Mittwoch, Oktober 2

Nach dem tiefen Fall haben die Titel des Spezialchemiekonzerns derzeit einen Lauf. Der Blick auf die Einzelteile deutet weiteres Kurspotenzial an.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Aktien von Clariant haben kaum je Freude bereitet. Praktisch über alle Laufzeiten hinken sie dem Schweizer Markt hinterher.

Über alle Laufzeiten? Nicht ganz. Im bisherigen Jahresverlauf haben die Aktien von Clariant mit dem Markt mitgehalten und ab Mitte März in einem regelrechten Sprint den Gesamtmarkt gemessen am Swiss Performance Index sogar deutlich übertroffen. Vom bisherigen Jahrestief bis zum Höchststand legten sie sich um 50% zu, ehe Ende Mai eine erneute Schwächephase einsetzte.

Ist die seltene Avance von Clariant also bereits wieder zu Ende und der Chemietitel ausgereizt? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick zurück.

Neu positioniert

Clariant hat sich in den vergangenen Jahren gesund geschrumpft und neu ausgerichtet. Dies, um dem Anspruch an ein Spezialchemieunternehmen zu entsprechen.

Geschäftsbereiche wurden verkauft – Masterbatches 2020, der Pigmentbereich 2022 –, wodurch der Umsatz von zuvor 6 Mrd. Fr. auf gut 4 Mrd. Fr. sank. 2023 wurde eine neue Divisionsstruktur eingeführt und zum Jahresende das verlustreiche Sunliquid-Projekt beerdigt.

Alle Massnahmen haben zwar grundsätzlich Wirkung gezeigt. Nach einem dennoch enttäuschenden Jahresergebnis 2023 war die Stimmung erneut auf dem Tiefpunkt angelangt – ebenso der Aktienkurs. Statt der erwarteten Verbesserung der Ebitda-Marge im Jahr 2023 resultierte ein Rückgang um 1,7 Prozentpunkte auf 13,9%.

Auf Basis des neuen Portfolios hatte das Management um CEO Conrad Keijzer für 2025 eigentlich einen Margenkorridor von 19 bis 21% angestrebt. Doch nach dem enttäuschenden Jahresresultat musste es dieses Ziel vorerst auf 17 bis 18% reduzieren. Mittelfristig hält Clariant das höhere Margenziel aber weiterhin für erreichbar, sollte sich die Nachfrage in den nächsten zwei bis drei Jahren weltweit normalisieren.

Vielversprechende Ausgangslage

Die Ausgangslage für Clariant ist nach der Neupositionierung vielversprechend. Während des Teuerungsschubs 2022 gelang es dem nun wesentlich spezialisierteren Unternehmen, die Preise um bis zu 20% zu erhöhen – und dennoch das Volumen zu steigern. Das war nur dank der guten Marktposition möglich.

Dass im Jahr 2023 dann die Preise trotz sinkender Kosten zwar weiter hoch gehalten werden konnten, allerdings die Volumen litten, kam an der Börse schlecht an.

Doch im ersten Quartal 2024 haben sich die Volumen nahezu stabilisiert – und die Marge hat einen unerwartet grossen Sprung von 13,9 auf 17,1% gemacht. Damit ist das Jahresziel einer Ebitda-Marge von 15% plötzlich wieder in Griffnähe gerückt – und auch der Umsatz soll steigen, zumindest in Lokalwährungen und sofern die Konjunktur dem Unternehmen nicht erneut einen Streich spielt.

Die guten Nachrichten zum ersten Quartal haben dem Kurs für eine weiteren Monat Auftrieb verliehen. Doch Anfang Juni liess die Kraft nach. Was kommt nun?

Summe der Einzelteile

Die Analysten der US-Grossbank Citi, haben Clariant zur Beantwortung dieser Frage in einer heute veröffentlichten Studie einer Bewertung ihrer Einzelteile unterzogen.

Ihr analytischer Blick führt sie zum Schluss: Angesichts des niedrigen Aktienkurses mache es den Eindruck, dass die qualitativ hochwertigen Bereiche von Care Chemicals im Kurs keine Beachtung fänden. Dies, weil die Division so heterogen sei.

Insbesondere das Konsumgeschäft, dessen Ebitda-Beitrag sie auf mehr als ein Drittel des konzernweiten Ebitda veranschlagen – und unter normalen Bedingungen gar einen Anteil von 40% leisten könne –, biete Aufwertungspotenzial. Das allerdings nur, wenn das Management mehr Transparenz zu den einzelnen Divisionen bieten würde, damit dies von aussen auch ersichtlich würde.

Konkurrenzvergleich

Zu diesem Schluss gelangen die Analysten, indem sie die Division Care Chemicals der Bewertung von Croda gegenüberstellen. Das britische Spezialchemieunternehmen handelt an der Börse zu einem Unternehmenswert, der dem 17-fachen Ebitda entspricht.

In einem Vergleich der operativen Leistung stellen sie zudem fest, dass die konsumnahen Geschäftsbereiche von Clariant, die sich mit Croda vergleichen lassen, sich punkto Wachstum und Gewinnentwicklung seit 2020 gar besser entwickeln als die britische Konkurrentin. Dennoch gehen sie nicht davon aus, dass der Markt Clariant eine gleich hohe Bewertung zugestehen würde.

Das liegt mitunter am Industriegeschäft von Clariant, für das die Analysten mit Blick auf Evonik und BASF einen klar tieferen Multiplikator annehmen.

Insgesamt veranschlagen sie zur Bewertung von Clariants Care Chemical lediglich einen Faktor 11 des Ebitda. Doch bereits das schreibt dieser Division einen Unternehmenswert von 5,8 Mrd. Fr. zu. Sie allein ist in den Augen der Citi-Analysten damit mehr wert als die 5,5 Mrd. Fr., die der Konzern derzeit insgesamt an der Börse auf die Waage bringt.

Für die Summe aller Einzelteile von Clariant und bei einem Bewertungsschnitt für den Gesamtkonzern von knapp dem 10-fachen Ebitda kommen die Analysten auf einen Unternehmenswert von 8,4 Mrd. Fr. Abzüglich von Schulden und Minderheitsanteilen ergibt sich ein fairer Börsenwert von 6,8 Mrd. Fr. respektive 20.50 Fr. je Aktie.

Im Vergleich zum derzeitigen Kurs von weniger als 14 Fr. entspricht das einem Aufwärtspotenzial von fast 50%.

Ist das realistisch? Ganz geheuer ist das von ihnen errechnete Kurspotenzial selbst den Citi-Analysten nicht. Sie belassen ihr Kursziel mit Blick auf zwölf Monate bei 16.50 Fr., was einem Aufwärtspotenzial von 20% entspricht.

In der Berechnung der Summe der Einzelteile sehen sie aber ein Element, das ihre Ansicht stützt, wonach Clariant an der Börse derzeit unterbewertet ist.

Wert versteckt?

Damit die Investoren den Wert von Clariant mit eigenen Augen sehen könnten, müsse das Management einen detaillierten Einblick in die Zahlen geben, fordern die Analysten. Für ihre Berechnungen mussten sie verschiedene Annahmen treffen.

Zum Mangel an Transparenz kommt die leidvolle Geschichte von Clariant dazu: Besonders die alte Unternehmensführung um Hariolf Kottmann, aber auch das neue Management hat wiederholt Vertrauen verspielt. Das wirkt immer nach und lastet auf der Bewertung.

Doch genau diese beiden Punkte – die Neuausrichtung auf effektive Spezialitäten, das eine Höherbewertung nahelegt, sowie die Arbeit am Wiederaufbau des Vertrauens – stimmen zuversichtlich, dass die jüngste Kursrally von Clariant nicht die letzte gewesen sein wird. In den Titeln schlummert weiteres Kurspotenzial, das sich bei guten Neuigkeiten weiter entfalten wird.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Ruedi Keller

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