Samstag, Oktober 5

Frankreichs Einfluss in Afrika schwindet. Nun hat eine frühere Schlüsselfigur der «Françafrique»-Politik ihre Memoiren veröffentlicht. Sie strotzen vor Anekdoten.

An einem Januartag im Jahr 1988 sitzt Robert Bourgi in einem Vorzimmer des Präsidentenpalastes in Libreville. Der Gast aus Paris wartet darauf, dass er bei Omar Bongo vorsprechen darf, dem Diktator von Gabon. Seine Mission: Gelder einsammeln für den bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf von Jacques Chirac.

Zu seiner Überraschung betritt auch Roland Dumas, Frankreichs ehemaliger Aussenminister und die rechte Hand des amtierenden Präsidenten François Mitterrand, den Raum. «Guten Tag, Bourgi», sagt er. «Ich nehme an, wir sind aus demselben Grund hier.» Dumas darf als Erster in Bongos Büro gehen, kommt wenig später wieder raus und sagt: «Keine Sorge, es ist noch etwas übrig!»

Mit dieser Anekdote beginnt der frankolibanesische Anwalt und politische Berater Robert Bourgi seine kürzlich veröffentlichten Memoiren «Ils savent que je sais tout: Ma vie en Françafrique» («Sie wissen, dass ich alles weiss: Mein Leben in Françafrique»). Bourgi galt über Jahrzehnte als einflussreiche Figur hinter den Kulissen der französischen Politik in Subsahara-Afrika.

Millionen für Chirac

Das Buch wirft ein neues Licht auf die Geschichte der französisch-afrikanischen Beziehungen. Diese waren in den vergangenen Jahren tumultuös. Frankreich hat in Westafrika stark an Einfluss verloren. Französische Militärmissionen wurden aus mehreren Ländern gewiesen, Tausende demonstrierten gegen die ehemalige Kolonialmacht. Die antifranzösische Stimmung entzündet sich auch an Praktiken, wie sie Bourgi in seinen Memoiren beschreibt.

Der 1945 in Senegal geborene Sohn schiitisch-libanesischer Einwanderer war eng verbunden mit einer ganzen Reihe afrikanischer Despoten wie Omar Bongo aus Gabon, Laurent Gbagbo aus Côte d’Ivoire oder Blaise Compaoré aus Burkina Faso. Und er genoss das Vertrauen französischer Präsidenten und Premierminister.

In seinem Buch enthüllt Bourgi, dass die afrikanischen Staatsoberhäupter regelmässig grosse Summen Bargeld für französische Politiker gespendet hätten und er diesen Transfer organisiert habe. Jeweils 10 Millionen Dollar sollen allein bei den Präsidentschaftswahlen 1995 und 2002 für Chirac geflossen sein – und das auf oft ungewöhnliche Weise: Bourgi schildert, wie Banknoten in Puma-Sporttaschen transportiert oder auch in Djembe-Trommeln versteckt worden seien. Mit einer Schere habe man die Instrumente später im Élysée-Palast aufgeschnitten und sich über den Geldregen gefreut – aber nicht darüber, dass die Noten in kleinen Stückelungen gekommen seien.

Der Prozess sei eigentlich unkompliziert gewesen, erklärte Bourgi in einem Interview mit «Le Figaro». Immer wenn Wahlen näher rückten, habe Chirac ihm zu verstehen gegeben, dass er in afrikanischen Hauptstädten vorsprechen solle. Ein Fahrer habe die Gelder dann dem französischen Präsidenten direkt in dessen Haus in Paris oder seiner Villa auf dem Land übergeben. Für die afrikanischen Herrscher seien solche Praktiken normal gewesen, so Bourgi. Sie hätten dazu gedient, Vertrauen und Allianzen aufzubauen.

Er selbst habe keine Geldkoffer getragen, sei stets nur der «Mann im Schatten» gewesen. Das sagte der Anwalt vergangene Woche in einer Talkshow des Fernsehsenders France Info. Jetzt, mit 79 Jahren, wolle er ans Tageslicht treten.

Ein Unbekannter ist Bourgi freilich nicht. Schon 2009 tauchte sein Name im Zusammenhang mit den Wikileaks-Enthüllungen auf. Amerikanische Diplomaten hatten ihn in Depeschen als hilfreiche Informationsquelle für Frankreich, aber auch als Opportunisten und selbstsüchtigen Lobbyisten bezeichnet.

Afrikanische Kritiker bestrafte Frankreich

2011 sprach Bourgi zum ersten Mal öffentlich über Millionenzahlungen für Chirac und für den früheren französischen Premierminister Dominique de Villepin. Beide bestritten die Vorwürfe damals vehement. Es gab Vermutungen, dass der damalige Präsident Sarkozy Bourgi angestiftet hatte, Rivalen im konservativen Lager zu diskreditieren.

Bourgi hatte mit Jacques Foccart, dem ehemaligen Afrika-Beauftragten von Charles de Gaulle, einen gewichtigen Mentor. Foccart steuerte bis in die 1970er Jahre den Kurs Frankreichs auf einem Kontinent, auf dem es in der Kolonialzeit knapp zwei Dutzend Territorien regiert hatte.

Die meisten afrikanischen Kolonien waren Anfang der sechziger Jahre unabhängig geworden. Frankreich war aber stärker als zum Beispiel Grossbritannien darum bemüht, seine ehemaligen Territorien weiter an sich gebunden zu halten – politisch und wirtschaftlich. Französische Regierungen stützten autoritäre und korrupte Herrscher, manchmal indem sie militärisch intervenierten, um die Verbündeten vor Umsturzversuchen zu retten.

Aufmüpfige afrikanische Präsidenten bestrafte Frankreich. In den 1980er Jahren zum Beispiel den Anti-Imperialisten Thomas Sankara in Burkina Faso, der sich nicht scheute, Frankreichs Afrika-Politik zu kritisieren. Paris sabotierte Sankara, indem es den Einfluss in internationalen Finanzinstitutionen nutzte, um Kredite für Burkina Faso zu blockieren. Auch halten sich Gerüchte bis heute hartnäckig, wonach der französische Geheimdienst den Militärs, die Sankara 1987 ermordeten, Informationen lieferte.

Der Sündenbock Frankreich

Im vergangenen Jahrzehnt ist «Françafrique» in seinen Grundfesten erschüttert worden. Mehrere Präsidenten, die zentrale Akteure in dem System waren, wurden von Staatsstreichen weggefegt – zuletzt 2023 Ali Bongo in Gabon. Militärs, die die Macht ergriffen, wiesen französische Truppenkontingente aus dem Land, mancherorts auch französische Diplomaten und Journalisten. In Niger entzog die Junta der französischen Firma Orano die Lizenz einer grossen Uranmine.

Die Militärs nutzten schon bestehende antifranzösische Ressentiments, um ihre Popularität zu sichern. Viele Leute im frankofonen Afrika glauben, dass die ehemalige Kolonialmacht sie bis heute ausbeutet. In den Sahelstaaten, in denen islamistische Terroristen grosse Gebiete zu Kriegszonen gemacht haben, kursieren auch Verschwörungstheorien: Frankreich mache gemeinsame Sache mit den Terroristen, um Rohstoffe zu plündern.

Während Frankreich in Afrika oft als Sündenbock dient, war das System von «Françafrique» real – wie in den Memoiren von Robert Bourgi deutlich wird. Es ist auch nicht völlig zertrümmert. Manche der Akteure, die in Bourgis Buch vorkommen, sind noch immer an der Macht. Denis Sassou-Nguesso zum Beispiel, der Präsident von Kongo-Brazzaville. Und auch Bourgi selber scheint noch nicht ganz in Rente gehen zu wollen. Anfang Jahr traf er den gabonesischen Putschführer Brice Clotaire Oligui Nguema. Er habe dem Putschisten geraten, «eine Brise Demokratie» wehen zu lassen, sagte Bourgi in einem seiner Interviews in den vergangenen Tagen.

Bourgi sagt, er habe eine «tiefe Liebe für Afrika». Er verdanke dem Kontinent alles, was er habe. Seine Zuneigung scheint dabei vor allem den mächtigen und korrupten Männern zu gelten, die er in seinen Anekdoten mit Vornamen auftreten lässt und die ihm Millionen für seine Dienste bezahlten.

In einem Interview mit dem Fernsehsender France 24 wurde Bourgi vom Moderator gefragt, ob er kein schlechtes Gewissen habe. Schliesslich habe er sich von seinen afrikanischen Freunden mit riesigen Summen entlöhnen lassen, während in deren Ländern das Geld für Strassen, Spitäler und Schulen gefehlt habe.

Bourgi reagierte pikiert. «Ich bin hier, um über meine Memoiren zu sprechen, nicht um vor dem Untersuchungsrichter aufzutreten», sagte er. Dann erzählte er eine nächste Anekdote.

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