Dienstag, November 4

Produzenten, Verleiher und Regisseure äussern ihre Bedenken zur Politik von Bundesrätin Baume-Schneider. Während Hits wie «Bon Schuur Ticino» die Bilanz aufpolieren, verschwinden Dutzende Filme im Nichts.

Wenn Institutionen vor zukunftsweisende Entscheide gestellt werden, geben sie gerne Studien in Auftrag. So auch das Bundesamt für Kultur (BAK), als es 2023 das deutsche Beratungsunternehmen Goldmedia mit der Suche nach Antworten auf drängende Fragen der Filmbranche betraute. Die lauten: Wie kann der Schweizer Film im eigenen Land endlich populärer werden? Welche Fördermassnahmen für einheimische Produktionen sind nötig, um sich in einer komplexen, immer stärker fragmentierten Filmlandschaft zu behaupten?

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Im Oktober 2024 wurden die Resultate der Studie «Entwicklung der Filmförderung» vollständig präsentiert. Zwei Massnahmen stachen als Fazit aus den rund 80 Seiten heraus: erstens ein Ende des Giesskannenprinzips. Die Fördermittel sollten sich auf «weniger, aber qualitativ hochwertigere Produktionen» konzentrieren.

Zweitens sollte durch bessere Auswertung und Vermarktung die Sichtbarkeit des Schweizer Films erhöht werden. Heisst unterm Strich: Es werden zu viele Schweizer Filme gedreht, die von einem zu kleinen Publikum wahrgenommen werden. Selbst der letztjährige Schweizer Oscar-Kandidat «Reinas» lockte gerade einmal rund 8500 Zuschauerinnen und Zuschauer in die Kinos. Die BAK-Direktorin Carine Bachmann betonte, dass die Goldmedia-Studie als Handreichung für konkrete Entscheidungen diene.

Kritisiert wird fehlender Mut ebenso wie Sparentscheide

Seitdem ist ein Jahr vergangen. Im Januar kündigte das BAK neue förderpolitische Massnahmen an: Genrevielfalt solle gestärkt, ein breiteres Publikum erreicht, die Koordination zwischen den Förderstellen verbessert werden. Ankündigungen, die mutig klingen, deren Umsetzung Teilen der Branche jedoch nicht weit, schnell und entschlossen genug geht, wie sich nun zeigt.

Pünktlich zum Start des Zurich Film Festival senden prominente Branchenvertreter einen Brief mit einer Stellungnahme an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Das Schreiben klingt nicht unversöhnlich, aber drängend: «Wir fordern deshalb vom Bundesamt für Kultur und von der Sektion Film, die Handlungsschwerpunkte der eigenen Studie jetzt umzusetzen.»

Kritisiert werden fehlender Mut und mangelnde Konsequenz ebenso wie Sparentscheide. So gilt seit dem 1. Januar dieses Jahres die Standortförderung des BAK (FiSS) nicht mehr für rein schweizerische Filme, sondern nur noch für internationale Co-Produktionen. Und das ist ein Problem, denn auf Erfolg angelegte nationale Publikumsfilme sind tendenziell in Schweizerdeutsch angelegt. Und so müssen sie, im Gegensatz zu anderen Sprachregionen, eine zusätzliche Sprachbarriere überwinden – und enden seltener als internationale Co-Produktionen.

Beteiligt an der Stellungnahme sind bekannte Schweizer Produktionsfirmen wie C-Films, Verleiher wie Ascot-Elite oder DCM und Kinobetreiber wie die Zürcher Arthouse Commercio Movie AG. Zudem eine Riege der Filmprominenz, unter ihnen Petra Volpe, Pierre Monnard, Michael Steiner, Sabine Boss und Mike Müller. Den Brief an Baume-Schneider stellvertretend unterzeichnet hat Sophie Toth, die Produzentin der Erfolgsserie «Tschugger».

Toth betont am Telefon, dass die Initianten sich keineswegs gegen das BAK stellten, sondern im gemeinsamen Interesse für den Schweizer Film agierten: «Wir wollen alle eine vielfältige Schweizer Filmlandschaft und nicht nur reinen Publikumsfilm.» Gerade weil in jüngster Zeit Stimmen aus der Filmindustrie lautgeworden seien, die Baume-Schneider und das BAK direkt angegriffen hätten, soll der Dialog auf diesem Weg konstruktiv fortgesetzt werden.

Eine dieser Stimmen war der Regisseur und Produzent Samir. In einem Gastkommentar in dieser Zeitung warf er dem BAK Bürokratisierung und die seit Jahren andauernde Stagnation bei den Mitteln der staatlichen Filmförderung vor. Die Ergebnisse der Goldmedia-Studie nannte er «enttäuschend».

Toth sagt, die Unterzeichner des Briefs, zu denen Samir nicht zählt, seien der Ansicht, man müsse einen konstruktiven Dialog offenhalten statt ihn zu torpedieren: «Für jemanden, der schon lange in der Filmpolitik ist, muss klar sein, dass die Mühlen in der Politik einfach etwas langsamer mahlen.»

Doch wie viel Zeit kann man sich tatsächlich nehmen, wenn die Filmlandschaft serbelt? 2024 lag der Marktanteil von Schweizer Filmen bei 9,4 Prozent. Das sieht auf den ersten Blick ordentlich aus. Doch dieser Zuwachs ruht auf den Schultern weniger Produktionen. Es sind die Hits wie «Bon Schuur Ticino» oder derzeit «Heldin», die den Löwenanteil ausmachen.

«Von den 95 gestarteten Schweizer Filmen desselben Jahres fanden nur wenige ihr Publikum, die Mehrheit blieb unsichtbar», heisst es in dem Brief. Vergleichbare Länder wie Dänemark oder die Niederlande weisen einen höheren Marktanteil bei ihren Eigenproduktionen auf, von Deutschland oder Frankreich ganz zu schweigen.

Nicht immer reflexhaft nach mehr Geld rufen

«Wir wollen auf 20 Prozent Anteil auf dem heimischen Markt kommen», sagt Toth, das müsse eigentlich auch das Ziel des BAK sein. Der Lösungsvorschlag: Zum einen muss bereits beim Entstehungsprozess eines Films ein präzises Auswertungskonzept vorliegen. Die Filmemacher benötigten eine klar formulierte Vorstellung davon, welches Publikum sie auf welchem Weg erreichen wollten.

Um die Bürokratie zu verringern, sollten grosse Filmprojekte zentral betreut werden – eine einzige Stelle koordiniert und entscheidet. Zudem wäre eine Zusammenlegung der regionalen Förderstellen nach dem Vorbild des Cinéforom in der Romandie eine Möglichkeit, Mittel zu bündeln, Abläufe zu vereinfachen und doppelte Arbeit zu vermeiden, so Toth.

Die Produzentin plädiert dafür, realistisch zu bleiben und nicht immer reflexhaft nach mehr Geld zu rufen: «Mehr Geld zu fordern, ist legitim. Aber in Zeiten steigenden Spardrucks müssen vor allem Reformen greifen. Kultur lässt sich in der Politik ohnehin nur schwer verteidigen.»

«Wir sehen, dass es Befürchtungen gibt»

Das BAK selbst reagiert diplomatisch auf den Vorwurf mangelnder Konsequenz bei der Umsetzung: «Wir erfahren bei diesem Prozess vonseiten der Branche viel Unterstützung, sehen aber auch, dass es Befürchtungen gibt: Den einen geht der eingeschlagene Weg zu weit, anderen zu wenig weit, den einen geht es zu schnell, anderen zu langsam. Das ist nicht unüblich, denn es geht in solchen Prozessen immer auch darum, tragfähige Kompromisse zu finden.»

Die Kritik, es würden zu viele Filme gefördert, teilt das BAK nicht. Es gebe Filme, die nur in Schweizer Kinos erfolgreich liefen, oft Komödien, die sich aufgrund der spezifischen kulturellen Eigenheiten, in denen sie sich bewegten, weniger gut ins Ausland exportieren liessen. Andere Filme erreichten ihr Publikum auf den grossen Festivals: «Es geht bei der Filmförderung nicht darum, diese beiden Realitäten gegeneinander auszuspielen, sondern sie vielmehr als Ausdruck der kulturellen Vielfalt zu begreifen.»

Eine generelle Unzufriedenheit aus der Branche stellt man beim BAK nicht fest. «Es gibt aber eine gewisse Anspannung, insbesondere, was die Finanzierung der Schweizer Filme angeht. Das ist nachvollziehbar, denn die Mittel für die Filmförderung werden nicht mehr, gleichzeitig ist die Zahl der Fördergesuche beim BAK in den letzten Jahren um rund dreissig Prozent gestiegen.»

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