Die Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway sitzt auf enormen Barmitteln. Dennoch schüttet Buffett weiterhin keine Dividenden aus.
Es gehört mittlerweile fast schon zur Tradition, dass sich Analytiker und Aktionäre von Berkshire Hathaway die Haare raufen über die hohen Barmittel von Warren Buffetts Investmentgesellschaft. Das Unternehmen schwimmt im Geld. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres hat sich der Bestand an Cash und kurzfristigen Staatsanleihen gegenüber dem Vorquartal von 157 auf 167 Milliarden Dollar erhöht. Das ist eine Rekordsumme.
Buffett könnte das Geld in Form von Dividenden ausschütten oder endlich wieder einmal eine grosse Akquisition tätigen. Doch beides stellt für ihn derzeit keine Option dar.
Dividenden sind gut, reinvestieren ist besser
Berkshire hat nur einmal in seiner Geschichte, im Jahr 1967, eine Dividende ausbezahlt. Buffett witzelte später, er sei vermutlich auf der Toilette gewesen, als dies beschlossen worden sei.
Der 93-jährige Amerikaner aus Omaha im Gliedstaat Nebraska ist überzeugt, dass langfristig orientierte Aktionäre mehr davon haben, wenn seine Investmentgesellschaft die Gewinne in neue, wachstumsträchtige Projekte reinvestiert als sie in Form von Dividenden ausschüttet.
Ein weiterer Grund ist steuerlicher Natur: Die Aktionäre müssen einen Teil der ausbezahlten Dividenden dem Fiskus abliefern und Transaktionskosten tragen, selbst wenn sie mit der Gewinnausschüttung zusätzliche Aktien kaufen.
Aus diesem Grund beschränkt sich Buffett auf Rückkäufe der eigenen Aktien, um Gewinne an die Aktionäre zurückzuführen. Allerdings auch nur dann, wenn die Bewertung des eigenen Papiers attraktiv ist.
Risikolose Anleihen sind schwer zu übertreffen
Der Begriff Cash könnte einen Beobachter fälschlicherweise zum Schluss verleiten, dass die Barmittel bei Berkshire Hathaway nutzlos herumliegen. Dem ist nicht so. Über 100 der 167 Milliarden sind in amerikanischen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr, sogenannten Treasury Bills, angelegt. Diese werfen derzeit über 5 Prozent Rendite ab.
Wenn man bedenkt, dass Buffett diese Rendite mit dem amerikanischen Staat als Schuldner de facto risikolos erhält, scheint das ein vernünftiges Investment zu sein. Ein Aktieninvestment müsste deutlich profitabler sein, um auf risikoadjustierter Basis eine gleichwertige Rendite abzuwerfen.
Die Bewertungen sind Buffett zu hoch
Wenn Buffett eine Gelegenheit sieht, dürfte er wieder grosse Akquisitionen tätigen. Die letzte Transaktion liegt bald zwei Jahre zurück, als Berkshire im März 2022 den Versicherungskonzern Alleghany für 12 Milliarden Dollar erwarb.
Doch das derzeitige Marktumfeld entspricht nicht dem Gusto von Buffett. Bekanntlich predigt er Anlegern, sich zu fürchten, wenn andere gierig sind, und gierig zu sein, wenn sich alle anderen fürchten. Momentan stehen die Zeichen an den Märkten auf Gier. Der S&P 500 überschritt in diesem Februar erstmals die Schwelle von 5000 Punkten, und ein Ende des Rallys ist vorläufig nicht in Sicht.
Es braucht einiges, bis die Bewertungen an den Finanzmärkten wieder auf einem Niveau sind, das Buffett als attraktiv erachtet. Als Value-Investor ist er davon überzeugt, dass man für ein Unternehmen nie mehr als den inneren Wert bezahlen sollte – wenn möglich deutlich weniger.
In seinem Investorenbrief schreibt Buffett, es gebe nur noch eine Handvoll Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die in der Lage seien, Berkshire wirklich voranzubringen. Alles in allem sehe er keine Gelegenheiten, um «eine atemberaubende Performance» zu erzielen. Buffett tut das, was er am besten kann: Geduld bewahren und auf die richtige Gelegenheit warten.
Der hohe Cash-Bestand dürfte dann zum Zug kommen, wenn sich an den Börsen wieder eine grössere Korrektur abzeichnet. «Wenn Sie glauben, dass die amerikanischen Anleger heute stabiler sind als in der Vergangenheit, denken Sie an den September 2008 zurück», schreibt Buffett. Solche Paniken kämen nicht oft vor – «aber sie werden vorkommen». Dann werde sich Berkshires Fähigkeit auszahlen, auf Markteinbrüche «sofort mit riesigen Summen» zu reagieren und gelegentlich «eine grosse Chance» zu packen.
Die Cash-Quote bleibt konstant
Wer daraus nun aber schliesst, dass Buffett einen baldigen Crash am Horizont sieht, liegt falsch. Wie der Bloomberg-Kolumnist Jonathan Levin schon im vergangenen Herbst festhielt, bewegt sich die Quote der liquiden Mittel bei Berkshire Hathaway relativ konstant um die 15 Prozent und verblasst im Vergleich zu den Werten in den Jahren vor den Finanzkrisen, als das Unternehmen relativ gesehen eine noch viel grössere Kriegskasse hatte. Der Fokus auf die absolute Höhe der Barmittel lasse diese «viel extremer erscheinen, als sie ist».
Hinzu kommt, dass Buffett weiterhin grosse Beteiligungen an Konzernen wie Coca-Cola und Apple hält, die die Bestände an Staatsanleihen bei Berkshire übersteigen: Wenn er wirklich einen baldigen Crash am Horizont kommen sähe, müsste er sein Portfolio risikoaverser ausrichten.
Der Architekt und sein Generalunternehmer
In seinem Investorenbrief würdigt Buffett auch seinen langjährigen Geschäftspartner Munger, der im vergangenen November im Alter von 99 Jahren verstorben ist. Nach aussen wurde Buffett stets als das grosse Genie wahrgenommen. Nach Mungers Tod will er dieses Bild korrigieren.
Dieser habe bei Berkshire stets die Rolle des Architekten innegehabt, während er der Generalunternehmer gewesen sei, der dessen Vision Tag für Tag in die Tat umgesetzt habe. «Charlie war nie bestrebt, die Lorbeeren für seine Rolle als Schöpfer zu ernten, sondern überliess es mir, die Verbeugung zu machen und die Anerkennung entgegenzunehmen.»
Buffett schreibt, Munger sei es gewesen, der ihn in den 1960er Jahren davon überzeugt habe, den Value-Ansatz von Benjamin Graham in adaptierter Weise zu verfolgen – also nicht strikt auf eine günstige Bewertung zu schauen, sondern auch die Geschäftsperspektiven eines Unternehmens im Gesamtkontext zu betrachten.
Im kommenden Mai wird Buffett erstmals ohne Munger die jährliche Generalversammlung von Berkshire bestreiten und sich den Fragen der angereisten Aktionäre stellen.