Freitag, November 29

Novo Nordisk und Eli Lilly dominieren den lukrativen Markt für Abnehmpräparate. Doch andere Pharma- und Biotech-Unternehmen rüsten auf, um etwas vom Kuchen abzubekommen. The Market zeigt, wer die besten Pfeile im Köcher hat.

Vor rund dreissig Jahren gab es schon einmal einen Hype um Abnehmpräparate. In den Neunzigerjahren liess Fen-Phen, eine Kombination der beiden Appetitzügler Fenfluramin und Phentermin, die Kilos vieler Menschen purzeln. Das gefeierte «Wundermittel» entpuppte sich jedoch nach wenigen Jahren als potenziell lungenschädigend, und es verursachte darüber hinaus schwerwiegende Herzklappenfehler, die in Tausenden Fällen zum Tod führten.

Die Folge: Rund ein Vierteljahrhundert tat sich in der Forschung und Entwicklung von Abnehmpräparaten nur wenig. Neue Medikamente gegen Fettleibigkeit kamen zwar vereinzelt auf den Markt, taten sich jedoch schwer mit der gesellschaftlichen Akzeptanz aufgrund der verheerenden Erfahrungen der Menschen mit dem Fen-Phen-Cocktail. 2020 belief sich der Umsatz mit Abnehmpräparaten in den USA laut JPMorgan auf lediglich 500 Mio. $ – angesichts einer US-Bevölkerung, in der zwei Drittel als fettleibig oder übergewichtig gelten, ist das kaum nennenswert.

Doch in den jüngsten Jahren hat sich die Situation schlagartig verändert. 2023 dürfte sich das Geschäft mit Abnehmmitteln gemäss Schätzung von JPMorgan gegenüber 2020 verzehnfacht haben. Und nicht nur das: Bis 2030 rechnen die Analysten mit einem Umsatzvolumen in den USA von 44 Mrd. $ (vgl. Grafik).

Der Markt für Fettleibigkeit in den USA wächst rasant

Weltweit reichen die Schätzungen bis über 100 Mrd. $. Morgan Stanley hat ihr Best-Case-Szenario für 2030 kürzlich auf 144 Mrd. $ hochgeschraubt, im «schlechtesten» Fall rechnet sie mit 55 Mrd. $.

Grund für die Umsatzexplosion seit 2022 sind die beiden Pharmagrössen Novo Nordisk und Eli Lilly. Sowohl die Dänen als auch die Amerikaner sind seit Jahrzehnten führend bei Medikamenten zur Behandlung von Diabetes. Vor wenigen Jahren zeigte sich, dass ihre Diabetesspritzen Ozempic und Mounjaro – sie ahmen, vereinfacht gesagt, das GLP-1-Hormon nach, das die Abgabe von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse fördert – auch zu einer signifikanten Gewichtsreduktion führen.

Seitdem sprudeln die Gewinne, und die Aktien kennen nur eine Richtung: nach oben.

Platz für weitere Anbieter

Werden die beiden Pharmariesen den Markt unter sich aufteilen? Novo Nordisk hat bereits Mitte 2021 ihre Abnehmspritze Wegovy – eine modifizierte Version von Ozempic – im US-Markt eingeführt, 2023 folgte Europa. Eli Lilly profitiert seit Jahren davon, dass ihr Diabetesmedikament Mounjaro von Ärzten massenweise off label – also ausserhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs – gegen Fettleibigkeit verschrieben wird. Im November 2023 haben die Amerikaner ihrerseits eine modifizierte Version, Zepbound, auf den Markt gebracht.

«Novo Nordisk und Eli Lilly werden den grossen Teil des wachsenden Marktes für Abnehmpräparate einnehmen», sagt Thomas Heimann, Analyst bei der Investmentgesellschaft HBM Partners, die auf Biotech-Unternehmen spezialisiert ist. Dennoch ist er überzeugt, dass es Platz für weitere Anbieter gibt – vor allem, wenn es um weitere Indikationen und modifizierte Wirkmechanismen geht. «GLP-1-Medikamente sind seit knapp zwanzig Jahren auf dem Markt. Das sind keine allzu komplexen Moleküle, die man nicht kopieren könnte», meint Heimann. Vorerst jedoch sind die wichtigsten Umsatzträger bis Anfang der nächsten Dekade patentgeschützt.

Doch es gebe bei solchen Medikamenten noch zahlreiche Themen, die bearbeitet werden könnten und wo andere, auch kleinere Player nachziehen könnten. «Der mit der Einnahme der Präparate verbundene Muskelschwund ist ein Problem, das auch von anderen Pharma- und Biotech-Unternehmen angegangen wird.» Ein anderes Thema sei eine orale Pille, deren Verabreichung einfacher und vor allem günstiger sei.

Das Feld, das beackert werden kann, ist also gross – und die Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet mittlerweile entsprechend ausgedehnt. Gemäss Zahlen des Life-Science-Unternehmens und Statistikdienstleisters Iqvia befinden sich derzeit bei Pharma- und Biotech-Gesellschaften 124 Kandidaten in der Entwicklung, 61 davon sind in der ersten Phase, 47 in Phase 2 und acht in der entscheidenden dritten Phase. Weitere acht Medikamente sind bereits zugelassen (vgl. Grafik, zusammengestellt von Fierce Biotech).

Muskelschwund ein grosses Thema

Tatsächlich beschäftigt der Muskelschwund, der mit der Verabreichung der Abnehmspritzen verbunden ist, auch Novo Nordisk und Eli Lilly. Ein Grossteil der Gewichtsreduzierung geschieht durch den Abbau von Muskeln. Experten befürchten dadurch ein erhöhtes Verletzungsrisiko, vor allem bei älteren Patienten. Zudem werden Befürchtungen laut, der Muskelschwund könnte den Stoffwechsel verlangsamen, was zu einer Gewichtszunahme führen könnte. Und: Es ist nach wie vor unklar, ob Patienten bei einer erneuten Gewichtszunahme genügend Muskelmasse aufbauen.

Um diesem Problem zu begegnen, hat Eli Lilly im vergangenen Sommer für knapp 2 Mrd. $ das Biotech-Start-up Versanis akquiriert. Es arbeitet an einem monoklonalen Antikörper, der in Kombination mit dem GLP-1-Wirkstoff dabei helfen soll, die Muskelmasse zu erhalten. Viele Biotech-Unternehmen arbeiten, vereinfacht gesagt, daran, Proteine zu blockieren, die das Muskelwachstum beschränken – wie etwa Myostatin und Aktivin. Der US-Konzern Regeneron will seine Myostatin- und Aktivin-Antikörper mit dem GLP-1-Analogon von Novo Nordisk, Semaglutid, untersuchen.

Auch Roche springt auf den Zug auf

In der Schweiz hat sich Roche mit der Akquisition von Carmot Therapeutics im vergangenen Dezember drei Produktkandidaten ins Haus geholt, die auf dem GLP-1-Wirkmechanismus aufbauen. Auch der Pharmariese will nach eigenen Angaben seine Abnehmmedikamente künftig mit einem Myostatin-Antikörper testen, um Muskelschwund vorzubeugen.

Am Donnerstag meldeten die Basler überraschend positive Phase-1-Daten zu ihrem Produktkandidaten CT-388. Der Wirkstoff habe bei gesunden, aber fettleibigen Erwachsenen in nur sechs Monaten zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von knapp 19% geführt. Damit könnte Roche mit den Medikamenten von Eli Lilly und Novo Nordisk mithalten. Chief Medical Officer Levi Garraway spricht in der Medienmitteilung sogar davon, dass CT-388 das Potenzial habe, die «Best in Class Therapy» zu werden.

Den Roche-Aktien gab dies einen lang ersehnten Impuls. Am Donnerstag kletterte der Kurs um bis zu 5% nach oben. Allerdings ist es bis zur Marktreife noch ein langer Weg. Die Studie wurde gemäss «FuW» lediglich an 31 Personen durchgeführt, was sehr wenige sind. Zudem scheint das Nebenwirkungsprofil ähnlich zu sein wie bei anderen GLP-1-Wirkstoffen, was eine Differenzierung zu den bestehenden Mitteln erschwert.

Für die gebeutelten Roche-Titel ist es jedoch die erste gute Nachricht nach einer langen Durststrecke.

Kleinere kotierte Biotech-Unternehmen, die ebenfalls über den Myostatin-Stoffwechselweg den Muskelschwund verhindern wollen, sind Scholar Rock, Keros Therapeutics und Biohaven. Diese Titel sind jedoch nur für besonders risikoaffine Anleger eine Option, die mit Totalverlusten umgehen können. Wells-Fargo-Analyst Tiago Fauth, der die Aktien von Keros zum Kauf empfiehlt, unterstreicht immerhin die finanzielle Solidität des Biotech-Start-up; das Gleiche gesteht BMO-Capital-Analyst Etzer Darout Scholar Rock zu.

Amgen: defensivere Variante für den Hype

Eine vergleichsweise defensive Möglichkeit, auf das Hype-Thema Fettleibigkeit zu setzen, ist Amgen. Der an der Börse mit rund 170 Mrd. $ bewertete Pharmariese hat mit MariTide einen Antikörper in der Entwicklung, der die Rezeptoren des GLP-1-Hormons aktiviert, gleichzeitig aber die Rezeptoren des sogenannten GIP-Hormons blockiert. Beide Hormone werden nach dem Essen ausgeschüttet und verstärken die Insulinfreisetzung.

Während das Medikament von Eli Lilly beide Hormone aktiviert, regt Novo Nordisks Wegovy lediglich das GLP-1-Hormon an. Amgens Kandidat hat in der ersten Entwicklungsphase bei Patienten zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von 14,5% geführt. Ein grosser Vorteil ist dabei, dass MariTide nicht wöchentlich, sondern lediglich monatlich verabreicht werden muss. Noch spannender: Studienergebnisse gaben Hinweise darauf, dass die Patienten auch dann noch an Gewicht verlieren, wenn das Medikament nicht mehr in ihrem Körper zirkuliert. Obwohl in diesem Fall das Körpergewicht der Patienten nach zwei Monaten wieder leicht stieg, war es fünf Monate nach der letzten Dosis immer noch 11% niedriger.

Sollte sich diese länger anhaltende Wirkung in weiteren Studien bestätigen, wäre dies ein grosser Vorteil gegenüber den auf dem Markt befindlichen Medikamenten. Patienten, die Wegovy und Zepbound einnehmen, neigen dazu, schnell wieder an Gewicht zu gewinnen, sobald sie die Medikamente absetzen. Auch Heimann von HBM Partners sieht in Amgen mit ihrem Kandidaten MariTide eine Möglichkeit, diversifiziert in das Thema Fettleibigkeit zu investieren. «Hier hat man nicht das Ausfallrisiko eines einzelnen Medikaments, sondern ein breites Portfolio an vielversprechenden Produktkandidaten.»

Zealand Pharma: Wirkstoffmechanismus mit weniger Nebenwirkungen

Die in Heimanns Augen spannendste Wette in diesem Bereich ist jedoch Zealand Pharma. Das dänische Unternehmen hat zusammen mit dem deutschen Pharmakonzern Boehringer mit Survodutid einen GLP-1-Wirkstoff, der sich bereits in Phase 3 befindet. Anders als andere GLP-1-Präparate zielt Survodutid ausser auf GLP-1 auch auf das Stoffwechselhormon Glucagon ab. Ende Februar zeigte sich der Kandidat in einer klinischen Studie zudem wirksam gegen Fettleberentzündung. Das bescherte den Aktien von Zealand Pharma einen Kurssprung von über 30%.

Doch für Heimann ist ein anderer Kandidat im Zealand-Portfolio noch interessanter. «Der Wirkstoff Petrelintid basiert nicht auf dem GLP-1-Mechanismus, sondern auf dem Verdauungshormon Amylin. Damit kann Zealand gegenüber anderen Unternehmen etwas Differenziertes anbieten.» Petrelintid befindet sich zwar erst in Phase 1, doch neueste Daten deuten darauf hin, dass der Produktkandidat weniger Nebenwirkungen aufweist als GLP-1-Präparate. Das Präparat soll erst nach dem Essen für ein Gefühl der Sättigung sorgen, statt als «Appetitzügler» vor dem Essen zu wirken.

Gemäss Studien führen GLP-1-Medikamente je nach Dosierung bei 15 bis 46% der Patienten zu Magen-Darm-Beschwerden. Das Zealand-Präparat wäre hier eine willkommene Alternative. Analysten von Berenberg schreiben Petrelintid einen Spitzenumsatz von 12 Mrd. $ zu. Survodutid werden 7 Mrd. $ zugetraut; hier würde Zealand bei einer Markteinführung Lizenzzahlungen von rund 10% erhalten. Dem dritten Kandidaten, Dapiglutide – ein weiteres Fettleibigkeitsmolekül, das sowohl auf GLP-1 als auch auf GLP-2 abzielt –, wird ein Spitzenumsatz von 4 Mrd. $ zugetraut.

Die Zealand-Aktien sind zuletzt bereits gut gelaufen. Doch sollten sich die positiven Nachrichten fortsetzen, ist bei einer Marktkapitalisierung von derzeit 5,6 Mrd. $ noch Luft nach oben. Zudem gilt Zealand angesichts des Hypes um Abnehmpräparate als interessanter Übernahmekandidat für Big Pharma. Wichtig werden weitere Studiendaten zu Petrelintid sein, die gegen Ende des laufenden Quartals erwartet werden.

Viking Therapeutics: Kampf der Fettleber

Ein weiterer Übernahmekandidat ist Viking Therapeutics. Das in San Diego ansässige Biotech-Unternehmen sorgte im Februar mit positiven Daten zur Phase-2-Studie mit dem Wirkstoffkandidaten VK2735 – er zielt auf die Schlüsselrezeptoren GLP-1 und GIP ab – für einen Kurssprung bei den Aktien. CEO Brian Lian berichtete an der Telefonkonferenz, dass sich die Behandlung als sicher und gut verträglich erwiesen habe. Ende März legte das Biotech-Start-up nach und meldete einen Studienerfolg mit der oralen Variante von VK2735.

Die Euphorie um Viking liegt aber auch in ihrer Produktpipeline für die Behandlung der nichtalkoholischen Fettleber (Non Alcoholic Steatohepatitis, kurz NASH) begründet. Überzeugende Ergebnisse einer Phase-2-Studie zeigten eine signifikante Senkung des LDL-Cholesterinwerts und des Leberfettgehalts, was darauf hindeutet, dass der Wirkstoff bei einer Vielzahl von Stoffwechselpatienten eingesetzt werden kann.

Grundsätzlich sollten sich Anleger darüber im Klaren sein, dass Investments in Biotech-Aktien zwar grosse Chancen, aber auch hohe Risiken bedeuten. Fast sämtliche hier erwähnten Valoren ausser Roche und Amgen (und natürlich Novo Nordisk und Eli Lilly) bergen ein Totalverlustrisiko. Daher empfiehlt es sich, solche Titel als Hoch-Risiko-Assets zu betrachten und nur einen kleinen Teil des Vermögens darin zu investieren.

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