Mittwoch, Oktober 9

Im traditionsreichen «Drei Stuben», nicht weit vom Zürcher Hauptbahnhof, ist seit gut einem Jahr ein neues Team am Werk. Es leistet sehr gute Arbeit – und meistert eine heikle Situation.

Da hat man frisch und froh einen Flaschenwein bestellt und merkt beim ersten Schluck, dass er einem überhaupt nicht zusagt: Welcher Restaurantgast kennt diese Situation nicht? Der Tropfen hat keinen Zapfen, und allfällige Mängel in der Vinifikation wären schwer nachzuweisen, so dass man ihn kaum einfach zurückgeben kann. Und man hat ihn ja selbst ausgewählt.

In eine solche Bredouille bringt uns im Zürcher «Drei Stuben» ein Wein aus der burgenländischen Pannobile-Vereinigung. Deren Gewächse haben uns schon viel Freude bereitet, doch dieser 2020er Blaufränkisch des Winzerpaars Nittnaus (Fr. 95.–) beschert der Zunge ein Kräuseln, das wir von einigen CO2-lastigen Tropfen kennen und nie gemocht haben. Man braucht es nicht auszusprechen, die Miene beim Degustieren spricht Bände.

Das ist unangenehm, für den Gast wie für die Gastgeberin, die nach einem Schluck zum Fazit kommt, die «oxidative» Note sei vielleicht etwas ausgeprägt, gehöre aber in diesem Fall zur Machart. Nach kurzem Zögern oder Ringen fügt sie an: «Ihr habt euch auf einen Wein gefreut und sollt einen trinken, der euch wirklich gefällt. Ich bringe die Karte nochmals.» Wir fassen einen Sangiovese ins Auge, sie weist darauf hin, dass der auch in Richtung Naturwein gehe (auf solche scheint man hier spezialisiert zu sein, ohne dass es deklariert wäre). Der Barbera (Fr. 75.–), den wir schliesslich wählen, macht uns schliesslich ohne Experimente glücklich.

Das ist eine Episode eines kulinarisch erfreulichen Mittwochabends im traditionsreichen Wirtshaus in Unterstrass. Eine der Vorspeisen ist eine Bereicherung für die Zürcher Salat-Einöde und rechtfertigt damit den hohen Preis (Fr. 19.–): Kopfpsalatherzen an schön ausbalancierter Schnittlauch-Vinaigrette, geraffelter Ricotta salata, Champignon-Scheiben, wachsweiche Wachteleier und einige Klackse Liebstöckel-Crème. Auch Tortellini (Fr. 22.–) mit Erbsli, Stracciatella (der Schwester der Burrata) und Zitronenzesten überzeugen.

Bei den Hauptgängen finden sich diverse Klassiker der Fleischküche, etwa ein Entrecôte Café de Paris (Fr. 59.–): Dass man am schmackhaften Biofleisch etwas zu beissen hat, ist man von Schweizer Rindern gewohnt. Doch der Sauce (immerhin nicht bloss ein Stücklein Kräuterbutter wie vielerorts) fehlt es an Temperament, auch dürfte sie grosszügiger bemessen sein, dafür wäre der Zwiebeljus nicht nötig. Dazu gibt’s ein Schälchen Bratkartoffeln statt den üblichen Pommes allumettes und ein Tellerchen mit hervorragendem Wildkräuter-Salat (worauf der Service beim Ordern des Vorspeisensalats idealerweise hingewiesen hätte).

Von der Süsswasser-Bouillabaisse (Fr. 49.–) wollen wir ein anderes Mal kosten, dafür können wir Fleischverächtern das Wurzelgemüse-Ragout ans Herz legen (Fr. 39.–): Es soll 36 Stunden geschmort haben, kommt mit tiefgründigem Jus und frisch gemachtem Kartoffelpüree. Einen ausgezeichneten Abschluss bildet das Caramelköpfli (Fr. 16.–) mit etwas Nocino in der Sauce und Scheiben von schwarzen Nüssen, also eingelegten Baumnüssen, an den Flanken.

Seit anderthalb Jahren ist hier ein junges Team am Werk, das sich immer wieder Neues wie den sonntäglichen «Stübli»-Brunch einfallen lässt. Es führt auch das avantgardistischere und internationalere «The Artisan» in Wipkingen, wobei die Thurgauerin Corin Schmid beide Küchenkonzepte verantwortet. Bei unserem Besuch brummt die Stube — oder eher: sie dröhnt. Dafür sorgen zwei grössere Gesellschaften an langen Tischen plus ein Mangel an Lärmdämmung (im lauschigen Gärtchen wird’s sommers sicher ruhiger).

Auch das zweite Stübchen ist voll, das dritte ist für Treffen des Schützenvereins Schweizerischer Studierender reserviert, dem das Haus gehört und die aufgehängte Armbrust gewidmet sein dürfte. Sie ist eines der wenigen Dekorationselemente im Hauptraum, den Holztäfer an Wänden und Decken prägt, kontrastiert von weisslichen Tischflächen.

Das ausschliesslich weibliche Serviceteam agiert aufmerksam; dreimal entschuldigt es sich mündlich und einmal mit offerierten Pilzkroketten für Wartezeiten aufgrund der grösseren Tischgesellschaften (dabei wird in manch anderem Lokal die Geduld viel stärker strapaziert, ohne jedes «Äxgüsi»). Das schliesst den Kreis zum Service bei der Weinbestellung, der den Einkaufspreis von zwanzig bis dreissig Franken in den Kamin geschrieben und dafür die Chance auf zufriedene Gäste erhöht hat. Und wer nun denkt, der Schreiber könnte als Tester erkannt und einer Sonderbehandlung zugeführt worden sein, sei versichert: Dieser weiss sich zu tarnen.

Restaurant Drei Stuben
Beckenhofstrasse 5, 8006 Zürich
Sonntagabends geschlossen.
Telefon 044 350 33 00

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

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