Wenn Deutschland hustet, hat die Schweiz Schnupfen. Viele Unternehmen warten sehnlichst auf eine wirtschaftliche Erholung beim nördlichen Nachbarn. Das milliardenschwere Infrastrukturpaket weckt Hoffnung. Welche Unternehmen besonders profitieren könnten.
«Whatever it takes.» Dieser Satz ist seit Ende März nicht mehr ausschliesslich mit Mario Draghi verbunden – dem früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der 2012 mit genau diesen Worten die Finanzmärkte beruhigte und massgeblich zur Entschärfung der Eurokrise beitrug. Heute steht dieser Satz auch für die Finanzwende in Deutschland.
Als Friedrich Merz Ende März mit diesem Satz vor die Mikrofone trat und die Koalitionseinigung mit der SPD verkündete, ging es – streng genommen – um die Teilaufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Künftig sollen Ausgaben für die Verteidigung, die über 1% des BIP hinausgehen, von der Schuldenbremse ausgenommen werden, was einer unbefristeten Kreditaufnahme für Rüstungsausgaben gleichkommt.
Das kommt vor allem Rüstungskonzernen wie Rheinmetall zugute, deren Aktien angesichts der geopolitischen Weltlage in diesem Jahr einen parabolischen Anstieg verzeichnen.
Milliarden für die Infrastruktur und steuerliche Vorteile
Doch die deutsche Finanzwende geht weit über Militärausgaben hinaus. Es geht auch um die Einrichtung eines 500-Mrd.-€-Fonds, dessen Geld über die nächsten zehn Jahre in die Infrastruktur und in Projekte für die Klimaneutralität fliessen soll. Zudem plant die neue Koalition steuerliche Vorteile für Unternehmen und will während der nächsten drei Jahre eine Sonderabschreibung von 30% auf Investitionen in Ausrüstung und Betriebsmittel ermöglichen. Danach soll der Körperschaftssteuersatz – damit ist der Steuersatz auf das Einkommen von Kapitalgesellschaften gemeint – schrittweise von 15 auf 10% gesenkt werden.
Ausserdem will die neue Regierung Massnahmen ergreifen, um die Energiepreise zu senken. Neben einer Reduktion der Stromsteuer auf das europäische Minimum sowie geringeren Abgaben und Netzentgelten ist auch ein vergünstigter Industriestrompreis vorgesehen. Ausserdem wollen CDU und SPD die Bürokratiekosten für Unternehmen um 25% senken und private Haushalte durch eine Einkommenssteuerreform sowie eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Restaurantbesuche von 19 auf 7% entlasten.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie schnell den Worten auch Taten folgen. Ob die angekündigten Milliardeninvestitionen tatsächlich Wirkung zeigen oder sich als milliardenschweres Strohfeuer entpuppen, lässt sich derzeit schwer einschätzen. Entscheidend wird sein, dass die Mittel nicht in konsumtive Ausgaben fliessen, sondern in langfristige, wachstumswirksame Investitionen, die nachhaltig Wert schaffen.
Insgesamt lässt sich jedoch festhalten: Trotz der derzeit alles überschattenden Zollthematik gibt es Grund zur Hoffnung, dass Deutschland als wirtschaftliche Lokomotive Europas bald zurück in die Spur finden könnte. The Market hat an dieser Stelle bereits einige inländische Profiteure der deutschen Finanzwende vorgestellt. Doch auch Schweizer Unternehmen dürften aufatmen, wenn die grösste europäische Volkswirtschaft auf den Wachstumspfad zurückkehrt.
Auch für Johan Utterman, Head of Swiss Equities bei Lombard Odier Investment Managers, ist es jetzt an der Zeit, «auf Schweizer Unternehmen zu achten, die ein grosses Exposure nach Deutschland haben», wie er gestern im Interview mit The Market erklärt hat. Das Infrastrukturprogramm, zusammen mit den geplanten Rüstungsausgaben für ganz Europa, könne jetzt Kräfte freisetzen. «Unternehmen mit einem hohen Geschäftsanteil in Deutschland könnten die Gewinner dieses schwierigen Jahres werden», sagt der Fondsmanager.
Wer profitiert in der Schweiz?
Viele Unternehmen, die an der Schweizer Börse gelistet sind, erzielen einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes im nördlichen Nachbarland. Wie gross genau er ist, zeigt die folgende Tabelle: Sie listet auf, welchen Anteil das Deutschlandgeschäft am Gesamtumsatz ausgewählter Schweizer Gesellschaften ausmacht. Die Daten stammen aus einer Analyse der Bank Vontobel. Die Liste umfasst daher die 93 Schweizer Aktien, die vom Swiss Equity Research von Vontobel abgedeckt werden – das entspricht knapp der Hälfte aller Titel im Swiss Performance Index.
Dass die Versandapotheke DocMorris in der Liste fehlt, obwohl sie fast ausschliesslich in Deutschland aktiv ist, liegt entsprechend daran, dass Vontobel die Aktie nicht abdeckt. Aus Sicht von The Market liegen die Probleme von DocMorris jedoch ohnehin tiefer und würden aufgrund einer besseren Konsumstimmung in Deutschland kaum verschwinden –zumal die Schweizer gegenüber Konkurrent Redcare zunehmend an Boden verlieren.
Mobilezone: Deutschland-Strategie zündet noch nicht
2015, also vor genau zehn Jahren, startete Mobilezone mit dem Kauf des Handyabovermittlers EinsAMobile ihren zweiten Versuch, in Deutschland Fuss zu fassen. Zehn Jahre später erzielt der Schweizer Telekommunikationsdienstleister 72% seines Umsatzes in Deutschland – und führt damit die Vontobel-Liste klar an. Grund zum Feiern gibt es jedoch kaum. Das hohe Deutschland-Exposure ist mit den Jahren zu einer Last geworden, vor allem für die Marge.
Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2024 hat sich die bereits tiefe Profitabilität weiter verringert. Nur noch knapp 23 Mio. Fr. Ebit steuerte das Deutschlandgeschäft zum bereinigten Gruppen-Ebit von 52 Mio. Fr. bei, obschon sich der dortige Umsatz erhöhte. Fest steht: Der harte Wettbewerb mit den Konkurrenten Media Markt und Saturn – beide gehören zur kotierten Ceconomy-Gruppe – sowie die gestiegene Verhandlungsmacht von Onlinevergleichsportalen wie Check24 setzen den Schweizern zu. Diese sind ihrerseits mit den Plattformen Sparhandy und Deinhandy am Markt aktiv.
Aus Sicht von The Market ist Mobilezone kein geeignetes Investment, um auf eine mögliche Wirtschaftswende in Deutschland zu setzen. Für ZKB-Analyst Gian Marco Werro wird 2025 für das Deutschlandgeschäft ein Übergangsjahr mit einer Reorganisation und Entlassungen, während die neue Strategie – weniger Fokus auf Volumen, dafür vermehrt auf Deckungsbeiträge – implementiert werden soll.
Steht das deutsche Bauwesen vor der Erholung?
Sinnvoller erscheint es da, einen Blick auf Geberit zu werfen. Der Sanitärspezialist macht knapp ein Drittel seines Umsatzes in Deutschland. Der schwache Wohnungsbau in Deutschland, nicht nur im vergangenen Jahr, und der Rückgang der Baugenehmigungen in ganz Europa zählen zu den Hauptgründen für die verhaltene Kursentwicklung der Aktie.
2025 erwartet das Management immerhin eine «Stabilisierung der Nachfrage im Jahresverlauf». Das deutsche Infrastrukturpaket könnte zu einem ähnlichen Bauaufschwung führen wie unmittelbar nach der Covid-Pandemie 2021. Die Infrastruktur im ganzen Land gilt als veraltet und baufällig. Analysten der US-Grossbank Citi schätzen, dass die Sonderausgaben für Infrastruktur die deutsche Bauleistung (geschätzt 475 Mrd. € für 2025) über zehn Jahre um jährlich 11% steigern würden.
Marc Hänni, der bei Vontobel Asset Management für mehrere Schweizer Aktienfonds verantwortlich ist, hat im ersten Quartal seine Position in Geberit ausgebaut, wie er kürzlich gegenüber The Market verraten hat. «Wir sind überzeugt, dass der wichtigste Absatzmarkt Deutschland den Boden erreicht hat.» Und: Sollte das angekündigte Infrastrukturprogramm der deutschen Regierung greifen, könne dies zu einer positiveren Stimmung im Bausektor führen, ist er überzeugt.
Auch aus Sicht von The Market gehört Geberit in jedes Portfolio. Das Unternehmen schafft es, die Profitabilität konstant hoch zu halten. Sollte der Umsatz, angetrieben durch ein wiedererstarkendes Deutschlandgeschäft, nach Jahren der Stagnation wieder anziehen, dürfte sich das in entsprechenden Kursavancen niederschlagen.
Aus Sicht von Fondsmanager Utterman dürften zudem Unternehmen wie SFS (Umsatzanteil in Deutschland: 20%) und Georg Fischer (13%) von einer wieder anziehenden Bautätigkeit in Deutschland profitieren. Das gilt sowohl für den Geschäftsbereich Piping Systems als auch für Building Flow Solutions von Georg Fischer. Der Geschäftsbereich Distribution & Logistics von SFS Group sei in Deutschland stark vertreten, besonders nach der Übernahme von Hoffmann im Jahr 2022.
Philipp Murer, Leiter Portfoliomanagement bei der Bank Reichmuth, setzt angesichts eines möglichen Aufschwungs auf den Gebäudetechniker Zehnder, bei dem Vontobel den Umsatzanteil in Deutschland auf 30% schätzt. Für ihn könnte der deutsche Wohnungsbau den Tiefpunkt erreicht haben, wie er kürzlich gegenüber The Market gesagt hat. Er gehe davon aus, dass sich der Trend auch dank dem angekündigten Investitionsprogramm fortsetzen werde.
Zudem scheine sich der Markt für Lüftungsanlagen im restlichen Europa zu stabilisieren. «Zehnder hat die Hausaufgaben gemacht, die Organisation verschlankt und die Produktion gestrafft.» Daher erwartet der Fondsmanager eine starke operative Hebelwirkung, wenn das Volumen zurückkehrt.
Intralogistiker: Kardex und Interroll würden profitieren
Auch die Schweizer Intralogistiker sind stark in Deutschland exponiert. Zwar machen sie keine genauen Angaben zu ihren Geschäftszahlen in Deutschland, doch Vontobel schätzt den Deutschlandanteil bei Kardex auf 35% und bei Interroll auf 30%. Besonders Interroll dürfte einen Aufschwung in Deutschland nötig haben, schrumpft der Umsatz doch bereits das zweite Jahr in Folge, während Kardex seit 2020 kontinuierlich wächst.
Während die Aktien der Tessiner bereits seit Jahren schlecht laufen und mittlerweile auf einem Fünfjahrestief notieren, verzeichneten zuletzt auch die Titel von Kardex ausgeprägte Gewinnmitnahmen. Die Zürcher haben mit klugen Akquisitionen in den letzten Jahren das Produkt- und Lösungsangebot geschickt ergänzt und sich breiter aufgestellt, wovon auch die Aktien lange profitierten. The Market sieht Kardex bestens positioniert, um vom strukturellen Trend der Automatisierung von Material- und Warenflüssen zu profitieren. Das breite Portfolio schützt zudem vor starken konjunkturellen Schwankungen.
Interroll leidet noch immer unter der Investitionszurückhaltung bei Grossprojekten, vor allem im Bereich E-Commerce. Peter Kraus, Head of Small Cap Equities bei Berenberg, findet im Bereich der zyklischen Industriewerte Intralogistiker wie Interroll, aber auch Jungheinrich aus Deutschland gut positioniert für einen Aufschwung in Deutschland, wie er im März gegenüber The Market verraten hat.
Aryzta: Warten auf den Investorentag
Auch der Tiefkühlbäcker Aryzta ist mit einem Umsatzanteil von 28% stark auf den deutschen Markt ausgerichtet. Er hat die letzten Jahre wieder an Attraktivität gewonnen und seine Mittelfristziele für 2025 – u.a. eine Ebitda-Marge von 14,5% – bereits im letzten Jahr erreicht. Der Start ins Jahr 2025 ist ebenfalls gelungen, auch wenn das am Dienstag gemeldete Update für das erste Quartal beim Wachstum leicht enttäuschte.
Der Fokus richtet sich auf den kommenden Investorentag am 7. Mai, an dem Aryzta neue Mittelfristziele für das Wachstum und die Margenentwicklung publizieren und insbesondere den Weg zurück zur Dividende aufzeigen dürfte. Vontobel-Analyst Arben Hasanaj sieht das Unternehmen gut aufgestellt, um seine Schlüsselkennzahlen weiter zu verbessern – dank eines «anhaltenden Fokus auf Effizienz, Premiumisierung und organisches Wachstum», das durch hochwertige Kapazitätserweiterungen unterstützt werde.
Calida: bessere Konsumstimmung bitter nötig
Besonders angewiesen auf eine Aufhellung der Konsumentenstimmung in Deutschland dürfte Calida sein. Die Textilgruppe, die dort 27% ihres Geschäfts macht, befindet sich mitten in einem Abschwung. Bei Konsumenten in Deutschland, aber auch in Frankreich und der Schweiz hat neue Unterwäsche oder ein neuer Pyjama derzeit keine Priorität. Zudem ist das Markenportfolio zu wenig exklusiv, als dass Kunden auch in Krisenzeiten nicht darauf verzichten wollten. Seit gut zwei Jahren befinden sich die Aktien im Abwärtssog.
Bei Calida ist ein schwaches Konsumumfeld nur eines von mehreren Problemen. Um die Margenziele (mittelfristig 10% Ebit-Marge) zu erreichen, muss die Lieferkette umorganisiert werden, was nach Meinung der ZKB-Analysten, die die Aktien mit «Untergewichten» einstufen, Risiken birgt in Bezug auf Qualität, Nachhaltigkeit und Redundanzen in der eigenen Produktion.
Zudem trauen die Analysten dem neuen CEO (Thomas Stöcklin ab 1. Juni 2025) nicht zu, «die Gruppe mit dem nötigen kritischen Blick zu betrachten und die nötige Neuausrichtung voranzutreiben». Stöcklin ist bereits seit zwei Jahren im Unternehmen engagiert. Die Aktien dürften sich daher weniger eignen, um allein auf einen Aufschwung in Deutschland zu setzen – für Kursavancen braucht es mehr.
Ähnlich verhält es sich mit den Titeln von OC Oerlikon. Der Industriekonzern generiert ebenfalls 27% seines Umsatzes in Deutschland, doch die Probleme stecken tiefer. OC Oerlikon befindet sich mit der Abspaltung des Chemiefasergeschäfts (Division Polymer Processing) mitten in einem Turnaroundprozess. Die Kursgewinne des vergangenen Jahres erwiesen sich als nur vorübergehend und wurden durch die Zollwirren vollständig ausgelöscht.
Wer im Industriesegment nach Titeln sucht, mit denen sich auf einen Aufschwung in Deutschland setzen lässt, dürfte mit Bossard, Dormakaba, SFS oder auch Ems-Chemie besser fahren. Alle drei erzielen rund ein Fünftel ihres Umsatzes in Deutschland.