Montag, September 30

Im Spannungsfeld zwischen sinkenden Zinsen und anhaltenden Rezessionsängsten wird Investieren anspruchsvoll. Eine Positionierungsmöglichkeit bieten Aktien von Unternehmen, die sich aus eigener Kraft operativ verbessern können.

Der Zinszyklus ist eingeleitet: Die Europäische Zentralbank sowie die Schweizerische Nationalbank haben in drei Schritten von je 25 Basispunkten (Bp) die neue Richtung eingeläutet, die US-Notenbank Fed hat mit einer Senkung um 50 Bp gleich eine abrupte Kurskorrektur vorgenommen.

Die neue Richtung stützt zwar die Bewertung von Aktien, doch die Zinsen werden auch aus einem triftigen Grund gesenkt: Die Wirtschaft lahmt.

In diesem Spannungsfeld zwischen sinkenden Zinsen und anhaltenden Rezessionsängsten wird Investieren anspruchsvoller.

Eine Möglichkeit, sich zu positionieren, ist, Aktien von Unternehmen zu bevorzugen, die Potenzial für firmeninterne Verbesserungen haben und das auch nutzen. Solche Selbsthilfemassnahmen geben einen Hebel in die Hand, zwar nicht losgelöst von der konjunkturellen Entwicklung, aber zusätzlich dazu und aus eigener Kraft das Gewinnpotenzial zu beeinflussen.

In einem konjunkturellen Abschwung kann das helfen, die Margen zu verteidigen. Bei einem Aufschwung bestehen Chancen, überproportional grosses Potenzial für Gewinnwachstum zu schaffen.

Was fast zu gut klingt, um wahr zu sein, hat tatsächlich auch einen Haken: «Unternehmen verändern sich nicht dann, wenn die Zahlen stimmen, sondern nach vorangegangenen Versäumnissen oder Unfällen – teilweise erst dann, wenn sie kurz vor dem Abgrund stehen», sagt Hilmar Langensand, Gründungspartner und Fondsmanager bei zCapital.

Will heissen: Die Aktienhistorie solcher «Self help stories» ist meist von einer zuvor ausgeprägten Leidensgeschichte geprägt, bevor langsam Hoffnung auf Besserung aufkommt.

2020 befand sich Aryzta in einer fast ausweglosen Situation. Nach waghalsigen Übernahmen und einer schlechten operativen Performance war die Verschuldung des Backwarenkonzerns auf das Sechsfache des Betriebsgewinns vor Abschreibungen und Amortisationen (Ebitda) gestiegen. Dazu kamen Liquiditätsprobleme: Die Couponzahlungen auf die Hybridanleihen waren ausgesetzt, womit mehr als 100 Mio. € an Zinsen aufgelaufen waren. Der Aktienkurs hatte einen Tiefpunkt erreicht.

Eine oppositionelle Aktionärsgruppe um Veraison und Cobas übernahm danach in einer Kampfabstimmung das Zepter, verscheuchte das alte Management und setzte den Schweizer Urs Jordi als neuen Präsidenten ein. Später übernahm er in Personalunion auch das CEO-Amt.

Dieser personelle Wechsel markierte den Beginn des Turnarounds, aus dem das Unternehmen unter neuer Führung und aus eigener Kraft, dem Verkauf von Unternehmensteilen, mit dessen Erlös Schulden getilgt wurden, zurück zum Erfolg fand. Ab nächstem Jahr dürfte es sogar wieder eine Dividende ausschütten.

«Fünf von sechs Mittelfristzielen wurden frühzeitig erreicht», sagte Martin Lehman von 3V Asset Management jüngst im Interview mit The Market. In seinem Fonds ist Aryzta dank der Kurserholung zur grössten Position herangewachsen. Die Kapitalrendite liege erstmals wieder über 13% und deutlich über den Kapitalkosten. Damit generiere Aryzta wieder Mehrwert für die Aktionäre: «Ich glaube, die Aktien haben noch gut 30 bis 40% Potenzial nach oben.»

Ein weiteres klassisches Beispiel ist Schindler. Der Hersteller von Aufzügen und Rolltreppen litt nicht nur darunter, dass das Neuinstallationsgeschäft im weltweit wichtigsten Aufzugsmarkt China wegen der Krise im Immobiliensektor harzte. Für Verunsicherung sorgte darüber hinaus, dass die Margen der Schweizer im Vergleich zu den Konkurrenten Otis und Kone absackten.

Die Familienaktionäre griffen durch und trennten sich über Nacht vom langjährigen CEO Thomas Oetterli. An seiner Stelle übernahm Silvio Napoli, Präsident des Verwaltungsrats, zusätzlich das Amt des CEO. Was anfänglich weiter verunsicherte, entpuppte sich über die Zeit als richtig, wie der sich wieder erholende Kurs zeigt.

Napoli besetzte das Management neu, implementierte endlich die lange versprochene Modularisierungsstrategie und lenkte den Fokus wieder darauf, bei Neuaufträgen nicht primär auf das Volumen, sondern auf die Profitabilität zu achten: Die Margen legten wieder zu – auch ohne, dass sich das allgemeine Umfeld verbesserte.

Inzwischen schliesst das Management nicht mehr aus, künftig sogar das branchenführende Margenniveau von Otis erreichen zu können. «Die Endmärkte bleiben voraussichtlich noch eine Weile schlecht», sagt Fondsmanager Lehmann. «Doch dank der firmenintern laufenden Profitabilitätssteigerungen kann Schindler diesen Gegenwind parieren und den Gewinn aus eigener Kraft weiter steigern.»

Ebenso abrupt wie bei Schindler wechselte im April vor einem Jahr Barry Callebaut nach zu grossen Versprechen den CEO aus: Peter Boone musste gehen, und Peter Feld, zuvor CEO der Jacobs Holding, die 30% an Barry Callebaut hält, übernahm. Beim weltgrössten Schokoladeproduzenten bestimmt ebenfalls eine Familie das Geschehen. Was folgte, war eine tiefgreifende Restrukturierung.

«Die eingeleiteten Selbsthilfemassnahmen versprechen eine künftig wieder steigende Profitabilität», sagt Fondsmanager Lehmann. Allerdings werde es bei Barry dauern, bis die Erfolge sichtbar werden, da gegenwärtig exogene Faktoren wie die enorm hohen Kakaopreise belasten, die Konsumflaute das Absatzpotenzial schmälert und obendrauf Restrukturierungkosten gestemmt werden müssen.

Trotz dieses derzeit perfekten Sturms und der damit verbunden grossen Kursausschläge: The Market sieht im Zug der Effizienzsteigerungsmassnahmen mittelfristig deutliches Kurspotenzial in den zuvor so verlässlichen Barry-Aktien.

Nach Verlusten und massiven Kursrückgängen hat Bystronic zur Restrukturierung angesetzt. Mit der Caliza Holding, hinter der unter anderem der Industrielle Jacob Schmidheiny steht, ist das Unternehmen ebenfalls von einem Grossaktionär geprägt.

Nachdem seit Juli mit Domenico Iacovelli ein neuer CEO amtet, hat der Hersteller von Maschinen zur Blechbearbeitung die Hoffnung aufgegeben, dass sich das Marktumfeld in absehbarer Zeit deutlich erholen wird, und nimmt nun strukturelle Anpassungen vor. Ziel ist es, künftig jährlich 40 bis 60 Mio. Fr. an Kosten einzusparen.

Mit einem Liquiditätspolster von 300 Mio. Fr. ist das Unternehmen gut gerüstet, um die Transformation zu stemmen und/oder sich mit Akquisitionen zu stärken. Doch selbst wenn das gelingt und der Gewinnhebel im derzeitigen Abschwung massiv vergrössert wird: Greifbar wird dieses Potenzial erst werden, wenn auch die Konjunktur anzieht. Aus dieser Perspektive könnte trotz des tief gefallenen Kurses sowie des nun eingeleiteten Turnarounds ein Einstieg verfrüht sein.

Ähnlich gestaltet sich die Situation bei Schweiter – sowohl bezüglich des Kursverlaufs als auch des Produkteabsatzes.

Statt zum Sparhammer zu greifen, will das Management über Wachstumsinitiativen die Initiative ergreifen. Doch die schwierigen Marktbedingungen können damit nicht auf die Seite gewischt werden.

«Kurzfristig wird das Unternehmen wohl noch mit der schwachen Konjunktur kämpfen, was die Verbesserungsbemühungen überlagern dürfte», sagt Fondsmanager Langensand, der vergangene Woche am Kapitalmarkttag von Schweiter war. «Doch mittelfristig versprechen die Titel Kurspotenzial.» Dies, zumal Schweiter schuldenfrei sei, die Aktie derzeit unter Buchwert erworben werden kann und sich das Management ambitionierte Mittelfristziele gesetzt habe.

Oft drehen sich «Self help stories» nicht nur um Markteinbrüche oder frühere Versäumnisse, die korrigiert werden, sondern werden durch Druck von aussen angestossen.

Bei Aryzta hatte der aktivistische Fonds Veraison massgeblich Einfluss genommen. Bei U-Blox gab sich Mitte November die aktive Beteiligungsgesellschaft Spectrum Entrepreneurial Ownership (SEO) als neuer grösster Einzelaktionär zu erkennen. Hinter SEO steht das Family Office des Holcim-Grossaktionärs Thomas Schmidheiny, und geleitet wird es von Ilias Läber und Fabian Rauch, die beide früher für Cevian Capital gearbeitet haben, die grösste aktive europäische Beteiligungsgesellschaft.

Nur eine Woche nach der Beteiligungsmeldung kündigte der Chipdesigner an, sich einer Fokussierung zu unterziehen.

In der Folge zog sich die alte Garde endgültig zurück und machte Platz für ein neues Kapitel: Mit Stephan Zizala und Camila Japur hat U-Blox das Management komplett erneuert. «Das schafft Raum für eine Neuorientierung», sagt Langensand. «Jetzt werden die Weichen neu gestellt.»

«Die teure und verlustreiche Entwicklung eigener Mobilfunkchips wurde gestoppt, und wir erwarten eine weitere Fokussierung auf das Positionierungsgeschäft.» In diesem Bereich verfüge U-Blox eine global führende Marktstellung und erziele attraktive Margen.

Noch leide U-Blox zwar unter den hohen Lagerbeständen der Kunden, und 2024 werde operativ kein gutes Jahr werden. «Wir erwarten jedoch noch vor Jahresende Klarheit über die Zukunft der Mobilfunksparte», sagt der Fondsmanager. «Wenn die Stärke des Positionierungsgeschäfts endlich sichtbar wird, glauben wir an deutliches Kurspotenzial.»

Wie bei U-Blox ist der aktive Investor SEO seit Mai 2023 auch bei Dormakaba engagiert. Auch hier wurde sowohl im Verwaltungsrat als auch im Management aufgeräumt, und erste Effizienzerfolge sind bereits greifbar – jüngst sogar eine positive Überraschung bei der Präsentation des Gesamtjahres 2023/24.

Mit Ilias Läber soll an der kommenden Generalversammlung vom 10. Oktober zudem ein Vertreter des Grossaktionärs SEO zusammen mit Marianne Janik neu in den Verwaltungsrat gewählt werden. Dadurch erhöht sich die Sicherheit, dass die Reformbestrebungen weitergeführt werden.

Während die operativen Verbesserungen weitergehen, hat sich einer der zentralen Gründe für den Reformdruck jedoch bereits weitestgehend normalisiert, nämlich die Bewertung.

Jahrelang war Dormakaba der schwedischen Konkurrentin Assa Abloy nicht nur punkto Wachstum und Profitabilität hinterhergehinkt, sondern an der Börse auch zu einem klaren Abschlag bewertet worden.

Diese Diskrepanz hat sich nach der rasanten Kursentwicklung klar verringert, womit die Börse hier das Restrukturierungspotenzial nun weitgehend vorwegnimmt.

Mit Cevian hat nun auch Baloise einen Aktivisten im Haus. Kurz nachdem der Vermögensverwalter zCapital an der Generalversammlung des Versicherers mit der Forderung durchgedrungen war, die Stimmrechtsbeschränkung abzuschaffen, gab sich Cevian als Aktionär zu erkennen.

Inzwischen hat der schwedisch-schweizerische Investor nach eigenen Aussagen die Position auf 9,4% ausgebaut – und den Verwaltungsrat und das Management aufgefordert, das Geschäft zu transformieren, was primär über eine Fokussierung geschehen soll.

Am Investorentag vom 12. September hat das Management um CEO Michael Müller dann Dutzende von Massnahmen aufgeführt, mit denen Baloise «auf den bestehenden Stärken weiter aufbauen und die Profitabilität erhöhen» will. Eine Fokussierung wurde jedoch nirgends ersichtlich. Genau dieser Punkt steht auf der Prioritätenliste von Cevian jedoch ganz zuoberst: «Die angekündigten Massnahmen sind ungenügend», kommentierte Robert Schuchna, Partner von Cevian, das an diesem Tag vorgelegte Strategie-Update.

Offensichtlich sträubt sich die Führung um Verwaltungsratspräsident Thomas von Planta und CEO Michael Müller, aus eigenem Antrieb strategische Veränderungen anzugehen.

Doch: Nach der Auflösung der Stimmrechtsbeschränkung und angesichts der Beteiligung des neuen Grossaktionärs Cevian sei es nur eine Frage der Zeit, bis über die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung Handlungsdruck entstehe, sagt ein dritter Fondsmanager, der nicht genannt werden möchte. Er sieht bei Baloise enormes Verbesserungspotenzial; sowohl operativ, als auch bezüglich der Marktpräsenz: «Baloise wird gezwungen werden, dieses Selbsthilfepotenzial auszuschöpfen.»

Selbsthilfesituationen sind ein Hebel, um aus eigener Kraft die Margen zu schützen – oder die Gewinnkraft zu stärken. Oft werden sie jedoch aus der Not geboren und die Erfolgsaussichten sind genau dann am unsichersten, wenn das Kurspotenzial am verlockendsten ist.

Aus dieser Perspektive bieten Aryzta und Schindler, deren Restrukturierungen bereits fortgeschritten sind, mehr Anlagesicherheit, aber wohl auch nicht mehr ganz so viel Kurspotenzial. Bereits weitgehend im Kurs enthalten dürften die anvisierten Margensteigerungen bei Dormakaba sein.

Grosses Erholungspotenzial bieten hingegen Schweiter und Bystronic. Aber hier dürfte die konjunkturelle Unsicherheit vorläufig noch stärker belasten, als die firmenintern eingeleiteten Massnahmen Hoffnung auf Besserung aufkommen lassen.

Eine etwas geringere Konjunkturabhängigkeit, aber ausgeprägtes Selbsthilfepotenzial weist U-Blox auf, was die Aktien zu einer riskanten, aber möglicherweise lukrativen Wette macht. Mit geringerem Risiko und einer etwas längeren Perspektive trifft das auch auf Barry Callebaut zu.

Bei Baloise spiegelt die Börse das Verbesserungspotenzial erst im Ansatz. Sollte der Versicherer gezwungenermassen doch noch zur «Self help Story» werden, verspricht das sowohl weitere Kursgewinne als auch gleichzeitig ein gewisses Schutzschild, da das Versicherungsgeschäft nur wenig konjunkturabhängig ist.

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