Als erster Staat der Welt wollte Gambia ein Verbot der Genitalverstümmelung aufheben. Doch nun kommt es anders, intensives Lobbying scheint sich ausbezahlt zu haben.
Das Parlament des westafrikanischen Kleinstaats Gambia hat sich am Montag überraschend dafür ausgesprochen, ein Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung beizubehalten, das 2015 eingeführt worden war. Viele Beobachter waren davon ausgegangen, dass das Verbot fallen würde: Bei einer ersten Abstimmung im März waren nur vier der 58 Mitglieder der Nationalversammlung für eine Beibehaltung des Verbots gewesen. Gambia wäre das erste Land weltweit gewesen, das ein Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung aufhebt.
Der Versuch, das Verbot aufzuheben, ging auf eine Kampagne zurück, die ein prominenter Imam im vergangenen Jahr gestartet hatte. Abdoulie Fatty protestierte dagegen, dass Bussen gegen drei Beschneiderinnen verhängt worden waren. Es war das erste Mal überhaupt, dass die gambischen Behörden Bussen wegen Beschneidungen erliessen. Der Imam bezahlte die Bussen, Ende 2023 brachte der Abgeordnete Almameh Gibba dann im Parlament die Vorlage ein, die verlangte, das Verbot aufzuheben. Das Beschneidungsverbot, so Gibba, sei «eine direkte Verletzung des Rechts der Bürger, ihre Kultur auszuüben».
Aktivistinnen und Ärzte lobbyierten
Religiöse Führer und Abgeordnete argumentierten, die Beschneidung von Mädchen sei religiöse Tradition. Westliche Kräfte und mit ihnen Verbündete wollten sie unterbinden und Gambia so bevormunden.
Seit der ersten Abstimmung im März haben Aktivistinnen, Betroffene und Ärzte bei Parlamentariern lobbyiert. Anfang Juli veröffentlichte die Gesundheitskommission der Nationalversammlung einen Bericht, der empfahl, das Verbot beizubehalten. Fatou Baldeh, eine führende gambische Aktivistin gegen Genitalverstümmelung, hatte im Juni gegenüber der NZZ die Hoffnung geäussert, dass genügend Parlamentarier ihre Meinung geändert hätten. Sie befürchtete aber, dass die Abgeordneten aus Angst um ihre Wiederwahl am Ende doch für die Aufhebung des Verbots stimmen würden.
Am Montag nun aber hat eine Mehrheit der Abgeordneten gegen jede einzelne Klausel der Vorlage gestimmt. Jeweils rund 30 Abgeordnete sprachen sich für die Beibehaltung des Verbots aus.
Uno bezeichnet Genitalverstümmelung als Folter
In Gambia sind drei Viertel aller Mädchen und Frauen beschnitten. Seit der Einführung des Verbots 2015 ist der Anteil nur leicht zurückgegangen. Aktivistinnen befürchteten, dass die Aufhebung des Verbots die Zahl der Beschneidungen hochschnellen liesse und dass Eltern aus anderen Ländern der Region, die ihre Töchter beschneiden lassen wollten, Mädchen nach Gambia bringen könnten, um die Prozedur vorzunehmen.
Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden Mädchen die Klitoris und Teile der Schamlippen entfernt. Bei der extremsten Form werden die Schamlippen so weit zugenäht, dass nur eine kleine Öffnung für Menstruationsblut und Urin bleibt.
Weibliche Genitalverstümmelung findet vor allem in muslimischen Gemeinschaften statt, aber auch in manchen christlichen und animistischen. Verfechter glauben, die Beschneidung schütze die Jungfräulichkeit der Mädchen und ihre Reinheit. In praktizierenden Gemeinschaften gilt es als unehrenhaft, Töchter nicht zu beschneiden – entsprechend herrscht sozialer Druck.
Die Uno bezeichnet weibliche Genitalverstümmelung als Form von Folter. Die Praxis ist in mehr als siebzig Ländern verboten, rund die Hälfte davon liegt in afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Laut den neusten Zahlen des Uno-Kinderhilfswerks Unicef sind weltweit 230 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten, 144 Millionen von ihnen leben in afrikanischen Ländern.

