Das zeigt der jüngste Auftritt des Tonhalle-Orchesters unter Paavo Järvi. Die Geschwister Tanja und Christian Tetzlaff machen dabei ihre Ablehnung der Trump-Politik deutlich. Dies prägt den ganzen Abend.
Kunst dürfte nicht unpolitisch sein, gerade in bewegten Zeiten. So heisst es immer wieder. Doch in der Musik ist das leichter gesagt als getan. Im Theater oder in einer Operninszenierung kann ein Produktionsteam immerhin seinen Standpunkt auf die jeweiligen Werke projizieren – was allerdings leicht zur Vereinnahmung und zu Verbiegungen führt. Ausübende Musiker hingegen, festgelegt auf ein weitgehend standardisiertes Repertoire, haben bei Konzertdarbietungen fast keine Möglichkeit, offen zu politisieren. Deshalb ist es ungewöhnlich, wenn ein Konzert doch einmal mit einer konkreten Botschaft aufgeladen wird. So geschah es diese Woche bei den Auftritten des Tonhalle-Orchesters Zürich.
Zuerst kam dessen Musikdirektor Paavo Järvi auf die Bühne und trug dabei unübersehbar eine grosse gelbe Schleife am Revers. Es ist das internationale Symbol der Solidarität, und angesichts der Ereignisse der vergangenen Tage war auch sofort klar, wem diese Solidarität gelten sollte. Doch dabei blieb es nicht.
Protest gegen Trump
Als erstes Hauptwerk des Programms spielten die Geschwister Christian und Tanja Tetzlaff das Doppelkonzert für Violine und Cello von Johannes Brahms. Bei diesem anspruchsvollen Spätwerk gibt es eigentlich keinen Raum für Politik. Sie verband sich stattdessen mit der Person des Interpreten Christian Tetzlaff. Der Geiger hat erst kürzlich eine Reihe von acht Konzerten in den USA abgesagt, und zwar ausdrücklich aus Protest gegen die jüngsten Entscheidungen des Präsidenten Donald Trump, vor allem gegen dessen russlandfreundliche Ukraine-Politik.
In der «New York Times» erklärte er dazu, er zahle 32 Prozent Steuern auf jedes Konzert, das er in den USA gebe: «Das geht im Moment an einen Staat, der teilweise schreckliche Dinge mit dem Geld macht.» Mit seinem entschlossenen Boykott steht der Geiger in der Branche zurzeit noch recht allein da, aber diese Haltung könnte zum Vorbild für weitere europäische Musiker werden.
Und wie um letzte Zweifel an ihrem Standpunkt auszuräumen, stimmten die beiden Tetzlaff-Geschwister nach der leidenschaftlich aufgewühlten Wiedergabe des Brahms-Konzerts dann noch die ukrainische Nationalhymne an. Tetzlaff zitierte zuvor deren erste Textzeile: «Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben.»
Die Ideale hochhalten
Gehören solche Statements auf das Podium eines Konzertsaals? Darüber wurde in der Pause vereinzelt unter den Besuchern diskutiert. Die Frage beschäftigt den Musikbetrieb schon länger, spätestens seit der Pianist Igor Levit während der 2010er Jahre immer wieder Auftritte für politische Erklärungen nutzte – mit teilweise kontroversen Reaktionen von Musikfreunden, die sich bei ihrem Kunstgenuss beeinträchtigt oder bevormundet fühlten. Tetzlaff hält es da durchaus mit Levit; ähnlich wie dieser versteht er sich als Künstler nicht bloss als «Entertainer», wie er gegenüber der «New York Times» betonte. Musik handle «von Menschlichkeit, von Empathie und Herz. Diese Ideale müssen wir hochhalten.»
Paavo Järvi tat genau dies im übrigen Programm, und zwar auf zweierlei Weise. Zuerst erinnerte er mit dem frühen «Concert Românesc» von György Ligeti daran, wie wenige «falsche» Töne seinerzeit, 1951, im Ostblock genügten, dass ein derart originelles Stück als «politically incorrect» (Ligeti) auf den Index gesetzt wurde. Mit der 3. Sinfonie von Robert Schumann fegte er dann aber alle Politik aus dem Saal und demonstrierte mit einer lebensbejahenden, zupackenden und bis ins Detail durchgeformten Interpretation der «Rheinischen», welche wichtige Funktion Musik eben auch haben kann: den Zuhörern Freude zu schenken, Zuversicht und sogar Momente unbeschwerter Unterhaltung, gerade in einer Zeit, die sonst wenig Anlass zur Freude gibt.