Sonntag, September 29

Die Zementproduktion ist äusserst CO2-intensiv. Wenn ab 2026 in Europa die Bepreisung von Treibhausgasemissionen zu beissen beginnt, geht das ins Geld. Wer geschickt agiert, kann daraus aber sogar ein Geschäft machen.

Viele Länder und Unternehmen haben Netto-Null-Ziele ausgegeben. Sie streben an – meist mit einem Zeithorizont bis 2050 –, nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre auszustossen, als natürlicherweise wieder gebunden wird. Das ist notwendig, um gemäss dem Pariser Klimaziel die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad zu beschränken.

Insgesamt ist die Welt zwar alles andere als auf diesem Pfad. Die Herausforderungen, auf den richtigen Weg einzuschwenken, gestalten sich für die jeweiligen Branchen aber unterschiedlich: IT-Konzerne, bei denen in der Klimabilanz primär der Energieverbrauch für die immer leistungsstärkeren Rechenzentren ins Gewicht fällt, können auf Strom aus erneuerbaren Quellen setzen, um ihre CO2-Bilanz sowohl kostengünstig als auch verhältnismässig rasch ins Lot zu bringen.

Komplizierter gestaltet sich die Umstellung bei Automobilkonzernen. Bei ihnen belastet weniger die hauseigene Produktion der Autos, sondern viel mehr das CO2, das ihre Fahrzeuge nach dem Verkauf im Betrieb über den gesamten Lebenszyklus ausstossen. Um das zu ändern, braucht es eine Umstellung des Produkteangebots, hauptsächlich eine Verschiebung in Richtung Elektromobilität – sowie die Hoffnung, dass die Kunden die Batterien zunehmend mit Strom aus erneuerbaren Quellen laden.

Besonders herausfordernd gestaltet sich nachhaltiges Wirtschaften, wenn mit der Herstellung der Produkte zwangsläufig eine enorme Umweltbelastung verbunden ist. Ein solches Beispiel sind Bergbauunternehmen. Der Abbau von Rohstoffen verschmutzt die Umwelt massiv, braucht und vergiftet Unmengen an Wasser und schafft in den Abbaugebieten oft gesellschaftliche Not und Konflikte. Dennoch: Industriemetalle wie Kupfer, Kobalt und Nickel sind für die Energiewende unerlässlich – es braucht sie sogar in immer grösseren Mengen, damit andere Branchen die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit überhaupt schaffen.

In Summe stehen solche – sowohl leicht zu transformierende, als auch schwer zukunftsfähig zu machende – Industrien für einen Anteil von 30% an der globalen Emission von Treibhausgasen. Das ist klar vor dem Transportbereich mit 22%, aber deutlich hinter der Belastung, die Gebäude und deren Bau verursachen. Mit einem Emissionsanteil von 43% trägt dieser Bereich am meisten zur Klimaerwärmung bei.

Gemäss der Uno entstehen 75% dieser Treibhausgasemissionen durch den Betrieb der Häuser, also durch das Heizen, Kühlen und Lüften. Der Bau, der Unterhalt und der Abbruch von Gebäuden machen rund 25% aus; wobei davon der Grossteil auf die Materialien Zement, Aluminium, Stahl und Glas entfällt.

Aufgrund dieser Gewichtung konzentrierten sich bisherige Umweltvorschriften primär darauf, die operativen Emissionen einzudämmen. Das hat aber zur Folge, dass der Anteil des verbauten CO2 steigt und künftig die Hälfte der Gesamtemission von Gebäuden auszumachen droht – womit diese Emissionsquelle nun in den Fokus rückt.

Die dieses Jahr im Rahmen des Klimaschutzprogramms «Fit für 55» revidierte europäische Energy Performance of Buildings Directive zieht neu deshalb auch die Emissionen aus dem Bau sowie dem Abbruch in die CO2-Bilanz von Gebäuden ein.

Damit steigt vor allem der Druck auf Zementkonzerne. Denn gemäss den Analysten von Berenberg steht die Herstellung von Zement für 90% der Treibhausgasemissionen der gesamten Bauindustrie.

Zementkonzerne im Fokus

Gemäss Berechnungen von Bank of America werden bei der Herstellung einer Tonne Zement derzeit im Schnitt rund 600 kg CO2 ausgestossen. 55% davon werden bei der chemischen Reaktion zur kaum substituierbaren Herstellung von Klinker freigesetzt; der Erhitzungsprozess, um auf die mehr als 1400 Grad zu kommen, die es dazu braucht, steht für 35%.

Zementkonzerne zählen zu den grössten Klimasündern. Und weil ihre CO2-Emissionen prozessbedingt sind, stehen sie ähnlich wie die Minenkonzerne vor besonders grossen Herausforderungen, ihre Umweltbilanz zu verbessern.

Im Gegensatz zu den meisten Minengesellschaften gehen Zementkonzerne die Herausforderung jedoch an und haben sich Klimaziele gesetzt – wohl nicht immer ganz freiwillig.

Ihr Hauptproblem – der CO2-Ausstoss – hat nämlich einen Preis. Für jede Tonne an Treibhausgasen, die ausgestossen wird, müssen die Konzerne ein CO2-Zertifikat vorlegen, das über das europäische Emissionshandelssystem ausgegeben und dort gehandelt wird.

Noch lässt das die Konzerne ziemlich kalt, weil ihnen die benötigten Zertifikate gratis zugeteilt werden – meist in vollem Umfang. Doch ab 2026 wird dieser Mechanismus schrittweise zurückgefahren. Ab 2030 dürften lediglich die Hälfte der Zertifikate kostenfrei zugeteilt werden. Die andere Hälfte muss zum Marktpreis erworben werden, ab 2034 der komplette Stock.

Angesichts der zig Millionen Tonnen CO2, die die grossen Zementhersteller jährlich ausstossen, sowie Zertifikatspreisen, von denen erwartet wird, dass sie bis dahin deutlich über 100 € je Tonne liegen werden, kommen potenziell immense Kostensteigerungen auf die Zementkonzerne zu. Das liefert ihnen den Anreiz, die Emissionen zu senken.

Unterschiedliche Reduktionsziele

Alle grossen Zementkonzerne haben Ziele formuliert, die CO2-Intensität der Produktion von Zement zu senken. Die Schweizer Holcim preschte dieses Jahr vor und hat ihr konzernweites Ziel von 420 kg CO2 pro Tonne Zement für Europa auf 285 kg gesenkt. Das entspricht einer Minderung von 45% gegenüber dem Ausgangswert von 2020.

Alle Zementkonzerne sind derzeit daran, den CO2-Ausstoss zu senken. Am rasantesten gelang dies in den vergangenen fünf Jahren der mexikanischen Cemex mit durchschnittlich 3% pro Jahr – allerdings herkommend von einem überdurchschnittlich hohen Wert.

Am saubersten produziert derzeit die deutsche Heidelberg Materials – sie hat auch für 2030 das über den Gesamtkonzern gesehen gegenwärtig anspruchsvollste Minderungsziel auf 400 kg CO2 pro Tonne Zement im Visier.

Auf absoluter Basis hat Holcim den CO2-Ausstoss am stärksten reduziert – von 129 Mio. Tonnen im Jahr 2018 auf 80 Mio. Tonnen im vergangenen Jahr. Das lag jedoch nicht primär an der Senkung der CO2-Intensität der Produkte, sondern am Verkauf grosser Geschäftsbereiche, beispielsweise des kompletten Indiengeschäfts.

Damit und inklusive der Akquisitionen – beispielsweise im Bereich Bedachungen – hat der Anteil, den der Schweizer Konzern mit Zement einnimmt, sich von zuvor mehr als 60% in den vergangenen fünf Jahren in Richtung 40% verringert.

Anzumerken ist dabei jedoch, dass durch den Verkauf von Unternehmensteilen keine Emissionen verschwinden, sie werden einzig nicht mehr Holcim zugerechnet. Finanziell ist das sinnvoll, ökologisch aber ein Nullsummenspiel.

Hohe Investitionen

Für den Klimaschutz sinnvoller, aber auch teurer ist die echte Transformation hin zur Produktion von weniger CO2-intensivem Zement. Die Analysten von Berenberg haben herausgeschält, dass die Zementkonzerne derzeit bis zu einem Viertel ihrer Kapitalinvestitionen dafür aufwenden.

Die Erklärung, warum das dennoch gut investiertes Geld sein könnte, liefert Bank of America: Auf der einen Seite wird der ab 2026 steigende Aufwand für CO2-Zertifikate die Produktionskosten für Zement erhöhen, was gemäss den Analysten ab 2030 ins Geld gehen könnte. Wer bis dahin weniger Treibhausgase emittiert, federt den Effekt ab.

Auf der anderen Seite – und weil Zement kaum substituierbar ist – erwarten die Analysten, dass die Branche insgesamt die Verkaufspreise erhöhen und die Kosten für den CO2-Ausstoss auf die Kunden überwälzen können. Die Analysten von Bank of America rechnen dabei mit mehr als einer Verdoppelung der Verkaufspreise, um das Gewinnniveau zu halten, beziehungsweise einer Verdreifachung der Preise, wenn die Margen gehalten werden sollen. Die Berechnungen stehen unter der Annahme, dass der CO2-Preis bis 2030 auf 150 € je Tonne steigt.

Unabhängig vom absoluten Niveau gilt jedoch: Wer dann «grünen» Zement anbieten kann, wird nicht nur von einer tieferen Kostenbasis profitieren, sondern auch von überdurchschnittlich hohen Verkaufspreisen.

Für CO2-neutralen Zement werden Kunden, um ihre eigene Emissionsbilanz beim Bau zu verbessern, bereit sein, eine Prämie zu zahlen. Die Analysten von Berenberg veranschlagen diesen Aufpreis auf eine Bandbreite von 30 bis 100%. Somit steigen nicht nur branchenweit sowohl die Kosten als auch die Verkaufspreise, sondern die CO2-Intensität der Zementproduktion wird zu einem Differenzierungsmerkmal für das künftige Margenpotenzial.

Unterdurchschnittliche Kosten, aber Prämie beim Preis:

Grüner Zement wird künftig nicht nur in der Produktion weniger kostenintensiv sein als konventioneller, sondern lässt sich zudem noch zu einem überdurchschnittlich hohen Preis absetzen, schlussfolgern die Analysten von Bank of America.

Die Gewinner

Die Gewinner der CO2-Bepreisung werden folglich jene Zementkonzerne sein, die am schnellsten dekarbonisieren. Am effizientesten geht dies im Falle von Zement über die Abscheidung sowie Nutzung oder Einlagerung des Treibhausgases mittels sogenannter CCUS-Anlagen, was für Carbon Capture, Utilisation and Storage steht.

Bank of America schätzt, dass die Installation von CCUS-Anlagen rund 120 € je Tonne CO2 kostet, die abgeschieden werden soll. Liegt der Preis für CO2-Zertifikate künftig auf diesem Niveau oder darüber, rechnet sich die Methode folglich.

Holcim beispielsweise hat angekündigt, über diverse Projekte bis 2030 rund 5 Mio. Tonnen CO2 abzuscheiden und zusätzliche 8 Mio. Tonnen an CO2-neutralem Zement zu produzieren. Dafür will der Konzern 2 Mrd. Fr. investieren.

Ab einem CO2-Preis von 150 € je Tonne rechnet sich das – gerade auch, weil für grünen Zement höhere Verkaufspreise locken. Dazu kommt noch, dass 60% der Kosten für Anlagen zur CO2-Abscheidung durch staatliche Stellen subventioniert werden. Der effektive Aufwand von Holcim von netto noch lediglich 800 Mio. Fr. zur Vermeidung von nahezu 13 Mio. Tonnen rentiert damit selbst dann, wenn das Unternehmen 2030 noch immer die Hälfte der CO2-Zertifikate gratis vom Staat erhält.

Ebenfalls ambitionierte Klimaziele verfolgt Heidelberg Materials. Geplant sind bis 2030 Investitionen von 1,5 Mrd. € für eine CO2-Abscheidung von 10 Mio. Tonnen. Und die Deutschen sind schnell unterwegs: Bereits Ende Jahr soll ihre CCS-Anlage im norwegischen Brevik fertig gebaut sein, um ab 2025 den global ersten, chemisch zwar konventionellen, aber dank Abscheidung CO2-neutralen Zement zu produzieren.

Kurzfristig belasten solche Investitionen zwar den freien Cashflow, doch mittelfristig versprechen sie höhere Gewinne.

Auf der anderen Seite des Spektrums identifizieren die Analysten von Berenberg die französische Vicat, die griechische Titan, die irische CRH und die italienische Buzzi Unicem. Sie alle haben nur bescheidene Dekarbonisierungsziele und investieren kaum mehr als 100 Mio. € jährlich in die CO2-Minderung.

Buzzi nimmt hier jedoch neben CRH eine Sonderstellung ein: Beide verdienen die Mehrheit ihres Geldes ausserhalb Europas, hauptsächlich in den USA, und sind damit weniger stark der Bepreisung des CO2-Ausstosses ausgesetzt. Bei den Italienern kommt dazu, dass sie als einzige nicht verschuldet sind, sondern über 900 Mio. € Netto-Cash verfügen. Das ermöglicht eine schnelle Reaktionsfähigkeit, sobald die CO2-Preise doch zu beissen beginnen sollten.

Allein aus finanzieller Perspektive sowie unter Berücksichtigung der Emission von CO2 als Geschäftsrisiko sind damit sowohl Heidelberg Materials, Holcim und Buzzi eine Investition wert. Sie sind entweder bereits auf steigende CO2-Preise vorbereitet – oder können sich wie Buzzi rasch anpassen.

Bei Heidelberg Materials und Holcim kommt dazu: Ihre Fähigkeit, grünen Zement anzubieten, dürfte ihnen künftig nicht nur Kostenvorteile, sondern gleichzeitig auch Mehreinnahmen bringen, was sich positiv auf die Margen auswirken sollte.

Inklusive Blick auf die Umwelt und damit die Anstrengungen zur tatsächlichen Dekarbonisierung dieser enorm CO2-intensiven Branche stehen ebenfalls Heidelberg Materials und Holcim im Vordergrund, Letztere allerdings mit gewissen Einschränkungen:

Holcim hat sich für das europäische Geschäft kürzlich zwar das branchenweit anspruchsvollste CO2-Ziel von 285 kg je Tonne gesteckt. Möglich machten diesen Fokus jedoch nicht nur Investitionen in Massnahmen zur effektiven CO2-Minderung, sondern auch der Verkauf von Geschäftsteilen – beispielsweise in Indien – sowie die bevorstehende Abspaltung des Nordamerikageschäfts.

Punkto effektiver CO2-Minderung ist die deutsche Heidelberg Materials der Branchenprimus – auch wenn absolut gesehen die Treibhausgasemissionen auch dieses Zementkonzerns weiterhin enorm hoch bleiben.

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