Samstag, Oktober 5

Die Sparvorschläge der Expertengruppe des Bundes dürften nun keinesfalls in der Schublade verschwinden, mahnt Christoph Mäder vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Die Wirtschaft sei bereit, Opfer zu erbringen.

Herr Mäder, die Schweiz stand beim Staatshaushalt bisher im internationalen Vergleich gut da. Doch jetzt steuert der Bund auf Milliardendefizite zu. Sollte man einfach mehr Verschuldung in Kauf nehmen und die Schuldenbremse aussetzen?

Auf keinen Fall. Der Bund hat ein Ausgabenproblem und nicht ein Einnahmenproblem. Die Bundesausgaben haben sich seit 1990 verdreifacht auf heute bald 90 Milliarden Franken. Gleichzeitig gab es sprudelnde Einnahmen, vor allem dank der boomenden Wirtschaft, und da hat man die Ausgaben einfach ständig erhöht. Der Bund verwendet mittlerweile fast zwei Drittel des Finanzhaushalts für gesetzlich gebundene Ausgaben. Dadurch ist der Spielraum für anderes kleiner geworden. Wenn es knapp wird, müssen immer die wenigen verbleibenden Bereiche herhalten, bei denen das Budget jedes Jahr angepasst werden kann: Landesverteidigung, Bildung und Forschung, Entwicklungszusammenarbeit und Landwirtschaft. Das führt zunehmend zu unerträglichen Diskussionen. Zumal jetzt strukturelle Defizite von 2,5 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr drohen. Auch, weil man richtigerweise die Armee ausbauen will. Der Bund muss deshalb endlich Prioritäten bei den Ausgaben setzen.

Eine Expertenkommission hat Vorschläge erarbeitet, wie der Bund sparen könnte. Wie sollte man damit umgehen?

Man sollte dies nun zum Anlass nehmen, eine grundlegende Debatte über die Bundesfinanzen zu führen und nicht nur punktuell zu sparen. Es wäre fahrlässig, wenn die Politik den Expertenbericht einfach verdanken und in die Schublade legen würde. Wir müssen sparen und brauchen jetzt eine echte Diskussion zur Frage, wie es mit den Bundesfinanzen weitergehen soll.

Was sind für Sie die wichtigsten Schlüsse aus dem Expertenbericht?

Ich finde es wichtig, dass es für die Expertengruppe keine Tabus gab und sie sämtliche Ausgaben, auch die gebundenen, in den Fokus genommen hat. Wenn wir diese nicht einer Überprüfung unterziehen und den Spielraum ausloten, haben wir die Hausaufgaben nicht gemacht. Es kann nicht sein, dass zwei Drittel des Bundesbudgets unantastbar sind. Nun gilt es, die Vorschläge der Expertengruppe ernsthaft zu prüfen und zur Grundlage eines Massnahmenpakets zu machen. Wir unterstützen dabei klar die im Bericht vorgeschlagene Hauptvariante, denn diese legt den Fokus auf Ausgabenkürzungen und geht auch die Problematik der stark gebundenen Ausgaben an. Bei gewissen Massnahmen, etwa bei der Bundesverwaltung, könnte noch weitergegangen werden. Eine Verlangsamung der Ausgaben für die Armee hingegen ist klar abzulehnen.

Was halten Sie darüber hinaus für wichtig?

Ich halte es für richtig und wichtig, dass die Expertengruppe alle Subventionen kritisch überprüft hat. Diese sprudeln, ohne dass man sich Rechenschaft darüber ablegt, ob die Subventionen am richtigen Ort ausbezahlt werden und ob sie die richtigen Anreize setzen.

Gilt das auch für die umfangreichen Energiesubventionen, von denen viele Unternehmen profitieren?

Ja, das gehört für mich dazu. Die Förderungen müssen so umgebaut werden, dass das System möglichst marktwirtschaftlich orientiert und nachhaltig ist.

Muss auch die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen neu geregelt werden?

Der Bund übernimmt immer mehr Aufgaben, die eigentlich in der Zuständigkeit der Kantone liegen. Ein Beispiel sind die Kinderkrippen: Der Bund soll zahlen, aber die Kantone wollen zuständig bleiben. Damit schieben die Kantone ihre Finanzverantwortung ab. Das ist eine schlechte Entwicklung, und ich halte es für richtig, dass die Expertengruppe diesen grossen Ausgabenposten streichen will. Die Erfahrung zeigt: Je mehr Aufgaben auf den unteren föderalen Ebenen bleiben, umso besser ist die Finanzkontrolle. Das scheint in der Schweiz ein ehernes Gesetz zu sein. In den Gemeinden wird gut hingeschaut, bei den Kantonen in der Regel auch noch, beim Bund wird die finanzpolitische Disziplin dann teilweise schon ziemlich lasch. Es braucht deshalb wieder mehr Subsidiarität. Die Kantone haben finanziell sehr gute Jahre hinter sich. Bei der Spardebatte muss deshalb auch über eine faire Lastenverteilung zwischen Bund und Kantonen gesprochen werden.

Sie haben die Kinderkrippen erwähnt. Schieben da die Arbeitgeber die Verantwortung nicht zu sehr auf den Staat? Angesichts der Klagen über Fachkräftemangel und Teilzeitarbeit von Frauen könnten die Unternehmen das Problem auch selber angehen.

Ich sage schon lange, dass die Wirtschaft ihren Beitrag leisten muss. Das sehen nicht alle in der Wirtschaft so, aber ich bin davon überzeugt. Und es passiert auch etwas. Es gibt viele Firmen, die Krippen selber unterhalten oder zumindest unterstützen.

Die Sparvorschläge liegen auf dem Tisch. Was muss passieren, damit der Bund auch tatsächlich spart?

In Bundesbern muss sich die Kultur fundamental ändern. Es kann nicht sein, dass alle ihre Partikularinteressen ohne Rücksicht auf das Ganze durchdrücken. Ein Parlamentarier sagte mir jüngst, fürs Sparen gebe es ohnehin keine politische Mehrheit, deshalb könne man nicht anders als die Steuern erhöhen. Das ist unglaublich. Wenn das Parlament keinen Sparkompromiss zustande bringt, wäre das eine Bankrotterklärung. Man muss auch die Dimensionen sehen. In einem Budget von bald 90 Milliarden einen Betrag von 2 bis 3 Milliarden einzusparen, ist kein Ding der Unmöglichkeit. In der Privatwirtschaft gehören solche Sparrunden zum Alltag.

Hat sich beim Bund Nachlässigkeit breitgemacht?

Die Bundesverwaltung wächst und wächst, interessanterweise ungeachtet der politischen Färbung einer Departementsleitung. Gleichzeitig zahlt die Bundesverwaltung ihrem Personal Löhne, bei denen viele Bereiche der Privatwirtschaft nicht mehr mithalten können. Es scheint ein Naturgesetz der Bürokratie zu sein, dass sie immer nur grösser wird. Und damit wachsen auch die Staatsausgaben.

Wenn Sie Bundesrat wären, was würden Sie dagegen tun?

Ich halte ein Rezept aus der Privatwirtschaft für übertragbar. Es heisst Stellenplafonierung. Wenn keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden können, muss die Verwaltung Prioritäten setzen. Dann findet man immer Sparpotenzial. Das wäre ein guter Anfang.

Das letzte Mal richtig gespart hat der Bund vor zwanzig Jahren, als die Schuldenbremse eingeführt wurde. Was hat man da besser gemacht?

Es gab damals noch eine stark verankerte parteiübergreifende Überzeugung, dass solide Staatsfinanzen wichtig sind. Seither ist der Wettbewerb zwischen den Parteien härter geworden. Sie verteidigen ihre Interessen durch alle Böden und nehmen weniger Rücksicht auf die Gesamtlage. Zudem hatten wir die Phase des Gratisgeldes. Rund um uns herum haben Staaten riesige Defizite angehäuft, es ist ein richtiger Schuldensumpf entstanden. Und dann war die Corona-Pandemie auch ein staats- und finanzpolitisch heftiges Ereignis. Viele machten die hohle Hand beim Staat. Das galt auch für einige Wirtschaftsakteure, das sage ich ohne Scheuklappen. All das hat dazu beigetragen, dass die Notwendigkeit solider Staatsfinanzen im Bewusstsein der Politik heute weniger verankert ist.

Die Bundesfinanzen sind auch unter Druck, weil die Armee mehr Geld erhalten soll. Wie stark sollten die Ausgaben für die Sicherheit erhöht werden?

Als eines der reichsten Länder der Welt kann die Schweiz nicht einseitig weiter eine Friedensdividende kassieren. Dass sie mehr in die Sicherheit investiert, ist auch ein Gebot der internationalen Solidarität und Fairness. Das Parlament hat das Minimum dessen beschlossen, was nötig ist. Von Nato-Mitgliedstaaten wird erwartet, dass sie 2 Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär ausgeben. Manche Staaten wenden 4 Prozent auf. Die Schweiz ist hier noch massiv im Rückstand. Das muss sich ändern.

Gleichzeitig muss in der Schweiz die 13. AHV-Rente finanziert werden. Geht es am Ende doch nicht ohne Steuererhöhungen?

Es gibt den Vorschlag eines zusätzlichen Prozents bei der Mehrwertsteuer, um die höheren Ausgaben für AHV und Armee zu finanzieren. Das ist womöglich ein gangbarer Weg. Aber ich möchte betonen: Dieses Zusatzprozent muss befristet sein. Es darf den Bund nicht davon entbinden, die strukturellen Probleme bei den Bundesfinanzen und bei der AHV anzugehen.

Trotz allen Sparappellen ist es für Sie in Ordnung, wenn die 13. AHV-Rente über eine Steuererhöhung finanziert wird?

Wir waren als Dachverband der Schweizer Wirtschaft gegen die Initiative für eine 13. AHV-Rente. Aber das Volk hat anders entschieden. Es ist sicherlich richtig, wenn die 13. AHV-Rente jetzt über die Mehrwertsteuer finanziert wird und nicht über höhere Lohnabzüge. Aber das darf nur temporär sein. Die Politik muss eine strukturelle Reform der AHV angehen, um sie finanziell wieder ins Lot zu bringen. Dazu gehört auch eine Entflechtung zwischen Bund und AHV, wie es die Expertengruppe vorschlägt.

Bisher war ein attraktives Steuerklima ein wesentlicher Standortfaktor der Schweiz. Nun steigt wohl die Mehrwertsteuer, und es wurde die OECD-Mindeststeuer eingeführt. Sind das noch erstklassige Standortbedingungen?

Die Schweiz ist ein Hochkostenland. Eine moderate Steuerbelastung ist ein Wettbewerbsvorteil, der auch für die Wirtschaft wichtig ist. Wir können uns deshalb keinen Schlendrian bei den Staatsfinanzen leisten. Leider hat die Schweiz international an Vorsprung eingebüsst – auch durch die Einführung der OECD-Mindeststeuer für Grossunternehmen. Das grössere Problem ist allerdings, dass der internationale Standortwettbewerb jetzt nicht mehr über die Steuern geführt wird, sondern über einen Subventionswettlauf. Diese Renaissance der Industriepolitik macht uns noch mehr Sorgen.

Eine Initiative der Jungsozialisten will eine Erbschaftssteuer einführen, die Vermögen über 50 Millionen Franken mit 50 Prozent besteuern würde. Wieso sind Sie so vehement dagegen?

Die Initiative ist ein Frontalangriff auf die Schweizer Wirtschaft, vor allem auf die gute Tradition von Familienunternehmen, die seit mehreren Generationen erfolgreich geführt werden. Es wären wohl mehrere tausend Steuerpflichtige betroffen. Die Familienunternehmer wären vor die Wahl gestellt: Entweder sie verlassen das Land, vielleicht schon vorsorglich. Oder sie verkaufen ihre Firma, höchstwahrscheinlich an ausländische Investoren, damit ihre Nachkommen die enormen Erbschaftssteuern bezahlen können. Die Auswirkungen der Initiative wären verheerend, sie würde eine riesige Umwälzung in der Schweizer Unternehmenslandschaft bewirken. Zudem tritt sie verfassungsmässige Prinzipien mit Füssen, wie Vertrauensschutz, Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder Rückwirkungsverbot. Die Initiative vertritt das alte sozialistische Gedankengut einer Umgestaltung des Wirtschaftssystems.

Der Bundesrat hat kürzlich festgehalten, er werde nach einer allfälligen Annahme der Initiative Wegzüge nicht behindern. Genügt das, um Unternehmer von einem vorzeitigen Wegzug abzuhalten?

Man kann es nur hoffen. Die Ausführungen des Bundesrates sind hilfreich. Bei Betroffenen höre ich positive Reaktionen. Es gibt natürlich ein Restrisiko, aber dieses ist minim.

Manche argumentieren, eine Erbschaftssteuer sei eine leistungsgerechtere Besteuerung als hohe Einkommens- oder Vermögenssteuern, denn Erben hätten ja selbst kaum etwas zum Entstehen der Vermögen geleistet. Sollte man das Steuersystem nicht entsprechend umbauen?

Gewisse Ökonomen liebäugeln aus Effizienzüberlegungen mit der Erbschaftssteuer. Aber das überzeugt mich nicht. Wir haben in der Schweiz schon eine Vermögenssteuer und kantonale Erbschaftssteuern. Die Kantone würden bei Eingriffen in ihre Autonomie Sturm laufen. Wir dürfen deshalb nicht auf den Pfad eines Gegenvorschlags zur Initiative einschwenken und eine, wie manche sagen, moderate nationale Erbschaftssteuer auf Bundesebene vorschlagen. Am Ende gäbe es einfach ein Nebeneinander von Vermögens- und Erbschaftssteuern. Das wäre eine immense Belastung und ein erheblicher Standortnachteil. Es wäre weltweit einzigartig.

Wirtschaftsvertreter mit klarem Kompass

Christoph Mäder, Präsident Economiesuisse

pfi. · Der 1959 geborene Rechtsanwalt präsidiert Economiesuisse seit Herbst 2020. Seine berufliche Karriere startete Christoph Mäder bei der Aargauischen Handelskammer, bevor er als leitender Rechtskonsulent zu Sandoz und Novartis wechselte. Ab der Jahrtausendwende wirkte er 18 Jahre lang in der Geschäftsleitung von Syngenta. Dort wurde er nicht nur zu deren «Schweizer Gesicht», sondern war neben rechtlichen Fragen auch für Sicherheit, Compliance, Umweltschutz und Risikomanagement zuständig. Daneben war er lange Präsident von Scienceindustries, dem Verband der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Mäder kennt die Anliegen der Pharmabranche und Industrie auch aus zahlreichen Verwaltungsräten. Er ist nicht nur Manager, sondern auch ein in der Schweiz fest verankerter Wirtschaftspolitiker mit klarem ordnungspolitischem Kompass. Mäder ist unter anderem Mitglied des Verwaltungsrats von Lonza und der Bâloise Group und sitzt im Bankrat der Schweizerischen Nationalbank.

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