Die Absage des Parteichefs als Bundesratskandidat hat viele erstaunt. Seine ungenierte Demontage erst recht.
Da staunt der Laie, und die vermeintlichen Fachleute wundern sich: Gerhard Pfister will nicht Bundesrat werden. Der abtretende Mitte-Präsident wird nicht für die Nachfolge von Viola Amherd kandidieren. Das interessierte Publikum nahm die Nachricht am Wochenende verblüfft zur Kenntnis, die politisch-mediale Szene in Bundesbern, die sich in dieser Frage praktisch kollektiv geirrt hatte, erst recht.
Auch wenn Pfister nun tatsächlich kaum mehr Bundesrat werden kann, winkt ihm doch die Mitgliedschaft in einem noch exklusiveren Zirkel: im Verein der Nichtbundesräte. Gäbe es einen solchen, umfasste er frühere Politgrössen, manche bereits verstorben, die im Verlauf ihrer Karrieren lange als Bundesräte gehandelt wurden, ohne es je zu werden. In die illustre Reihe gehören Persönlichkeiten wie Leo Schürmann von der CVP, die Sozialdemokratin Christiane Brunner oder die beiden Freisinnigen Franz Steinegger und Ernst Mühlemann. Und bald auch Pfister.
Es gibt diese Berner Karrieren, bei denen alles stimmt und es dann doch nicht klappt. Die Gründe sind divers und oft nicht restlos klar. Im Fall von Pfister gibt es bis anhin nicht einmal auf die wichtigsten Fragen eine eindeutige Antwort: Wieso genau verzichtet er auf eine Kandidatur? Weil er nicht will oder weil andere ihn nicht wollen? Und wann hat er den Entscheid gefällt?
Ja, ich will – nun doch nicht
Mit jedem Satz, mit jeder Faser seines Körpers vermittelte er noch vor wenigen Tagen stets dieselbe Botschaft: Ja, ich will. Bis plötzlich am Samstagabend sein Bekennerinterview im «Tages-Anzeiger» erschien: Nein, er will doch nicht. Auch namhafte Parteifreunde trauten ihren Ohren kaum, als sie davon hörten. Der ungewöhnliche Zeitpunkt lässt vermuten, dass das Interview kurzfristig zustande kam.
Gerhard Pfister ist nicht bekannt dafür, etwas dem Zufall zu überlassen, und er legt Wert auf sprachliche Präzision. Im Interview umschreibt er seine Beweggründe, und zumindest zwischen den Zeilen wird manches klar. Pfister sagt, er habe sich gefragt, ob das Amt zu ihm passe (man beachte die Reihenfolge). «Und da bin ich zum Schluss gekommen: nein.» Denn er liebe den Diskurs, debattiere und streite sehr gerne. Diese Freiheit hätte er als Bundesrat nicht mehr, argumentiert Pfister. Will heissen: Er verzichtet offiziell freiwillig.
Natürlich weiss er selbst, dass viele daran zweifeln, und dennoch gibt er ihnen im Interview neue Nahrung. Verzichtet Pfister vielleicht doch nicht aus freien Stücken, sondern weil er in seiner langen Zeit im Bundeshaus zu viele Leute verärgert hat, um gewählt zu werden?
Antwort Pfister: «Sie haben sicher recht: Bei Bundesratswahlen spielt der ‹Gmögigkeitsfaktor› eine wichtige Rolle. Und meiner ist ziemlich klein.» Im Bundeshaus wüssten alle, dass er Ecken und Kanten habe. Ihm sei bewusst, dass «ich als Person» Reaktionen hervorrufe. Auch die «klare Führungsrolle» in der Partei führt nach Pfisters Selbstdiagnose dazu, dass er als nicht besonders «gmögig» eingeschätzt wird.
Ist das nun ein freiwilliger Verzicht oder ein präventiver – um der Schmach zu entgehen, nicht gewählt oder, noch viel schlimmer, von der eigenen Fraktion nicht nominiert zu werden?
Sofort auf Distanz
Man konnte fast schon zuschauen, wie Pfisters Macht als Matador der Mitte implodierte. Zwei Wochen sind vergangen, seit er seinen Rücktritt als Parteichef angekündigt hatte. Dass er interne Widersacher hat – aus politischen und menschlichen Gründen –, ist nichts Neues. Pfister war ein Präsident mit viel Gestaltungswillen und wenig Geduld, manche beschreiben ihn als klugen Strategen, andere als eigenmächtig und aufbrausend.
Überraschend ist denn auch nicht die Kritik an sich, sondern die Art und Weise, wie sie vorgetragen wird: scharf und unverhohlen. Noch selten wurde ein abtretender Präsident von «Parteifreunden» so entschlossen desavouiert. Am weitesten ging Ständerätin Andrea Gmür. Einen Tag bevor Pfister via «Tages-Anzeiger» seinen Verzicht auf eine Kandidatur als Bundesrat bekanntgeben sollte, formulierte Gmür ebendort eine Art Ultimatum: Die arbeitsrechtlich umstrittenen Vorgänge auf dem Parteisekretariat müssten sofort noch einmal neu untersucht werden – sonst gehe das nicht mit Pfister auf dem Ticket.
Bemerkenswert ist auch, wie nonchalant Nationalrätin Yvonne Bürgin – immerhin eine der Vizepräsidentinnen der Mitte – auf Distanz zum Präsidenten ging. Statt Zuflucht zu suchen in diplomatischen Floskeln, die in diesem Stadium des Verfahrens üblich sind, erklärte sie in der «Arena» unumwunden, dass sie bei der Bundesratswahl ihre Stimme lieber einem jüngeren Kandidaten geben möchte.
In der Mitte haben sie viel zu besprechen. Noch ist Pfister Präsident. Als er am Montag in Bern den Fahrplan der Partei bis zur Bundesratswahl präsentierte, liess er sich nichts anmerken. Angesprochen auf seine Absage, riskierte er gar einen Scherz. Sinngemäss: Das sei eben der Vorteil des Katholiken – dass er nicht müsse, wenn er nicht wolle. Anders als der Protestant, der müsse, auch wenn er nicht wolle.
Was Pfister nicht sagte: Was macht der Katholik, der will, aber nicht darf?