Dienstag, November 26

Seit dem Zwischenhoch vom 10. Juli hat Nvidia 15% des Börsenwerts verloren. Kurskorrekturen bei den Künstliche-Intelligenz-Gewinnern waren bisher stets Einstiegschancen. Es könnte auch diesmal wieder so kommen.

Der Hauptgrund für die starke Kursentwicklung bei den Hyperscalern wie Microsoft, Amazon und Google war das Thema künstliche Intelligenz (KI). Die grossen Tech-Konzerne konnten erste Milliardenumsätze in diesem Bereich generieren, sowie eine Plattform für quasi alle Unternehmen weltweit bereitstellen, auf denen die Unternehmen mit KI experimentieren können. Die Hyperscaler investieren massiv in diese Technologie.

Goldman Sachs geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass in den nächsten Jahren mehr als eine Billion $ in die KI-Infrastruktur fliessen werde, also in Server, Chips, Rechenzentren und in die Energieversorgung. Grundlage dieser Kalkulation ist die Annahme, dass generative KI-Unternehmen ganze Industriezweige und die Gesellschaft als solche verändern werden.

Die CIO-Survey von Morgan Stanley wie auch andere Umfragen kommen zum Ergebnis, dass KI das technologische Top Thema in der Unternehmenswelt geworden ist und dass dort am meisten investiert wird. Die Umfrage bei den Finanzchefs zeigt aber auch, dass diese sich durchaus bewusst sind, dass nicht alle KI-Projekte zum Erfolg führen werden. Des Weiteren zeichnet sich eine erste Ernüchterung ab: Die Erwartung hat sich dahingehend verschoben, dass erste KI-Erfolge sich erst nach 2025 einstellen werden. Man hat erkannt, dass KI oftmals nicht ganz trivial «out-of-the-box» geliefert wird, sondern es sich hier um sehr anspruchsvolle IT-Entwicklungsarbeit handelt. Fachkräfte im AI-Bereich sind zudem äusserst rar.

Nvidia bindet Entwickler mit eigener Plattform

Ohne Frage steht das Chipunternehmen Nvidia im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der KI-Entwicklungen. Das Unternehmen hat derzeit einen Marktanteil von mehr als 90% bei den eingesetzten Chips («GPU») im KI-Bereich.

Nvidia hatte bereits vor 2010, und damit zwölf Jahre früher als die Konkurrenz, angefangen, eine Programmierplattform mit dem Namen Cuda zu entwickeln, damit Kunden ihre GPU-Chips möglichst optimal ansteuern und einsetzen können. Basierend auf dieser Plattform hat Nvidia auch eine über die Jahre stark gewachsene Bibliothek erstellt, um für möglichst viele Anwendungsfälle die Entwicklung zu erleichtern.

Die Programmierplattform baut Nvidias Burggraben gegenüber der Konkurrenz weit aus. Nicht nur bringt Nvidia mit hoher Frequenz neue, verbesserte Chiparchitekturen auf den Markt, diese sind auch optimal von den Entwicklern aller Branchen ansteuerbar. Mehr als fünf Millionen Entwickler nutzen Cuda zur KI-Programmierung. Ein Umstieg von Nvidia-Produkten auf andere Chips bedarf einer Änderung der Programmierung, was erheblichen Migrationsaufwand verursacht.

Der dominante US-Chiphersteller treibt KI-Entwicklungen nicht nur bei grossen Sprachmodellen wie ChatGPT voran, sondern auch in anderen Bereichen wie der Medizin (bei der Erforschung neuer Medikamente), selbstfahrenden Autos, der Wettervorhersage, persönlichen digitalen Assistenten, Verkaufsberatern, der Robotik zur Fertigung, wie auch humanoide Roboter (auch hier hat der Konzern einen hohen Marktanteil). Beim Thema KI scheint die Vorstellungskraft unerschöpflich. Es ist nahezu unmöglich vorherzusagen, wann jeweils der Durchbruch in den verschiedenen Anwendungsfeldern erreicht wird.

Nvidia wird durch seine enorme Grösse, seinen Forschungsvorsprung und die stetig ausgebauten Burggräben weiterhin eine Führungsrolle in der weltweiten KI-Entwicklung einnehmen. Bei der Bewertung des Unternehmens muss man jedoch nach Einstiegszeitpunkten Ausschau halten und zu Zeiten besonders hoher Bewertung besser Vorsicht walten lassen.

Wie weit kann die KI-Rallye noch gehen?

Die KI-Rallye hat seit vergangenem Jahr bisher zwei grössere Korrekturen gezeigt, im Herbst 2023 (-8,7%) und im Frühjahr 2024 (-13,7%). Jede dieser Korrekturen hat sich im Nachhinein als gute Einstiegsgelegenheit in diverse Unternehmen mit grösserem KI-Umsatzanteil gezeigt. Nun sind die Kurse wieder recht weit hochgelaufen, ebenso wie die Bewertungen. Daher ist ein Korrekturszenario wieder vorstellbar. Sollte es dazu kommen, dürften sich bei verschiedenen Werten durchaus wieder Einstiegsgelegenheiten ergeben.

Ein grosser Teil der genannten Firmen hat einen zwei- bis dreistelligen prozentualen Kurszuwachs erfahren. Der gesamte KI-Infrastrukturbereich war bisher besonders interessant. Dieser erstreckte sich auf die Chipdesigner (Broadcom, Marvell Technology, Alchip Technologies, Global Unichip, Cadence, Synopsys, Arm Holdings), …

… die KI-Serverlieferanten (Quanta Computer, Hon Hai, Super Micro Computer, Gigabyte), …

… Anbieter von Komponententests (Advantest, Chroma) und Platinenhersteller (Gold Circuit Electronics, Gigabyte), Speicherchiphersteller (SK Hynix, Micron, Samsung), Chip Packaging (Besi, ASMPT), …

… Halbleiterausrüster (Applied Materials, Lam Research, Tokyo Electron, ASML), Vernetzung (Arista, Cisco, Broadcom, Marvell) und natürlich den Chipfirmen, die im KI-Bereich grössere Umsätze erzielen (NVIDIA, AMD, TSMC).

Zuletzt weitete sich der Boom auf Unternehmen aus, die das Energiethema und die Kühlung von Rechenzentren adressieren (Vertiv, Eaton, Schneider Electric).

Auf der Seite der Firmen, die KI nutzen, um den Endkunden einen echten Mehrwert zu bieten, sah es bisher im Verhältnis dazu bescheidener aus. Seit Beginn der KI-Rallye wurden im Softwarebereich öfter Namen aufgeführt wie Microsoft (KI-CoPilot), Adobe (FireFly), Intuit (KI-Assistent für Steuersoftware), ServiceNow (Prozessoptimierung). Diese Firmen wurden neben wenigen anderen immer wieder mit KI-Softwareentwicklungen in Verbindung gebracht. Aber selbst bei diesen Firmen hat man noch nicht von einem grösseren KI-Umsatz berichten können.

Es gibt natürlich zahlreiche Startups, die sich dem KI-Thema angenommen haben. Erfahrungsgemäss werden die meisten davon irgendwann ihr Geschäft aufgeben müssen, nur wenige werden es schaffen. Selbst die Hyperscaler, die 2023 und 2024 in Summe mehr als 100 Mrd. $ in KI gesteckt haben, berichten bisher lediglich von einem Umsatz im einstelligen Prozentbereich, der aus dem KI-Geschäft erzielt wird – und somit auch «nur» im einstelligen Milliardenbereich.

Noch befinden sich die Hyperscaler im Wettlauf um das beste KI-Angebot, das beste KI-Datenmodell, die besten vortrainierten Modelle und den besten KI-Chat (anstelle einer Suche) oder auch Assistenten. Dies ist ein sehr kostspieliger Wettbewerb, bei dem die Frage aufkommt, ob die Hyperscaler ihre Investitionen aufgrund der fehlenden Einnahmen irgendwann (in nicht zu ferner Zukunft) kürzen müssen.

Vorsicht bei zu hohen Bewertungen

Insgesamt lässt sich derzeit festhalten, dass auf der dem Kunden und Endnutzer zugewandten Seite der KI bislang unverhältnismässig wenig an Anwendungen angekommen ist im Vergleich zu den gigantischen Investitionen auf der KI-Infrastrukturseite. Man kann sicher sagen, dass dies bei allen grösseren strukturverändernden Entwicklungen anfangs der Fall gewesen ist. Beispiele hiefür waren der Aufbau des Internets und der Aufbau des Eisenbahnnetzes.

Anleger dürfen angesichts der faszinierenden Zukunftsvisionen nicht zu gierig werden. Sie sollten immer wieder überprüfen, wie weit fortgeschritten die KI-Entwicklung ist, wer von welchen Elementen profitiert und wie lange der Aufbau ohne genügend Einnahmen auf der Kundenseite gut gehen kann.

Es ist nicht auszuschliessen, dass der KI-Boom zu einer Blase geführt hat, deren Luft aufgrund überhöhter Bewertungen abgelassen werden muss. Dies dürfte dann primär die einstigen KI-Überflieger treffen. Die Möglichkeiten jedoch, die durch die KI gegeben sind, erscheinen zu überwältigend, als dass man diese aus Anlegersicht komplett ignorieren sollte. Eine teilweise Partizipation unter gewisser Vorsicht nach ordentlicher Prüfung der Investitionen ist hier ratsam. Teilausstiege und Gewinnmitnahmen sollten dabei nicht vergessen werden.

Wir befinden uns hier höchstwahrscheinlich am Anfang einer neuen Technologiedekade. Die Investition in die neue Technologie hat diesmal schneller stattgefunden als bei vorherigen strukturändernden Technologien. Was sich jedoch nicht geändert hat, ist, dass einige Werte wahrscheinlich zwischenzeitlich zu weit gelaufen sind und eine zu starke Entwicklung zu schnell vorweggenommen haben.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.

Jens Ehrhardt

Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.

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