Samstag, November 2

Die 35-jährige Amerikanerin zählt zu den bedeutendsten Jazzsängerinnen. Dass ihr Erfolg auf vokaler Virtuosität ebenso basiert wie auf schauspielerischem Flair, zeigte ihr Auftritt am Zürcher Festival Jazznojazz.

Vorgelegt wird ein horrendes Tempo und ein federnder Swing, von dem sich Cécile McLorin Salvant gleich in den Himmel des Diskants tragen lässt. Hier nimmt sich ihre Stimme mädchenhaft aus, frisch und hell. Ohne jede Spur von Anstrengung fügt sie die Sprache in berückende Melodien. Die Silben flattern so fröhlich im Rhythmus, dass die Nachbarin im Nebensitz in der Gessnerallee nicht an sich halten kann ob ihrer Bewunderung für die Sängerin: «She’s like a butterfly!»

Und wie soll’s danach weitergehen? Cécile McLorin Salvant geht am Donnerstagabend nach jedem Song kurz in sich, wechselt ein paar Worte mit den Mitmusikern, um nicht nur das Publikum des Festivals Jazznojazz, sondern auch sich selbst mit einem nächsten Titel zu überraschen.

Jazz ist die Kunst des Improvisierens. Zumeist pflegt man diese innerhalb eines Stücks, die Improvisation wird eingepasst zwischen Anfangs- und Schlussthema. Cécile McLorin Salvant aber scheint ihren ganzen Auftritt aus dem Stegreif zu entwickeln – als flögen ihr die einzelnen Stücke aus der gut besuchten und von Begeisterung erhitzten Halle in der Gessnerallee zu.

Sängerin mit Working-Band

Erklären kann man sich die Flexibilität und Lockerheit der 35-jährigen Amerikanerin und ihres alerten Begleittrios nur durch ihre lange, intensive Zusammenarbeit. Die Sängerin und der Pianist Sullivan Fortner, der Kontrabassist Yasushi Nakamura und Kyle Poole am Schlagzeug sind so gut aufeinander eingespielt, dass sie auf eine Set-List tatsächlich verzichten. Das ist umso anspruchsvoller, als sich McLorin Salvants Song-Spektrum über Jahrhunderte ebenso erstreckt wie über Kontinente.

Tochter eines haitianischen Vaters und einer Mutter französisch-guadeloupischer Herkunft, ist sie in Miami aufgewachsen. Nach der Highschool hat sie in Frankreich einerseits Jus studiert, andrerseits erst Opern-, später Jazzgesang. Ihre künstlerische Bildung wird überdies überwölbt durch ihre musikalischen Vorlieben, die von der Renaissance-Musik bis in den zeitgenössischen Pop reichen.

Kein Wunder, bekennt sie sich McLorin Salvant zu einem prinzipiellen Eklektizismus, um diesen in Interviews auch aus den musikalischen Erfahrungen ihrer Generation zu erklären: Sie sei eben weniger von Alben geprägt worden als von Mix-Tapes und Playlists, wo auf ein Lautenstück des britischen Renaissancekomponisten John Dowland ein Rap von Kendrick Lamar folgen könne.

Das Konzert von Cécile McLorin Salvant kann man sich wie einen Spaziergang durch ihren weitläufigen Garten vorstellen, wo sie an Pflänzchen und Blüten aus verschiedenen Traditionen schnuppert. So singt sie einerseits Evergreens wie «Wives And Lovers» von Burt Bacharach, den Blues «Haunted House» von Bessie Smith oder den aufwendig arrangierten Pop-Song «Until» von Sting. In der Gessnerallee beweist sie insbesondere auch eine Schwäche für Musical-Melodien. Mit Charme und leiser Ironie intonierte sie «If A Girl Isn’t Pretty» aus «Funny Girl» und mit viel Verve «Ain’t Got No» aus «Hair».

Beispielhaft für McLorin Salvants Gesang scheint dann ihre Version von «Seeräuber-Jenny» aus der «Dreigroschenoper» von Bertolt Brecht / Kurt Weill. Hier zeigt sich, wie sie ihren Eklektizismus eben doch einem künstlerischen Profil, einem eigenen Stil unterordnet. Ähnlich wie Billie Holiday, von der sie es gelernt haben will, verfügt McLorin Salvant über eine empathisch-theatrale Begabung. Jeden Stil, jeden Song eignet sie sich in einem Rollenspiel an.

Und wenn sie das von herablassenden Männern geplagte Küchenmädchen Jenny darstellt, das von blutiger Rebellion träumt, bringt sie die gemischten Gefühle stimmlich differenziert zum Ausdruck. Sie variiert geschickt und virtuos zwischen ihrer Kopfstimme, der etwas Kindlich-Geschwätziges anhaftet, und tieferen Registern, wo der Gesang in Hitze und Leidenschaft erbebt.

Eine feministische Pointe

Das dramatische, oft komische Moment wird durch die Mitmusiker unterstrichen, die sich nicht als unterwürfige Begleiter verstehen, sondern als alerte Partner. Ihr Interplay lebt von engagiertem Zugriff ebenso wie von einer anarchischen Offenheit, aus der sie sofort auf Akzente und Pointen der Sängerin reagieren können. Wenn der Bassist mit dem Bogen ein Nebelhorn imitiert, weil im Lied von einem solchen gesungen wird, mag das banal wirken – aber es unterstreicht die Schlagfertigkeit der Instrumentalisten.

Am Schluss ihres Liedes lässt Seeräuber-Jenny in ihren Rachegelüsten Köpfe rollen: die Köpfe herablassender oder gar übergriffiger Männer. Und so fragt man sich plötzlich, ob das Konzert vielleicht doch einem Plan folgt. In «Wives and Lovers» hiess es, Frauen müssten sich schminken und schön kleiden, um den Ansprüchen ihrer Männer zu genügen. Und in «If A Girl Isn’t Pretty» wurden weniger hübsche Frauen quasi von der Bühne verbannt. Mit «Seeräuber-Jenny» zeigt McLorin Salvant zuletzt, was sie von solchen Männerphantasien hält.

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