Morgen jährt sich die staatlich orchestrierte Rettungsfusion von Credit Suisse mit UBS. Sie hat das Potenzial geschaffen, den Aktienkurs der nun einzigen Schweizer Grossbank zu verdoppeln.
Heute vor einem Jahr liefen die Verhandlungen auf Hochtouren. Einen Tag später, am Sonntag, den 19. März 2023, war klar: Credit Suisse ist tot – und UBS hat den Deal ihres Lebens gemacht.
Nach der anfänglichen Verunsicherung, wie die einzige verbliebene Schweizer Grossbank die ehemals global systemrelevante Credit Suisse wird retten und integrieren können, haben die Aktien von UBS ein Kursfeuerwerk gezündet – und der Schwung dauert weiter an.
Der Kursgewinn der vergangenen 365 Tage nimmt aber erst einen Bruchteil des Potenzials vorweg, das UBS aus dem Deal noch schöpfen kann. Diesem Potenzial wird in der folgenden Analyse nachgegangen.
Die UBS-Führungsmannschaft um Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher war bestens für diesen Tag vorbereitet, und sie hat sich für die Übernahme von Credit Suisse diverse Bedingungen ausbedungen – allen voran den günstigen Übernahmepreis von 3 Mrd. Fr.
Atemberaubend ist auch der Wachstumsschritt, den UBS mit dem Deal macht: UBS-intern spricht man von einem Sprung von sieben bis acht Jahren organischer Entwicklung, der zudem das Potenzial schafft, danach aus eigener Kraft alle drei bis fünf Jahre um die Grösse einer mittleren Privatbank weiter zu wachsen.
Vor der Integration von Credit Suisse verwaltete UBS im Global Wealth Management 2,8 Bio. $, per Ende 2023 waren es dann 3,8 Bio. $. Nun lautet das Ziel, die Vermögensbasis bis 2028 auf mehr als 5 Bio. $ zu erweitern.
Bis 2025 sollen UBS jedes Jahr 100 Mrd. $ an Neugeldern zufliessen, ein Strom, der sich bis 2028 auf jährlich 200 Mrd. $ verdoppeln soll. Das entspricht 4% der dannzumal angestrebten Vermögensbasis und erscheint so trotz der riesigen absoluten Zahl nicht einmal unplausibel.
«UBS wird dank der Integration von Credit Suisse nicht nur zu der mit Abstand grössten globalen Vermögensverwaltungsbank, sondern auch ihr Ertragsmix und ihre geografische Reichweite werden einzigartig sein», sagt Andreas Venditti, Bankenanalyst von Vontobel.
«Die mit Abstand grössten Einnahmen wird das Wealth Management bringen, und zwar stärker ausgeprägt als bei Morgan Stanley, der mit UBS vergleichbarsten Bank», sagt Venditti. Zudem sei UBS dank der komplementären Franchise von Credit Suisse global nun viel breiter aufgestellt als die US-Konkurrentin, beispielsweise mit neuen starken Standbeinen in Südostasien, Lateinamerika und Australien.
Die Integration der ehemaligen Lokalrivalin stärkt zudem ihr hoch profitables Schweizer Retail- und Kommerzgeschäft. Das kapitalintensive und schwankungsanfällige Investment Banking hingegen wird in Bezug auf die Gesamteinnahmen prozentual nur noch rund halb so gross sein wie bei Morgan Stanley.
Insgesamt ist UBS mit der Übernahme von Credit Suisse nach Jahren der Stagnation ein Quantensprung gelungen.
In Kontrast zum Wachstumssprung steht die Gewinnentwicklung. Die Übernahme von Credit Suisse liess den Gewinn von UBS 2023 aus buchhalterischen Gründen – sie hat von Credit Suisse Eigenkapital im Ausmass von 57,6 Mrd. $ zu einem Kaufpreis von 3,8 Mrd. $ übernommen – zwar erst auf 29 Mrd. $ explodieren. Im laufenden Jahr wird er aber massiv schrumpfen. Erst 2026 wird sich UBS gemäss Konsenserwartung wieder dem Gewinnniveau von vor der Übernahme von Credit Suisse nähern – danach aber massiv darüber hinauswachsen.
Dass der letztjährige Sondergewinn aus der Übernahme von Credit Suisse nicht noch höher ausgefallen ist, liegt daran, dass UBS das Eigenkapital von Credit Suisse zu einem Abschlag von 25 Mrd. $ in ihre Bücher aufgenommen hat.
Bei diesen vorsorglichen Wertminderungen ist sie so weit gegangen, dass sie erwartet, dass rund die Hälfte davon über die Zeit wieder werthaltig wird, sprich: gewinnbringend zurückgebucht werden kann.
Im Kerngeschäft der Bank wurden 2023 daraus bereits 1,8 Mrd. $ wieder aktiviert. Mit Blick nach vorne verbleiben UBS weitere 7,8 Mrd. $, die noch als Reserve in der Bilanz schlummern.
Diese Risikovorsorge reicht aus, um bis 2026 einen Grossteil der erwarteten Kosten für die Integration von Credit Suisse von knapp 9 Mrd. $ zu decken.
Es sind damit nicht primär die Integrationskosten, die UBS seit der Übernahme die operativen Geschäftszahlen vermiesen, sondern es ist das strukturell Milliardenverluste generierende Geschäft von Credit Suisse.
Als Credit Suisse nach den Skandalen um Greensill und Archegos die Notbremse zog und sich eine neue Risikoscheu auferlegte, begann ihr Ertrag zu kollabieren.
Exemplarisch dafür steht das Resultat des ersten Quartals 2022: Im Vergleich zum operativ hervorragenden Ergebnis der Vorjahresperiode, in der die damals noch mutig bis übermütig agierende Bank einen Ertrag von 7,5 Mrd. Fr. erwirtschaftet hatte, brachen die Einnahmen von Januar bis März 2022 um 40% ein. Die Kosten jedoch stiegen um 9%. Seither hat jedes Quartal mit Verlust geendet – bis Credit Suisse das Vertrauen der Kunden verlor und unterging.
Das Geschäft von Credit Suisse, das vollkommen aus dem Lot geraten war, wieder profitabel zu machen, ist die Herkulesaufgabe, vor der UBS derzeit steht. In erster Linie bedeutet das, die Kapitaleffizienz zu erhöhen.
Das Investment Banking von Credit Suisse gepaart mit einer geringen Preismacht und ihrer strategischen Unfähigkeit, die Bilanz nicht nur mit riskanten Krediten zu füllen, sondern sie primär als Mittel zur Kundenbindung einzusetzen und damit vielfältige Einkommensströme zu erreichen, belastete die Bank damals – und heute UBS.
Das Ausmass illustrieren Zahlen, die UBS an der Jahreskonferenz erstmalig präsentiert hat:
2022 erreichte UBS im Verhältnis zu ihren risikogewichteten Aktiven einen Ertrag von 11%. Bei Credit Suisse waren es 5%, was zeigt, wie wenig effizient sie ihr Kapital eingesetzt hat. Im zweiten Halbjahr 2023 erreichte UBS inklusive Credit Suisse 8% – bis 2026 will sie diese Kennzahl in Richtung 10% zurückbringen.
Derzeit bremst die nur halb so hohe Kapitaleffizienz des CS-Geschäfts UBS aber noch massiv. Mit einer Steigerung der Kapitaleffizienz der ehemaligen CS-Bereiche, Kosteneinsparungen von 13 Mrd. $ sowie Skaleneffekten aufgrund der neuen Grösse der Gesamtbank, die die Kosten-Ertrags-Relation auf weniger als 70% verbessern sollen, will UBS punkto Eigenkapitalrendite künftig wieder glänzen.
Das Management um CEO Sergio Ermotti stellt in Aussicht, die Rendite auf dem regulatorischen Kapital (Return on CET 1), die 2023 auf bereinigter Basis auf 3% kollabiert ist, bis 2026 wieder auf rund 15% zu steigern. Für 2018 peilt UBS einen Anstieg auf 18% an, und zwar ohne Bereinigungen.
Dass UBS die Eigenkapitalrendite bei ihren Finanzzielen mit zwei Zielmarken gleich doppelt hervorhebt, liegt daran, dass sie das zentrale Mass für die Bewertung einer Bank ist.
In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Bewertung von UBS anhand des Kurs-Buchwert-Verhältnisses ziemlich genau entlang der Eigenkapitalrendite entwickelt. Vor der Finanzkrise und bei Renditen um 30% betrug es rund 3 (in der Grafik ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis aus Vergleichbarkeitsgründen mit einem Faktor 10, also in diesem Fall mit 30, abgebildet).
Mit der Nahtoderfahrung von UBS 2008 und dem neuen regulatorischen Umfeld danach glitten die Renditen auf rund 10% zurück – und das Kurs-Buchwert-Verhältnis sank Richtung 1.
Auf dieser Höhe verharrt es seither. Mit Blick auf 2026 zeichnet sich nun aber ein Auseinanderdriften des Kurs-Buchwert-Verhältnisses und des von den Analysten erwarteten Renditeanstiegs ab.
Der Blick auf die europäischen und die amerikanischen global systemrelevanten Banken macht das Zusammenspiel von Eigenkapitalrendite und Bewertung branchenweit greifbar – und er zeigt, was das für die Bewertung der Aktien von UBS erwarten lässt:
Die Grafik stellt die Konsenserwartung der Analysten bezüglich der Bewertung des derzeitigen Kurses im Verhältnis zu dem für 2024 geschätzten Buchwert sowie der für 2025 erwarteten Eigenkapitalrendite in den Zusammenhang.
Banken, die wie JPMorgan und Morgan Stanley eine Eigenkapitalrendite von 12% und mehr versprechen, werden an der Börse zu einem hohen Kurs-Buchwert-Verhältnis von rund 1,6 gehandelt. Institute, denen wie Citi, Société Générale und der Deutschen Bank lediglich Renditen um 7% zugetraut werden, notieren zu rund der Hälfte des Buchwerts.
Eine Trendlinie hebt diesen Zusammenhang hervor – und vereinfacht lässt sich sagen: Alle Banken, die über der Trendlinie handeln, sind überbewertet, diejenigen darunter unterbewertet.
UBS (in der Grafik rot hervorgehoben) ist gleich drei Mal abgebildet: erstens in der Mitte, und zwar basierend auf ihrem Bewertungsschnitt über zehn Jahre zu einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1 und der über diesen Zeitraum durchschnittlichen Eigenkapitalrendite von 10%. Mit Blick auf die Trendlinie erweist sich das als exakt faire Bewertung.
Zweitens sticht UBS links mit grossem Abstand zur Trendlinie hervor. Dieser Punkt basiert auf den Werten, die auch allen anderen Banken in der Grafik zugrunde liegen. Die Parameter von UBS – ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von knapp 1,2 und eine Eigenkapitalrendite von unter 8% – lassen ihre Aktien derzeit deutlich überbewertet erscheinen.
Die dritte Abbildung zeigt UBS unter Einbezug des Zielwerts des Managements. Es stellt ab 2026 eine Rendite auf dem regulatorischen Eigenkapital (CET 1) von 15% in Aussicht. Da das CET-1-Kapital rund 10% geringer ist als das komplette Eigenkapital, auf dem die anderen Schätzwerte beruhen, ist UBS in der Grafik mit einer Eigenkapitalrendite von 13,5% abgebildet. Auf Basis ihrer oben gezeigten Bewertungshistorie entspricht diesem Renditeniveau ein faires Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,3 bis 1,4.
Es zeigt sich: Basierend auf den Prognosen des Managements würde UBS ihre vom Geschäftsmodell her ähnlichste Konkurrentin, Morgan Stanley, bezüglich Eigenkapitalrendite überholen, aber punkto Bewertung immer noch Luft nach oben haben.
Generell gilt für Grossbanken, dass Investoren von ihnen eine Eigenkapitalrendite von rund 10% verlangen, um sie zum vollen Buchwert zu bewerten. Für UBS gilt diese Grössenordnung seit ihrer Neuausrichtung nach der Finanzkrise im Schnitt der letzten Dekade fast perfekt.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Eine nachhaltige Eigenkapitalrendite von 15% impliziert ein faires Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,5. Um dem Rechnung zu tragen, müsste der Kurs dann also fast 50% zulegen.
Ganz so einfach ist es bei Grossbanken aber nie. Deshalb zusammenfassend:
- Erstens bezieht sich das Renditeziel von UBS nicht auf das komplette Eigenkapital, sondern lediglich auf das regulatorische Eigenkapital (CET 1), das rund 10% tiefer ist – die darauf ausgewiesene Rendite also rund 10% höher aussehen lässt.
- Zweitens – und das im Gegensatz zur obigen statischen Betrachtung – bleibt der Buchwert nicht konstant, sondern wächst gemäss Analystenschätzung von derzeit 27.20 $ je Aktie bis 2026 um 17% auf 31.90 $.
- Drittens kommt dazu, dass die Bank diesen Buchwert eben in Dollar ausweist, gehandelt werden die Aktien jedoch in Franken. Die Wechselkursdifferenz von derzeit rund 10% muss zur Berechnung des Kurs-Buchwert-Verhältnisses ebenfalls berücksichtigt werden.
- Viertens verläuft die Rückkehr in Richtung 15% Eigenkapitalrendite nicht graduell – im Gegenteil: Es gibt erst einen Einbruch auf 3%, bis es wieder besser wird.
Dennoch: Wenn man durch die bevorstehenden zwei Integrationsjahre hindurch in Richtung 2026 blickt und dabei sowohl den wachsenden Buchwert je Titel als auch die auf geschätzt 13,5% steigende Rendite auf dem gesamten Eigenkapital – entsprechend einem fairen Kurs-Buch-Verhältnis von 1,3 bis 1,4 – berücksichtigt, signalisiert das einen dann möglichen Börsenwert der Aktie von rund 40 Fr.
Schreitet das Wachstum des Buchwerts danach im selben Ausmass weiter, und kommt das Rentabilitätsziel des UBS-Managements von 18% in Reichweite, liegt bis 2028 gar eine Kursverdoppelung auf mehr als 50 Fr. im Bereich des Möglichen.
Die kommenden Quartalsergebnisse werden jedoch wie bereits die letzten beiden (drittes Quartal 2023/viertes Quartal 2023) noch von der Bremswirkung der Integration von Credit Suisse geprägt sein.
Mit ihren auf zwölf Monate ausgelegten Kurszielen sehen die Analysten so im Konsens nach ihrem schon starken Lauf derzeit gar kein Kurspotenzial mehr für die UBS-Aktien – und dennoch empfehlen 22 der 26 von Bloomberg erfassten Voten, die Valoren zu kaufen (15) oder sie zu halten (7).
Die vorliegende Analyse zeigt, warum: Mit Blick auf die Zeit nach der Integration liegt noch deutlich mehr drin, als die Aktien von UBS im ersten Jahr nach der Ankündigung der Übernahme von Credit Suisse bereits vorweggenommen haben – aber dieses Potenzial liegt ausserhalb des Kurszielhorizonts der Analysten.