Montag, Oktober 7

Mit der Verbreitung von künstlicher Intelligenz hat sich das Problem von Erpressung mit intimen Bildern massiv verschärft. Kinder und Jugendliche sind am häufigsten betroffen.

In der Schweiz sind im vergangenen Jahr 2611 Cyber-Sexualdelikte verzeichnet worden. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes sind 85 Prozent der Betroffenen jünger als 20 Jahre alt. Die Dunkelziffer dürfte höher sein: Laut einer Studie der ZHAW von 2022 wurde jeder zweite Jugendliche in der Schweiz bereits online sexuell belästigt.

Dabei geht es immer öfter um sogenannte Sextortion: Die Opfer werden mit echten oder gefälschten intimen Bildern und Videos von sich erpresst. Und in Zeiten künstlicher Intelligenz wird das Problem immer grösser.

Am Montag hat die Stiftung Kinderschutz Schweiz nun mit der Plattform «Jugend und Medien», der Schweizerischen Kriminalprävention und weiteren Partnern eine Sensibilisierungskampagne lanciert. Unter dem Motto «Was du online teilst, teilst du mit allen. Schütze, was dir wichtig ist» setzen sich die Akteure für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt im digitalen Raum ein.

Schwerpunkt der Kampagne auf Sextortion

Regula Bernhard Hug ist Leiterin der Geschäftsstelle der Stiftung Kinderschutz Schweiz. Auch deren Meldestelle clickandstop.ch stellte eine Zunahme von Cyber-Sexualdelikten fest. «In den letzten beiden Jahren haben sich Meldungen zu pädokriminellen Inhalten verachtfacht», sagt Bernhard Hug. Und: «Wir müssen reagieren, sonst kriegen wir das Problem nicht in den Griff.»

Die Sensibilisierungskampagne wird drei Jahre lang laufen, in jedem Jahr liegt der Fokus auf einem spezifischen Phänomen sexualisierter Gewalt im Netz. Im Jahr 2024 geht es um Sextortion. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wort Sex und dem englischen Wort für Erpressung: Extortion.

Die Hälfte aller Auskünfte und Beratungen bei der Meldestelle von Kinderschutz Schweiz betrafen im vergangenen Jahr Sextortion. Auch laut der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes nimmt die Zahl der Straftaten in diesem Zusammenhang zu.

Ein Fall von Sextortion kann folgendermassen ablaufen: Ein Teenager wird vom Profil einer angeblich 16-Jährigen auf Instagram angeschrieben. Doch hinter dem Profil steckt keine Jugendliche, sondern ein Mann aus dem Ausland. Er versucht, mithilfe des gefälschten Profils den Teenager zu bezirzen, um intime Bilder von ihm zu bekommen. Und den Teenager damit zu erpressen.

Der Plan des Mannes geht auf, der Teenager schickt ihm Aufnahmen seines Geschlechtsteils. Nun droht der Täter, die Aufnahmen zu veröffentlichen und mit Familien und Freunden zu teilen – ausser das Opfer überweise ihm Geld. Erst sind es 200 Franken, dann 500 und später sogar 1000 Franken. Überwiesen wird das Geld über Geschenkkarten von grossen Onlinehändlern wie Amazon. In anderen Fällen verlangen die Erpresser kein Geld, sondern zusätzliches pornografisches Material der Opfer.

Vorsicht beim Teilen von Bildern

Die neue Kampagne richtet sich an die ganze Bevölkerung. In einem Film wird gewarnt: «Das Foto von dir oder deinen Kindern einfach so online teilen? Lieber nicht. Du weisst nie, wo es landet und was damit passiert.» Laut Bernhard Hug sind sich Kinder und Jugendliche, Eltern, Schulbehörden oder die Verantwortlichen bei Vereinen gar nicht bewusst, was mit Bildern im Internet alles geschehen kann.

Eltern rät sie, mit ihren Kindern auch über die Gefahren des Internets zu sprechen. Mit den Erpressern solle man den Kontakt abbrechen, aber nicht bevor man den Austausch als Beweismittel mit Screenshots gespeichert habe.

Wer Opfer von Sextortion wurde, dem empfiehlt Bernhard Hug, mit der Meldestelle clickandstop.ch oder der Polizei Kontakt aufzunehmen. Wichtig sei zudem, dass Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern redeten. «Gefährlich ist es, allein zu bleiben», sagt Bernhard Hug.

Doch online keine intimen Bilder von sich zu teilen, reicht nicht. Kinderschutz Schweiz empfiehlt, online möglichst gar keine Bilder zu teilen, auf denen das Gesicht von vorne gut erkennbar ist.

KI hat das Problem verschärft

Berhnard Hug sagt: «Mit KI können die Erpresser Material sehr einfach herstellen.» Allein mit alltäglichen Fotos könne man sogenannte Deepfake-Pornos produzieren. Dabei wird der Kopf einer Person auf einen Körper in einer pornografischen Pose montiert. Auch die Verbreitung des Materials werde durch KI vereinfacht und beschleunigt, mit dem Löschen komme man gar nicht mehr nach.

«Die Leute sind sich nicht bewusst, dass mit KI gefälschte Bilder täuschend echt aussehen können», sagt Bernhard Hug. Das so erstellte Material werde von den Tätern teilweise auch dazu verwendet, weiteres, echtes pädokriminelles Material zu erpressen. Ein Problem sei auch, dass Eltern oder Betreuungspersonen wie zum Beispiel Lehrmeister diesen Bildern glaubten und nicht erkennten, dass es sich um eine Fälschung handele.

Für die Opfer sei das Material, ob mit KI generiert oder nicht, sehr demütigend. «Es ist ganz klar eine Form von sexualisierter Gewalt», sagt Bernhard Hug. Umso dringender sei, dass nun reagiert werde.

Doch, sagt Bernhard Hug: «Die Politik in der Schweiz hinkt hinterher.» In der Europäischen Union werde versucht, KI zu regulieren und Pädokriminalität gemeinsam mit den Fernmeldeanbietern zu bekämpfen. Nicht jedoch in der Schweiz. «Ich habe Angst, dass die Schweiz die Dringlichkeit nicht sieht, die Prioritäten falsch setzt und zu wenig Ressourcen für die gemeinsame Bekämpfung von Cyber-Sexualdelikten an Kindern und Jugendlichen spricht», sagt sie.

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