Mittwoch, Oktober 30

Die Wall-Street blickte am WEF mit gemischten Gefühlen auf das Börsenjahr 2024. Vertreter von Blackrock bis State Street gaben Einblick in ihre Erwartungen.

Alles, was an der Wall Street Rang und Namen hat, ist diese Woche nach Davos gereist. Die Namen des JP-Morgan-Chefs Jamie Dimon, des Blackrock-Vizepräsidenten Philipp Hildebrand und des Blackstone-Gründers Stephen A. Schwarzman waren nur einige der bekanntesten Einträge auf der Teilnehmerliste.

Im Kongresszentrum, in Hotelzimmern oder eigens für das WEF hergerichteten Niederlassungen trafen die Wall-Street-Grössen und ihre mitgereisten Delegationen im Halbstundentakt Kunden, Mitbewerber und Regierungsvertreter.

Bei öffentlichen Auftritten und Hintergrundgesprächen äusserten sich die Finanzprofis zu Chancen und Risiken.

Was geschieht mit Taiwan, wenn Donald Trump Präsident wird?

Gleich zu Beginn des WEF verbreitete sich in Davos die Nachricht aus dem amerikanischen Gliedstaat Iowa, dass Donald Trump die dortigen republikanischen Vorwahlen mit grossem Vorsprung für sich entschieden hatte.

Die mögliche Rückkehr Trumps ins Weisse Haus weckte in Davos positive Erinnerungen an das Börsenrally, das nach seiner ersten Wahl 2016 eingesetzt hatte. Aus der geopolitischen Perspektive sorgte die Aussicht auf eine zweite Trump-Präsidentschaft am WEF aber auch für Nervosität.

Trump vertritt im Rahmen seines «America first»-Ansatzes die Haltung, dass es nicht die Aufgabe der Vereinigten Staaten sein könne, auf Kosten des Steuerzahlers die Probleme anderer Länder zu lösen. Seine erneute Wahl hätte also Auswirkungen für die Ukraine und auch für Taiwan, das sich der Gefahr einer militärischen Invasion durch China ausgesetzt sieht.

Der UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher bezeichnete bei einem Auftritt einen plötzlichen Ausfall von China als Wachstumsmarkt infolge von Sanktionen als Risiko mit tiefer Wahrscheinlichkeit, aber hohem potenziellem Schaden. «Wenn China plötzlich einfriert, haben wir ein Problem», sagte Kelleher. Dann werde man damit umgehen müssen, so, wie man das bereits im Fall des Ukraine-Kriegs getan habe.

In Davos wurde deutlich: Die Finanzmärkte können geopolitische Konflikte nicht wie in den vergangenen sechzig Jahren als temporäre Störfaktoren behandeln. «Heute sprechen wir über eine viel dauerhaftere und strukturelle Situation», sagte Tom Donilon, Leiter des Blackrock-Investment-Instituts und ehemaliger Berater für nationale Sicherheit von US-Präsident Barack Obama.

Donilon erinnerte an ein Treffen Obamas in dessen erster Amtszeit mit dem chinesischen, dem russischen und dem britischen Staatschef an einem G-20-Gipfel. «Denken Sie einmal darüber nach. Dieses Treffen würde heute nicht mehr stattfinden, egal zu welchem Thema.»

Donilon glaubt nicht an das Ende, aber an eine «Neuverdrahtung der Globalisierung». Künftig werde mehr Handel innerhalb der geopolitischen Blöcke stattfinden. Das Handelsvolumen insgesamt gehe nicht zurück, aber die Lieferketten würden komplizierter und teurer, der Protektionismus nehme zu.

Die neue Weltordnung spiegelt sich auch im Anlageverhalten der Marktteilnehmer. Yie-Hsin Hung, Chefin des amerikanischen Vermögensverwalters State Street Global Advisors (SSGA), sagte in einem Gespräch mit der NZZ, dass ihre Kunden zwar weiterhin in den chinesischen Markt investierten, diese Anlagen aber separat vom restlichen Schwellenländer-Portfolio hielten, um rasch auf aufkommende Risiken reagieren zu können. «Es ist ein Thema, das in Kundengesprächen häufig zur Sprache kommt.»

Wann und wie stark wird die amerikanische Zentralbank die Zinsen senken?

Es gab aber auch Grund zur Zuversicht in Davos. «Der Fed-Put ist zurück», sagte ein hochrangiger Vertreter einer globalen Grossbank am Rande eines Empfangs in Davos mit einem Lächeln. Gemeint ist: Die amerikanische Zentralbank (Fed) hat erstmals seit langem wieder Spielraum, um bei Bedarf die Leitzinsen zur Unterstützung der Wirtschaft schnell zu senken. Wie bei einer Put-Option sehen die Aktien- und Anleihemärkte darin eine Absicherung gegen fallende Kurse.

Die Aussicht auf baldige Zinssenkungen und ein wirtschaftliches «soft landing» beflügelte die Aktienmärkte im vergangenen Jahr. Der S&P 500 beendete das Jahr 2023 mit einem Plus von 24 Prozent. Die Projektionen der Fed-Mitglieder deuten bis Ende 2024 auf drei Zinssenkungen um jeweils 0,25 Prozentpunkte. Die Hoffnung an der Wall Street ist, dass es mehr sein werden.

Die SSGA-Chefin Yie-Hsin Hung prognostiziert vier Zinssenkungen bis Ende 2024. Sie sieht in diesem Kontext vor allen Dingen Chancen an den Anleihemärkten, die anders als die Aktienmärkte noch einiges an Aufholbedarf haben. Im Aktienbereich liege der Fokus auf Valoren von Unternehmen mit einer langfristig hohen Profitabilität und einer soliden Bilanz, sagte sie.

Vorsichtiger äusserten sich Zentralbanken-Chefs und Vertreter internationaler Institutionen. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), sagte, erste Zinssenkungen im kommenden Sommer seien wahrscheinlich. Doch auch die Inflationsdaten müssten das Vorgehen rechtfertigen. Allzu aggressive Wetten der Märkte auf kommende Zinssenkungen seien wenig hilfreich. «Es ist unserem Kampf gegen die Inflation nicht dienlich, wenn die Erwartungen im Vergleich zu dem, was wahrscheinlich passieren wird, viel zu hoch sind.»

Gita Gopinath, Vizechefin des Internationalen Währungsfonds (IMF), mahnte, dass die durchschnittlichen Zinssätze im Vergleich zur Zeit nach der grossen Finanzkrise 2008 langfristig höher sein würden. «Wir leben jetzt in einer Welt, in der es viel mehr Angebotsschocks gibt, die viel schwerwiegender sind, und wir haben gesehen, dass die Inflation ziemlich stark zurückkommen kann.»

Welche Unternehmen werden am stärksten von der künstlichen Intelligenz profitieren?

Das Thema künstliche Intelligenz war in Davos allgegenwärtig. Die Finanzbranche hält grosse Stücke auf die Technologie: «Die Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität und zum Nutzen von Unternehmen, Sektoren und Volkswirtschaften sind enorm», sagte Rob Goldstein, operativer Chef von Blackrock.

Der Fokus der Investoren sollte laut Goldstein nicht nur auf den Betreibern und Erfindern von KI-Modellen liegen, welche die Kernbausteine der Technologie lieferten. Zu den Profiteuren würden auch Unternehmen gehören, die über eine grosse Menge an eigenen Daten verfügten und diese mittels KI in verwertbare Informationen umwandeln könnten. «Wir glauben, dass die Bedeutung dieser Daten heute noch nicht in vollem Umfang gewürdigt wird.» Manche Unternehmen sässen auf einer «wahren Goldgrube» an Daten.

Blackrock selbst arbeitet an der Entwicklung von sogenannten KI-Co-Piloten, die es den Angestellten ermöglichen sollen, erste Versionen von Dokumenten – beispielsweise Jahresberichten oder Börsenprospekten – schneller aufzusetzen. «Anstatt also eine Woche nach der Sitzung einen ersten Entwurf zu bekommen, warum kann man den ersten Entwurf nicht am Ende der Sitzung haben?», sagte Goldstein. Es werde immer sechzehn Personen geben, die den ersten Entwurf lesen würden. Aber man glaube bei Blackrock, dass man das Innovationstempo innerhalb der Organisation mit diesem Vorgehen erheblich erhöhen könne.

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