Mittwoch, November 27

Zermatt ist nach Erdrutschen und Überschwemmungen abgeschnitten. Die Wassermassen brachten auch die Rhone an den Anschlag. Im Tal will man mehr Platz für den Fluss, am Berg einen neuen Stausee.

Überschwemmungen, Murgänge und Erdrutsche haben am Freitag im Wallis dafür gesorgt, dass der Staatsrat die besondere Lage erklärt hat. Das kantonale Führungsorgan hat für die Rhone und die Seitenflüsse im ganzen Kanton die Alarmstufe ausgerufen. Besonders den Weltkurort Zermatt trafen Wassermassen.

So sehr, wie schon lange nicht mehr, sagt Dan Daniell, ein Zermatter Hotelier und Musiker. Laut Einheimischen wie Daniell scheint die Sonne ja sowieso immer auf Zermatt. Doch ausgerechnet am längsten Tag des Jahres blieb der Himmel dunkel. Und die Bäche stiegen an.

Erst war es die Vispa. Der Nebenfluss der Rhone trat im ganzen Ort über die Ufer. Weil es nicht aufhörte zu regnen, kam am Nachmittag auch der Triftbach. Das Wasser suchte sich seinen Weg mitten durch den alten Teil Zermatts. Die Behörden gaben Wasseralarm, forderten die Menschen auf, in ihren Häusern zu bleiben. Wer direkt am Bach wohnt, sollte in höheren Stockwerken Schutz suchen. Wasser und Geröll fluteten Hotel-Lobbys, Parterre-Wohnungen und die Bahnstation einer Seilbahn.

Es sei schlimmer als 2019, sagte ein Einheimischer am Freitagabend dem Lokalradio «rro». Auch damals war der kleine Triftbach aus seinem Bett gekommen. Der Mann sprach von «Weltuntergangsstimmung». Baggerfahrer versuchten derweil, Baumstämme aus dem Wasser zu fischen, damit diese nicht die Brücken beschädigen.

Später am Abend hörte der Regen endlich auf, die Lage entspannte sich. Und die Einheimischen fragten sich, wann zuletzt ein Unwetter so heftig gewütet hat. 1986 vielleicht, oder 1993. Die Zermatter Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser sagte den Medien, man müsse dankbar sein, dass keine Menschenleben betroffen seien.

Zermatt bleibt bis Samstagabend abgeschnitten

Am Samstag wurde überall im Dorf aufgeräumt. Bagger und Radlader schoben Schutt zur Seite, Hoteliers fegten ihre Lobbys trocken.

Unwetter kommt immer zur Unzeit. Dieses Mal aber kam es gleich zu Beginn der touristischen Hochsaison. Die Zugverbindung ins Tal ist nun unterbrochen. Als der letzte Zug am Freitagmorgen das Tal verliess, stand die Vispa schon gefährlich nahe an den Geleisen, die Wassermassen nagten an der Böschung. Am Samstag konnten die Verantwortlichen der Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGB) feststellen, wie gross die Schäden sind. Das Unternehmen meldete: Der Zugverkehr zwischen Visp am Eingang des Vispertals und Täsch, dem letzten Ort im Mattertal vor Zermatt, bleibt bis Ende der nächsten Woche eingestellt. Den Gästetransport sollen Busse übernehmen. Der Fokus der MGB liegt nun darauf, zumindest den Shuttle-Betrieb zwischen Täsch und Zermatt wiederherzustellen. Weil auch die Kantonsstrasse an mehreren Stellen von Murgängen verschüttet wurde, bleibt das Tal aber bis Samstagabend abgeschnitten.

Touristen stauen sich

In Visp und Täsch, Terminals für Gäste aus der ganzen Welt, stauten sich Touristen. Busladungen asiatischer Reisender in Täsch, Familien aus den USA und Europa in Visp. Dort sind wegen eines grossen Jodlerfestes und der Weltmeisterschaft im Strassenhockey die wenigen Hotels ohnehin fast ausgebucht. Die Visper Behörden haben für solche Fälle einen Notfallplan. Wer kein Hotel findet, wird in einer Turnhalle untergebracht. Der zuständige Gemeinderat sagte dem «Walliser Boten»: «Am Bahnhof muss niemand übernachten.»

Das Unwetter von Zermatt machte am Freitag auch in internationalen Medien die Runde. Die deutsche «Tagesschau» berichtete, die britische «Daily Mail» schrieb vom «Fluss, der am Schatten des Matterhorns über die Ufer trat».

Nicht nur Zermatt ist von den schweren Unwettern betroffen. Schäden wegen Murgängen und Überschwemmungen gab es auch im Val d’Anniviers oder im Saastal. 25 Feuerwehr-Korps mit mehr als 200 Angehörigen standen im Einsatz. 230 Personen mussten ihre Häuser vorübergehend verlassen.

Diskussionen um Flussbett-Anpassungen

Die Rhone führte ein Hochwasser, wie es nur alle 30 bis 100 Jahre zu erwarten ist. Und dies mitten in der politischen Debatte um die dritte Anpassung am Flussbett. Bei der ersten wurden in den 1860er-Jahren lange Abschnitte zwischen Brig und der Mündung in den Genfersee begradigt. Kanäle legten das sumpfige Schwemmland trocken, fruchtbare Ackerböden entstanden.

Doch der wilde Rotten, wie er im deutschsprachigen Kantonsteil heisst, liess sich nicht zähmen. Zwischen 1930 und 1960 baute man die Schutzdämme höher und grub das Flussbett tiefer. Das genügt nach heutigem Stand der Forschung nicht mehr für die immer extremer werdenden Hochwasser.

Umweltverbände und Wasserbauingenieure wollen dem Fluss deshalb wieder mehr Platz und auch natürliche Überflutungsgebiete geben. Im Oberwallis, wo sich die Rhone zwischen den Industriegebieten der Stadt Visp und der immer noch nicht fertig gebauten Autobahn vorbeizwängen muss, wehren sich vor allem Vertreter aus der Landwirtschaft. Sie verloren in den vergangenen Jahrzehnten rares Ackerland, das einst dem Rotten abgerungen wurde. Platz und guter Boden sind im Walliser Haupttal wegen der wachsenden Industrie knapp geworden.

In Zermatt ruhen die Hoffnungen des Hochwasserschutzes auf einem neuen Bauwerk. Eine Sperre in einem Nadelöhr vor dem schwindenden Gornergletscher soll das Wasser zurückhalten. Das Stausee-Projekt «Gornerli» ist eines von acht Ausbauprojekten für die Wasserkraft im Kanton. Das Kraftwerk «Gornerli» würde die jährliche Stromproduktion um jährlich 200 Gigawattstunden erhöhen. Das entspricht dem Verbrauch von 45 000 Haushalten.

Im Wallis geht es bei diesen Projekten nicht nur darum, einen Beitrag zur Stromversorgungssicherheit zu leisten. Man hofft, mit dem Beton der Staumauern künftige Sturzfluten zu verhindern. Aber auch Reserven für die Beschneiung und sogar Trinkwasser anzulegen.

2022 und 2023 herrschte im Kanton eine Dürre. Bei Bitsch brannte ein ganzer Wald und Helikopter holten Löschwasser im Stausee-Gibidum. Bilder, die nun wie jene aus Zermatt den Befürwortern multifunktionaler Stauseen in die Hände spielen. Noch ist es für die grossen Projekte im selbsternannten Wasserschloss Europas ein weiter Weg. Mit jedem Unwetter und jeder Dürre dürfte der Weg aber ein kleines Stück kürzer werden.

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