Mittwoch, Februar 5

Ende Mai will die Weltgesundheitsorganisation zwei Abkommen verabschieden, um gegen Pandemien künftig besser gewappnet zu sein. Im eidgenössischen Parlament mehren sich die Stimmen, die das Geschäft nicht dem Bundesrat überlassen wollen.

Zwei Jahre sind es her, dass der Bundesrat die letzten Corona-Massnahmen aufhob und die Schweiz in die normale Lage zurückkehrte. Wer gehofft hatte, dass die Krisenjahre 2020 und 2021 mit ihren zum Teil hektisch angeordneten Schutzmassnahmen und den sehr weitgehenden Grundrechtsbeschränkungen aufgearbeitet würden, wurde enttäuscht.

Bis heute ist in dieser Hinsicht wenig gegangen, und das nicht nur in der Schweiz. Doch obschon wenig Gewissheit darüber besteht, was während der Pandemie gut und was schieflief, sollen nun in Kürze zwei weltweite Abkommen abgeschlossen werden, mit denen man die Lehren aus der Pandemie ziehen will. Es handelt sich um den neuen Pandemiepakt und die Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV).

Der Zeitplan gilt

Im Dezember 2021 beschlossen die 194 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO), darunter die Schweiz, eine internationale Vereinbarung zur Prävention von und zum Umgang mit Pandemien auszuarbeiten. Man müsse sich auf der internationalen Ebene besser gegen eine Gesundheitskrise wappnen, Massnahmen koordinieren und wissenschaftliche Erkenntnisse austauschen, hiess es.

Parallel zu den Arbeiten am Pandemiepakt wurde eine Revision der bereits bestehenden Internationalen Gesundheitsvorschriften an die Hand genommen. Auch die IGV regeln die internationale Zusammenarbeit bei Gesundheitskrisen und sehen unter anderem vor, dass die WHO beziehungsweise ihr Generaldirektor einen Gesundheitsnotstand ausrufen und Empfehlungen abgeben darf.

Nun nähern sich die Verhandlungen der Ziellinie: Beide Abkommen sollen Ende Mai in Genf an der Weltgesundheitsversammlung von den Mitgliedsländern verabschiedet werden. Danach ist es Sache der Vertragsstaaten, zu entscheiden, ob sie den neuen Regelwerken beitreten wollen oder nicht. In den letzten Wochen wurde in der internationalen Presse gehäuft darüber berichtet, dass die Positionen zwischen den armen und den reichen Ländern noch weit auseinanderlägen und es nicht ausgeschlossen sei, dass die Verhandlungen nicht wie vorgesehen ins Ziel kämen oder am Ende ganz scheiterten. Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) gilt der Zeitplan nach wie vor, allerdings könne man nicht abschätzen, ob es Ende Mai zu einem Abschluss komme und wie das Resultat aussehen werde.

Kritischer Ueli Maurer

Während die WHO die Wichtigkeit der neuen Vertragswerke betont, gibt es auch andere Stimmen. Kritiker befürchten, dass die WHO zur Pandemie-Superbehörde aufsteigen könnte und die einzelnen Länder bei einer Gesundheitskrise nicht mehr viel zu sagen hätten. Einer von ihnen ist Ueli Maurer. Der frühere SVP-Bundesrat hält die beiden Verträge für gefährlich, wie er kürzlich in einem Radiointerview sagte. Die WHO würde bei Krisen viel mehr Kompetenzen erhalten und könnte für die ganze Welt – für Entwicklungsländer wie für Industriestaaten – dieselben Regeln aufstellen. Der Schweiz bliebe nur ein kleiner Spielraum, um diese Vorgaben umzusetzen. «Man muss alles unternehmen, damit die Schweiz diese Verträge nicht unterschreibt», so Maurer.

Diese Sorge manifestiert sich auch im eidgenössischen Parlament. Im National- und im Ständerat werden rege Vorstösse zum geplanten Pandemiepakt eingereicht, fast alle von SVP-Seite, zum Teil sekundiert von FDP und Mitte. Könnte die Schweiz bei einer nächsten Pandemie noch eigenständige Regelungen treffen wie während der Corona-Zeit? Enthält der Pakt verbindliche Anweisungen für die Mitgliedsländer, oder hat er lediglich empfehlenden Charakter? Und wer entscheidet, ob die Schweiz den Abkommen beitritt: der Bundesrat oder das Parlament?

Der Bundesrat hat bis jetzt alle parlamentarischen Vorstösse routiniert ins Leere laufen lassen mit der Begründung, dass der Text des Abkommens noch nicht fertig ausgehandelt sei. Und solange dies nicht der Fall sei, könne man keine Stellung beziehen und auch nicht sagen, ob man den Vertrag allein unterzeichnen oder dem Parlament vorlegen werde. Klar sei aber: Die Schweiz bleibe in Gesundheitsfragen weiterhin souverän. In den Verhandlungen gehe es weder um eine Impfpflicht noch um das Tragen von Masken.

Im Parlament ist allerdings eine gewisse Skepsis zu spüren. So scheint die Gesundheitskommission des Nationalrats vom Gang der Dinge nicht restlos überzeugt zu sein, und auch mit der Information durch die Verwaltung ist man nicht wirklich zufrieden. Die Kommission hat deshalb kürzlich dem Bundesrat mitgeteilt, dass man beim Pandemiepakt mitreden wolle: Er soll den Beschluss über einen allfälligen Beitritt zum Vertrag dem Parlament unterbreiten.

«Gerechtigkeit» statt «Freiheitsrechte»

Während viel über den Pandemiepakt geredet wird, steht die Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften eher im Hintergrund. Doch auch sie sieht erhebliche Anpassungen vor – womöglich tiefgreifendere als jene, die beim Pandemiepakt diskutiert werden. Auf diesen Punkt weist ein neu gegründetes Komitee Dialog Globale Gesundheit hin. Das Komitee ist im liberalen bis grünen Spektrum verortet, ihm gehören Leute wie der ehemalige leitende Zürcher Staatsanwalt Jürg Vollenweider oder der grüne Zürcher Kantonsrat Daniel Heierli an. Die Gruppe hält mehrere der IGV-Änderungen für rechtsstaatlich fragwürdig.

Worum es bei der Revision der IGV geht und womit man es zu tun hat, ist im Moment schwer abschätzbar. Das liegt in erster Linie daran, dass man nicht weiss, was in den bisherigen Verhandlungsrunden effektiv beschlossen und welche Anträge angenommen wurden; ein aktueller Verhandlungstext wurde nicht veröffentlicht. Laut dem BAG haben nicht alle Mitgliedstaaten einer Publikation zugestimmt. Es gibt lediglich ein Dokument, in dem alle eingereichten Anpassungsvorschläge aufgeführt sind. Und diese, da muss man dem Komitee Dialog Globale Gesundheit recht geben, gehen zum Teil sehr weit.

Ein paar Beispiele: Die WHO, je nachdem auch der WHO-Generaldirektor allein, soll künftig einen Gesundheitsnotstand schon dann ausrufen können, wenn eine potenzielle Gefahr droht – und nicht mehr erst dann, wenn eine Notlage festgestellt wird. Auch geht es nicht mehr nur um eigentliche Gesundheitsrisiken, sondern um alle Risiken, die einen Einfluss auf die öffentliche Gesundheit haben können; dabei handelt es sich um ein weites Feld.

Weiter sollen die Mitgliedstaaten die WHO ausdrücklich als leitende und koordinierende Autorität anerkennen und sich verpflichten, deren Empfehlungen zu folgen. Auch wird vorgeschlagen, dass die Umsetzung der WHO-Vorschriften neu den Prinzipien der Gerechtigkeit und Inklusion verpflichtet ist, während der heutige Hinweis auf die Respektierung grundlegender Freiheitsrechte gestrichen werden soll. Hinzu kommen Anträge, dass die Staaten «falsche» oder «irreführende» Informationen in Krisenlagen bekämpfen sollen, was man als Aufruf zur Zensur verstehen kann.

Wer kommt für Nora Kronig?

Während der Bundesrat hat durchblicken lassen, dass er sich beim Pandemiepakt einen Einbezug des Parlaments vorstellen kann, scheint er die Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften in Eigenregie abschliessen zu wollen. So sagte die Schweizer Botschafterin und Verhandlungsführerin Nora Kronig in der NZZ, dass es sich um eher geringfügige und technische Modifizierungen handle, für die es nicht unbedingt einen Parlamentsbeschluss brauche. Inwieweit diese Aussage zutrifft, wird man erst anhand des finalen Textes beurteilen können.

Wer für die Schweiz Ende Mai an den Verhandlungen in Genf teilnehmen wird, ist im Übrigen noch nicht klar. Nora Kronig wird es nicht sein: Sie verlässt das BAG, um Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuzes zu werden.

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