Donnerstag, April 24

Im Labor erschaffene Tiere sollen Ökosysteme stabilisieren oder Klimaveränderungen abbremsen. Doch sämtliche Versprechungen sind unrealistisch. Es werden keine Arten wiederbelebt.

Kurz vor Ostern verkündete die amerikanische Biotechfirma Colossal Biosciences mit Fotos, Videos und einer Pressemitteilung die zum Fest passende Nachricht: «Wir haben den vor 10 000 Jahren ausgestorbenen Schattenwolf wiederauferstehen lassen.» Und wie ausgehungerte Wölfe stürzten sich viele Medien auf die Nachricht.

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Doch von Auferstehung kann keine Rede sein. Tatsächlich hat das Unternehmen – notabene laut eigenen Angaben – nur drei Grauwölfe produziert, deren Erbgut an wenigen Stellen verändert war. Daher sahen die im Labor erschaffenen Tiere aus wie die Schattenwölfe aus der Fernsehserie «Game of Thrones» – obwohl es nach wie vor schlichte Grauwölfe waren.

«Schreihals des Jahres» war noch der netteste Kommentar, den die Firma aus der Forscherwelt erhielt. Was steckt hinter Colossal?

Der Name ist Programm. Die dort tätigen Forscher, darunter der Genetiker George Church von der Harvard University oder die Biologin Beth Shapiro, versprechen High-Tech-Lösungen für die grossen ökologischen Probleme. Die angeblichen Schattenwölfe sind dabei nur eine Etappe. Eigentliches Ziel ist, das ebenfalls seit Tausenden von Jahren ausgestorbene Wollhaarmammut wiederzubeleben und in der Tundra auszusetzen. Für Australien ist der Tasmanische Tiger geplant. Die Tiere sollen den Klimawandel verlangsamen oder Ökosysteme stabilisieren.

435 Millionen für Auferstehung toter Tiere

Die Ideen sind zweifellos faszinierend. Es wäre auf jeden Fall cool, einen echten Jurassic Park mit einem lebendigen Mammut selbst zu erleben.

Das allein erklärt aber noch nicht die Faszination. Die Ideen begeistern auch deshalb, weil die Colossal-Forscher einen Cocktail aus High-Tech-Spielerei, Machbarkeitsglauben und Gutmenschentum bieten. Wiederauferstehung als Wiedergutmachung: Wir können euer schlechtes Gewissen über die menschengemachten Schäden an der Natur besänftigen, indem wir mit modernster Gentechnik ausgerottete Arten zum Leben erwecken. Am Aussterben des Mammuts waren, nach allem, was man weiss, zwar nicht die Menschen schuld. Doch viele der in den letzten zweihundert Jahren ausgestorbenen Tiere hat der Mensch auf dem Gewissen.

Der Cocktail passt in die heutige Zeit. Gleich mehrere gesellschaftliche Gruppierungen können zustimmen. Die Utopie findet daher immer mehr und auch spendierfreudige Unterstützer.

So hat die Firma Anfang Jahr verkündet, dass sie in einer neuen Finanzierungsrunde 200 Millionen Dollar eingenommen habe. Ihre Barmittel betragen nun 435 Millionen Dollar. Das Unternehmen verfügt über eine Bewertung von 10,2 Milliarden Dollar, das ist das Sechsfache des Werts von vor zwei Jahren. Um die Investoren bei Laune zu halten, müssen Schlagzeilen her wie die angeblichen Schattenwölfe. Oder die vor wenigen Wochen präsentierte Maus mit goldfarbenem langem Kuschelfell. Hier wurden laut Colossal bei normalen Mäusen ein Gen verändert und fünf inaktiviert.

Derzeit kann allerdings niemand die Angaben des Unternehmens bestätigen. Denn bisher haben externe Experten weder die Tiere untersuchen können, noch gibt es von unabhängigen Fachleuten begutachtete Daten über die Wollmaus und über genetisch veränderte Grauwölfe.

Doch selbst wenn die Mitteilungen von Colossal zu Wollmaus und Grauwölfen stimmen sollten, die Projekte Mammut oder Tasmanischer Tiger basieren auf falschen Versprechungen. Ihre Realisierung würde viel Tierleid verursachen.

In Tat und Wahrheit wird keines der erwähnten ausgestorbenen Lebewesen wirklich wiedererweckt. Die angeblichen Schattenwölfe sind das Vorbild: Heutige Tiere werden genetisch verändert. Kurzum, neues Make-up für altbekannte und noch lebende Tiere.

Für das Projekt Mammut wollen die Colossal-Forscher Elefanten-DNA an vielen Stellen dahingehend verändern, dass das Gentech-Tier Mammut-Eigenschaften wie Kälteresistenz bekommt. Um Gentech-Tiere herzustellen, wird zuerst Erbgut in der Zellkultur verändert. Das Konstrukt wird in eine entkernte Eizelle injiziert. Im letzten Schritt wird diese in eine Elefantenkuh implantiert.

Bei Mäusen funktioniert die Herstellung gentechnisch veränderter Exemplare gut. Zehntausende solcher Tiere tummeln sich in zahlreichen Versuchslabors, sie dienen sowohl der biologischen Grundlagen- als auch der angewandten Medizinforschung. Die Maus mit dem Mammutfell ist somit weder ein Durchbruch in der Gentechnik noch ausserordentlich innovativ oder gar besonders. Sie ist solide Gentecharbeit.

Doch bei zahlreichen anderen Tieren funktioniert die Reproduktion gentechnisch veränderter Tiere oder auch das Klonen, sprich die Herstellung einer identischen Kopie eines Tiers, mässig bis schlecht. Die Prozedur ist mit grossen Risiken und Belastungen für die Tiere verbunden. Trotz enormem Aufwand werden meist nur sehr wenige Tiere geboren, viele sterben direkt nach der Geburt. Colossal gibt nichts preis über die verbrauchten Ressourcen für die Herstellung der drei genetisch veränderten Grauwölfe.

Und noch nie wurde ein Gentech-Elefant hergestellt oder einer geklont. Zur Erschaffung eines Elefanten mit Mammuteigenschaften würde man daher für die Versuchsphase Hunderte von Eizellen von Elefanten benötigen. Hinzu kommt, dass man parallel sehr viele Elefantenkühe als Leihmütter verwenden müsste, um ein gesundes oder zumindest überlebensfähiges Kalb zu erhalten. Das ist jeweils ein enormer Ressourcenverbrauch – und das bei einer gefährdeten Tierart.

Denn eine Elefantenkuh ist frühestens mit zehn Jahren fortpflanzungsfähig und hat eine Tragzeit von 22 Monaten. Die Herstellung von Gentech-Elefanten ist angesichts all dieser Faktoren unethisch. Sie wäre allenfalls vertretbar, wenn die Reproduktionsmethoden deutlich effizienter würden. Dass dies innert weniger Jahre geschehen wird, ist derzeit schwer vorstellbar.

Dass Colossal ankündigt, sie wollten 2028 die erste Trächtigkeit einer Elefantenkuh mit einem Mammut-Elefant-Mischwesen aus dem Labor herbeiführen, ist raffiniert. Denn eine Trächtigkeit könnten die Wissenschafter als Zwischenerfolg verkaufen. Aber es gibt keine Garantie für ein gesundes Tier. Und für nur eine einzige Schwangerschaft ohne Erfolgsaussicht könnte der Ressourcenverbrauch sich in Grenzen halten.

Ein Gentech-Elefant kann nicht den Klimawandel bremsen

Vermessen ist das Versprechen, ein Gentech-Elefant mit Mammuteigenschaften könne den Klimawandel mindern und Ökosystem stabilisieren.

Die Mammut-ähnlichen Elefanten werden laut Colossal wie einst die echten Mammuts durch die Tundra stapfen. Das soll die Freisetzung von klimaschädlichen Gasen aus dem Boden gleich doppelt verringern. Wenn Schnee liegt, trampeln die bis zu sechs Tonnen schweren Tiere die Schneedecke fest, sie bleibt länger liegen und der Boden länger kalt. Zudem könnten die Tiere dafür sorgen, dass der Baumbestand zurückgeht und wieder vermehrt Gräser und Büsche wachsen. Kleine Gewächse absorbieren weniger Wärme im Boden, was ebenfalls das Auftauen des Permafrosts mindert.

Doch um so etwas zu erreichen, brauchte es Herden und somit insgesamt Hunderte oder sogar Tausende Tiere. Es ist derzeit schlicht nicht vorstellbar, wie man viele Mammut-ähnliche Elefanten für die Tundra im Labor herstellen könnte. Wo um Himmels willen sollen Tausende Eizellen und zahllose Leihmütter für Herden von Gentech-Elefanten herkommen?

Es ist zudem auch nicht zu erwarten, dass Tiere, deren Herstellung Millionen verschlungen haben, einfach ausgesetzt und den Launen der Natur überlassen werden. Es ist unklar, ob sie überhaupt überleben. So ist das Immunsystem eines afrikanischen oder asiatischen Elefanten für die Bekämpfung der heimischen Erreger, nicht aber jene der Tundra optimiert.

Was stattdessen getan werden sollte

Unglaubwürdig tönt auch das Versprechen, Ökosysteme durch Gentech-Tiere zu stabilisieren. Zwar ist es korrekt, dass das Fehlen eines Tieres einem Ökosystem schaden kann. Aber erstens sind die Tiere, die die Forscher erschaffen wollen, keine echten Mammuts oder Tasmanische Tiger. Zweitens existieren deren ursprünglichen Lebensräume gar nicht mehr oder sind stark verändert. Ob und wie genetisch veränderte Lebewesen wirklich einen Beitrag für die heutigen Ökosysteme leisten können, ist fraglich.

Ja, viele Ökosysteme haben enorme Probleme mit der Biodiversität oder stehen durch Klimaveränderungen unter grossem Druck. Aber die Modifikation heutiger Tieren mit Genen von ausgestorbenen Tieren kann keines der Probleme lösen und nichts mindern. Vielmehr müssen wir kolossale Anstrengungen unternehmen, um noch lebende Tiere und Pflanzen sowie ihre Lebensräume zu erhalten.

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