Mittwoch, Februar 5

Die bürgerliche Regierung in Stockholm will den streng reglementierten Alkoholverkauf erleichtern. Doch die Reform ist halbherzig.

Gibt es für die Hersteller eine bessere Reklame als Degustationen? Nach einem Reben-Rundgang, einem Gin-Workshop oder einer Brauerei-Besichtigung und ein paar Gläschen sitzt den Besuchern oft nicht nur die Zunge, sondern auch das Portemonnaie lockerer, und schon sind ein paar Flaschen für den Eigenbedarf oder als Geschenk erstanden.

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Nicht so in Schweden. Im Land der restriktiven Alkoholpolitik sind Degustationen zwar erlaubt, der anschliessende Hofverkauf ist jedoch verboten. Gemäss dem 1955 eingeführten Detailhandelsmonopol darf einzig die staatliche Ladenkette Systembolaget (im Volksmund «Systemet») Alkohol mit mehr als 3,5 Volumenprozenten vertreiben.

Deren oberstes Gebot ist die Volksgesundheit. Von Gesetzes wegen soll sie nicht nur «verantwortungsvoll und serviceorientiert Spirituosen, Wein und Starkbier verkaufen», sondern die Schwedinnen und Schweden auch über die gesundheitsschädigenden Folgen des Alkohols informieren. Aktionswochen und Treuekarten gibt es bei «Systemet» nicht. Das Unternehmen muss kein Gewinnziel erfüllen, wohl aber Vorgaben zu Eigenkapitalrendite, Kosteneffizienz und Solidität.

Aufgelockertes Monopol

Der Hofverkauf ist ein Dauerbrenner, der die strikte Alkoholpolitik auf den Prüfstand stellt. Das schwedische Detailhandelsmonopol verstösst eigentlich gegen Unionsrecht, wird von der EU aber geduldet, solange die Volksgesundheit oberstes Ziel ist und ausländische Unternehmen nicht diskriminiert werden. Darüber muss die Wettbewerbsbehörde der EU-Kommission zweimal jährlich Bericht erstatten.

2018 beauftragte eine knappe Parlamentsmehrheit die Regierung, den Hofverkauf zu liberalisieren. Die rot-grüne Koalition beförderte die unliebsame Aufgabe jedoch in die Schublade. Nach dem Machtwechsel 2022 machten die Bürgerlichen den Alkohol-Direktverkauf zu einer Herzensangelegenheit – und nun scheint es endlich so weit zu sein. Mitte Januar hat die Regierung ein entsprechendes Gesetz gutgeheissen, das noch den Segen des Parlaments benötigt. Läuft alles nach Plan, und danach sieht es aus, können Schwedens Hofläden ab Juni Gebrautes, Gebranntes und Gekeltertes feilbieten.

Sozialminister Jakob Forssmed betont, dass es bei der Vorlage nicht um den Detailhandel gehe, sondern um die Stimulation des Tourismus in ländlichen Regionen. Die Liberalisierung soll es rund 600 Mikrobrauereien, Weinbauern, Cider-Produzenten und Schnapsbrennereien erlauben, ihre Produkte an die Endkunden zu verkaufen – allerdings unter starken Auflagen.

Direktverkauf mit vielen Wenn und Aber

Das Gesetz sieht eine ganze Reihe von Restriktionen vor, die potenzielle Käufer wie auch Anbieter abschrecken könnten. Dazu gehört, erstens, die Mengenbeschränkung: Ein Kunde soll höchsten 0,7 Liter Schnaps und je 3 Liter Wein, Bier und andere alkoholhaltige Getränke erwerben können. Der Verkauf muss, zweitens, im Zusammenhang mit einer kostenpflichtigen, informativen Aktivität stehen, also einer Betriebsbesichtigung, einer Degustation oder einem Kurs. Diese dürfen nicht am Abend stattfinden: Der Hofverkauf wird, drittens, nur zwischen 10 und 20 Uhr erlaubt.

Als ob dies nicht genug wäre, gibt es, viertens, auch Restriktionen für die Anbieter. Direktverkauf darf nur betreiben, wer weniger als 75 000 Liter Schnaps, 400 000 Liter Bier oder 200 000 Liter Wein bzw. Starkbier pro Jahr herstellt. Mittelgrosse regionale Produzenten mit 10 bis 20 Beschäftigten müssen ihre Flaschen somit auch weiterhin exklusiv via «Systemet» vertreiben.

Das Argument, wonach der Direktverkauf zu unkontrolliertem Saufen führt, ist dagegen leicht entkräftet. Wer sich schnell und günstig betrinken will, bucht nicht eine Degustation, um danach ein paar Flaschen erstehen zu können, sondern deckt sich schneller und billiger im «Systemet» mit Alkohol ein.

Angesichts der vielen Einschränkungen gleicht der vom konservativen Regierungschef Ulf Kristersson als «lange erwartete Freiheitsreform» gelobte, auf sechs Jahre begrenzte Hofverkauf eher einem harmlosen Reförmchen. Die Regierung ist überzeugt, dass die EU das restriktive Gesetz tolerieren wird. Die EU-Kommission hat auf eine Stellungnahme verzichtet, was als grünes Licht interpretiert wird.

Künftige Klagen beim Europäischen Gerichtshof sind allerdings nicht ausgeschlossen. Dieser musste schon mehrmals in Sachen Alkoholmonopol urteilen. 2007 befand er etwa, dass das Verbot privater Importe gegen EU-Recht verstosse. Seither dürfen die Schwedinnen und Schweden Alkohol ganz legal im Internet bestellen, sofern der Web-Shop in der EU liegt und gewisse Auflagen erfüllt.

Finnland geht weiter

In der Bevölkerung hat die restriktive Alkoholpolitik guten Rückhalt, allerdings mit abnehmender Tendenz. Gemäss einer Umfrage der staatlichen Ladenkette befürworteten 2023 zwei Drittel das Verkaufsmonopol. 2017 waren es noch drei Viertel. Auf politischer Ebene sehnen einzig die Konservativen ein Ende von «Systemet» herbei.

Anders ist die Stimmungslage in Finnland, dessen Alkoholmonopol seit Jahren bröckelt. Seit vorigem Sommer muss die Bevölkerung für Bier, Cider und Alcopops mit maximal 8 Volumenprozent nicht mehr im Monopolladen Alko einkaufen gehen, sondern kann sie bequem in Supermärkten und Tankstellen erstehen.

Finnlands bürgerliche Regierung lässt derzeit prüfen, ob der Detailhandel sogar ein breites Sortiment von Weinen mit maximal 15 Alkoholprozent anbieten könnte, ohne das Monopol umzustossen. Die Bevölkerung wäre nicht abgeneigt: In einer Umfrage vom Herbst befürworteten gut die Hälfte der Finninnen und Finnen eine weitere Liberalisierung, nur 37 Prozent waren dagegen.

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