stephanie Eymann, Justiz- und Sicherheitsdirektorin des Kantons Basel-Stadt, den Kommandanten der Kantonspolizei, Martin Roth, freigestellt. Die Entlassung ist die erste personelle Konsequenz von zahlreichen, gravierenden Missständen, die ein externer Bericht vergangene Woche aufgedeckt hatte. Pikant: Der Bericht wurde von Roth selber in Auftrag gegeben, um den Gründen für den anhaltenden Personalnotstand auf den Grund zu gehen.

Verfasst wurde der Bericht vom Basler Staatsrechtsprofessor Markus Schefer und von der niedersächsischen Polizeidirektorin Claudia Puglisi. Sie haben dafür mit über 370 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen, denen strikte Anonymität zugesichert wurde.

Einzelne Passagen in dem Bericht sind äusserst irritierend. So würden neu eintretende Polizistinnen von Kollegen und Vorgesetzten kontaktiert, um sie «mehr oder weniger verschleiert zu näheren persönlichen oder intimen Kontakten einzuladen». Dafür werde sogar eine «recht sorgfältig aufgebaute Taktik» verfolgt.

Die Rede ist ausserdem von einem in gewissen Einheiten üblichen Begrüssungsritual zum Arbeitsbeginn, «in welchem Küsse jenseits des Üblichen involviert» waren. Auch zu sexuellen Übergriffen soll es gekommen sein. Weil die meisten dieser Vorkommnisse unter der Decke blieben, hatten sie weder straf- noch personalrechtliche Konsequenzen.

Kein Vertrauen in die Führung

Auch Rassismus soll den Polizeialltag teilweise mitgeprägt haben. Etwas verklausuliert ist dabei von Einheiten die Rede, «die sich über einen längeren Zeitraum hinweg mit einem recht überschaubaren Spektrum besonders problematischer Verhaltensmuster vonseiten ethnisch weitgehend homogener Menschengruppen beschäftigen». Gemeint sind damit Polizisten, die vorwiegend in migrationspolitischen Hotspots tätig sind.

Dass der Umgang unter Polizisten allgemein rauer als an der Uni und die Wortwahl nicht immer politisch korrekt ist, ist keine Neuigkeit. Besorgniserregender sind deshalb die eklatanten Defizite dahinter, die in der Basler Kantonspolizei zu einer Kultur der Angst, der Frauenfeindlichkeit und des Rassismus geführt haben.

Gezeichnet wird das Bild eines Korps, das kaum Vertrauen in seine Führung hat, unter mangelnder Anerkennung leidet und in welchem intransparente Parallelstrukturen zu Ausgrenzung und zum Verdacht auf Vetternwirtschaft bei der Besetzung von Kaderstellen geführt hat. Fatale Verhaltensmuster konnten sich so über Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) verfestigen.

So berichteten Polizistinnen und Polizisten gegenüber Schefer und Puglisi beispielsweise, sie würden selbst willkürliche und offensichtlich falsche Entscheide akzeptieren, um beim Vorgesetzten nicht in Ungnade zu fallen. Dass es sich bei der Kantonspolizei um einen Teil der Verwaltung handle, sei kaum mehr erkennbar: Sie würde inzwischen wie ein Privatunternehmen geführt. Von der «Firma Roth» war die Rede: «Anstatt Ratio herrscht Willkür», formulierte es einer der Befragten.

Feindseligkeiten in der Bevölkerung

Doch im Fokus steht nicht nur der Kommandant Martin Roth, dem laut Schefer «ein grosser Teil der Belegschaft entglitten» ist. Die Kritik richtet sich an die gesamte achtköpfige Polizeileitung, die als Team de facto kaum existiert habe. Ein Teil der Leitung schotte sich ab, ein anderer mische sich überall ein, eine gemeinsame Linie gab es nicht.

Das Ganze mündete in einen Führungsstil, der als autoritär, abgehoben und unkooperativ beschrieben wurde. Es sei einfach der Tarif durchgegeben worden. Die Sicherheitsdirektorin Eymann machte deshalb klar, dass mit weiteren personellen Konsequenzen zu rechnen ist. Klar ist auch, dass es mit Köpferollen nicht getan ist: Auf dem Prüfstand steht die gesamte Polizeiorganisation.

Doch es gibt nicht nur interne Ursachen für die Missstände: Vielen Polizistinnen und Polizisten macht der Umgang mit Gewalt, Verletzung und Tod zu schaffen, Situationen, die im Polizeialltag in den letzten Jahren präsenter geworden sind. Hinzu komme die teilweise offene Feindseligkeit aus der Bevölkerung, etwa bei Demonstrationen oder in Ausgehmeilen.

Auch mit solchen Problemen seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings alleingelassen worden. Im Korps selber fehlte es an Wertschätzung, und psychologische Betreuung sei kaum vorgesehen gewesen. Und Anlaufstellen wie die Ombudsstelle oder die Personalabteilung des Departementes wurden mangels Vertrauen kaum genutzt.

Bemerkenswert ist, dass die Probleme und ihre Tragweite der Departementsvorsteherin (und ihren Vorgängern) offenbar nicht einmal ansatzweise zu Ohren gekommen waren. Seit Jahren ist es in der Basler Kantonspolizei immer wieder zu Unruhe gekommen – und Martin Roth ist nicht er Erste, der unfreiwillig geht. Auf die Frage nach ihrer politischen Verantwortung antwortete Eymann an einer Medienkonferenz, sie habe die Personen in der Polizeileitung nicht ausgewählt.

Nicht einmal zehn freie Wochenenden

Die Missstände dürften in der Schweiz in dieser Vielschichtigkeit und Konzentration einzigartig sein. Und dennoch sie sind ein Warnzeichen für die Polizeiarbeit insgesamt. Praktisch alle Korps leiden unter den enormen Belastungen, die im Kanton Basel-Stadt mit dazu beigetragen haben, dass sich das Arbeitsklima so drastisch verschlechterte.

In Basel-Stadt konnte die Polizeileitung nicht einmal die Zusage immer einhalten, wonach die Beamtinnen und Beamten wenigstens zehn arbeitsfreie Wochenenden pro Jahr geniessen sollten. Über solche Defizite klagen praktisch alle Polizeikorps. So bedeuten Wochenenden für Polizistinnen und Polizisten vor allem Stress, Feindseligkeiten und Überstunden.

Seit Jahren beklagt der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB), Polizeikorps erhielten immer mehr Aufgaben, ohne dass das Personal aufgestockt werde. Einsätze bei Demos oder Sportanlässen sind eine der wichtigen Ursachen dafür, dass viele Polizeien mit einem akuten Personalmangel kämpfen.

Hinzu kommt der gesellschaftspolitische Wandel, der die Polizei sowohl intern als auch gegen aussen vor grosse Herausforderungen stellt. Claudia Puglisi, die Mitautorin des Berichtes, zeigte sich in einem Interview mit der «Basler Zeitung» deshalb trotz den teilweise erschütternden Ergebnissen nicht überrascht: Sie habe alle Problemstellungen, mit denen die Basler Kantonspolizei nun konfrontiert sei, «schon an anderen Orten wahrgenommen».

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