Sonntag, Januar 5

In Zürich dringen die Behörden Schritt für Schritt auf ein Feld vor, auf dem sie nichts verloren haben.

Manchmal zerbröseln Gewissheiten so schnell, dass man dabei zusehen kann. Es ist noch nicht lange her, da war es selbst für die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr noch ausgemachte Sache, dass Journalismus die Aufgabe unabhängiger Medienhäuser ist. Ein Fundament der Demokratie.

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Sie fand es zwar bedenklich, dass sich zunehmend Lücken auftun in der regionalen und lokalen Berichterstattung. Aber sie betrachtete es nicht als Aufgabe des Staates, diese Lücken zu stopfen. Gefragt sei vielmehr die «unternehmerische Phantasie» privater Unternehmen, sagte sie 2023 im Kantonsparlament.

Dann, ein Jahr später, beschliesst das Medienhaus Tamedia, seine Zürcher Regionalzeitungen zusammenzulegen sowie das Kulturmagazin «Züritipp» einzustellen. Und plötzlich klingt alles anders.

Linke Parlamentarier wollen wissen, ob die Zürcher Regierung nun verstärkt selbst über das lokale Geschehen informieren werde. Und diese verweist auf ein Pilotprojekt aus dem Hause Jacqueline Fehr: einen Online-Kulturkalender, der auch kleine redaktionelle Beiträge enthalten soll – ein staatlicher «Züritipp»-Ersatz quasi.

Das mag sich nach einem Nebenschauplatz anhören, aber es steht für eine bedenkliche Entwicklung.

Grosse Verschiebungen beginnen oft im Kleinen. Mit einer Serie von Vorbeben, an die man sich so sehr gewöhnt, dass der eigentliche Ruck schliesslich nicht mehr in ganzer Tragweite wahrgenommen wird. Und die Zeichen häufen sich gerade, dass staatliche Akteure infolge des Umbruchs in der Medienlandschaft mehr und mehr ins Gebiet des Journalismus vordringen.

In einen Bereich also, in dem sie nichts verloren haben, weil er als ihr unabhängiges Korrektiv dienen muss.

Erstes Beispiel: In den sozialen Netzwerken häufen sich Podcasts und Filme von Stadt und Kanton Zürich. Von der aufklärerisch daherkommenden Kampagne für die Steuerverwaltung, die sich ohne Ironie als «Antrieb der Gesellschaft» darstellt, bis zu praktischen Tipps für Velofahrer. Hier vermischen sich Informationen zum Verwaltungshandeln auf intransparente Weise mit politisch motivierter Propaganda und quasijournalistischen Ansätzen.

Zweites Beispiel: Das subventionierte Zürcher Theaterhaus Gessnerallee gibt aus Frust über ausbleibende Resonanz neuerdings selbst eine Zeitung heraus und lässt sich dies fast 90 000 Franken im Jahr kosten. Das Blatt betreibt Kulturjournalismus so, wie er nach eigenem Ermessen sein müsste. So entsteht eine Echokammer, die wenig Interesse an Kritik und viel Interesse an Selbstbestätigung hat.

Drittes Beispiel: Die Zürcher Gemeinde Maur finanziert wie viele andere Gemeinden aus der Not ein eigenes Lokalblatt, will aber explizit, dass dieses kritischen Journalismus betreibt. Der Wunsch verpufft, als ein sehr unausgewogener Artikel erscheint. Daran zeigt sich, dass eine unabhängige Berichterstattung unter solchen Bedingungen in Teufels Küche führt.

Wenn Journalismus draufsteht, wo Propaganda drin ist

Diese problematischen Ansätze haben einen ökonomischen Hintergrund: Private Medienhäuser können es sich kaum mehr leisten, jedes Nischenthema im Lokalen oder in der Kultur abzudecken – denn anders als früher verdienen sie ihr Geld nicht mehr primär mit Werbung, sondern mit Inhalten, die ein breites Publikum ansprechen müssen.

Manchmal springen Private in die Bresche. Der SVP-Patron Christoph Blocher etwa hat sein Portfolio an lokalen Zürcher Gratiszeitungen kürzlich ausgebaut. Und in der Stadt Zürich hat sich etwa das linke Stadtmagazin «Tsüri» etabliert, nicht zuletzt dank lukrativen Kooperationen mit städtischen Stellen. Man kann Zweifel an der Unabhängigkeit solcher Titel haben, aber staatlich alimentierte Informationsgefässe sind keine überlegene Alternative.

Im Gegenteil: Wer den Journalismus mithilfe des Staates zu retten verlangt – und dieses Argument gibt es –, droht zu zerstören, was er retten will. Denn wenn Journalismus draufsteht, wo staatliche Propaganda drin ist, leidet darunter auch die Glaubwürdigkeit von echter, unabhängiger, faktenbasierter journalistischer Arbeit. Der Staat bereitet so den Boden für Fake-News-Vorwürfe.

Verkannt wird auch, dass das Ungleichgewicht zwischen dem Staat und den Medien als vierter Gewalt, die sein Handeln kritisch reflektieren sollen, ohnehin seit Jahren zunimmt. Während unabhängige Titel haushälterischer mit ihren Mitteln umgehen müssen, haben staatliche Stellen – nicht nur im Kanton Zürich – ein immer dichteres Netz von Kommunikationsabteilungen aufgezogen.

Ein Gutteil ihrer Aufgabe besteht im Gegenteil von offener Kommunikation: Sie verhindern, dass Medienschaffende unbeschönigte Informationen aus dem Innern der Verwaltung erhalten. Sie parieren kritische Fragen und lenken sie auf die eigene Agenda um. Regelmässig werden für diese Aufgabe erfahrene Journalisten abgeworben, geködert mit guten Gehältern und familienkompatiblen Arbeitszeiten. Damit wird gleichzeitig die Gegenseite geschwächt.

Die Kommunikationsprofis im Auftrag des Staates sind auch für die erwähnte Flut von quasijournalistischen Beiträgen in den sozialen Netzwerken verantwortlich. Begründet wird diese Offensive von der Zürcher Kantonsregierung mit der gesetzlichen Informationspflicht, die sie zunehmend grosszügig auslegt. Und damit, dass man «heutigen Informationsgewohnheiten entsprechen» müsse.

Ausgeblendet wird dabei, dass ein neues Medium nicht bloss eine neutrale Technik zum Transportieren von Informationen ist, sondern das Denken auf seine ganz spezifische Weise beeinflusst – diese Medientheorie aus dem letzten Jahrhundert hat nach wie vor Gültigkeit. Die sozialen Netzwerke sind so strukturiert, dass sie Zerrbilder fördern, weil sie übertriebene Selbstinszenierungen und gezielte Provokationen mit Aufmerksamkeit belohnen.

Der Staat droht auf dieser Bühne zum überdrehten Influencer zu werden, zum Gefangenen seiner eigenen Performance. Er produziert sich mit pseudojournalistischem Gestus als Aufklärer. Mit den nüchternen Mitteln des seriösen Journalismus – Ausgewogenheit, Kritik, Faktentreue – ist dagegen im Kampf um die Aufmerksamkeit der jungen Generation schwer anzukommen.

Was das Schweizer Fernsehen mit Viktor Orban verbindet

Das Letzte, was es in diesem Kontext braucht, sind neue staatliche oder staatsnahe Medien, die den Journalismus diskreditieren. Wie wichtig die klassische Trennlinie ist, zeigt sich im Grossen wie im Kleinen.

Es zeigt sich zum Beispiel in Ungarn, wo es Viktor Orban nicht gelungen ist, die privaten Medienhäuser gleichzuschalten, wohl aber die staatlichen TV-Sender und ein Konglomerat von Lokalmedien, das über eine Stiftung mit staatlichen Werbegeldern finanziert wird.

Es zeigt sich aber auch in den Zürcher Gemeinden, die ihre amtlichen Mitteilungen jahrzehntelang gegen Bezahlung in den Lokalzeitungen abdruckten – und daraus oft ein Recht ableiteten, auch auf die redaktionelle Berichterstattung Einfluss zu nehmen.

Ein besonders lehrreicher Fall ist die Gründung des Schweizer Fernsehens Anfang der 1950er Jahre. Es war das letzte Mal, dass der Staat seine Kommunikationsstrategie an ein disruptives neues Medium anpassen musste.

Ein zentralistisches Staatsfernsehen war damals zwar ausdrücklich unerwünscht, weil «unschweizerisch». Die Programmverantwortung wurde deshalb an die formal unabhängige SRG delegiert. Gleichwohl stellte der Bund als Geldgeber inhaltliche Forderungen: Der Sender solle etwa den «Sinn fürs Bodenständige» stärken und das «Verständnis für militärische Notwendigkeiten». Und obwohl sich der erste Senderchef nie als Leiter eines Staatsfernsehens verstand, sah er sich solchen «Interessen des Landes» brav verpflichtet.

Der Hintergrund war die Erfahrung einer propagandistischen Bedrohung durch ausländische Sender, namentlich während der Nazidiktatur in Deutschland. Man muss sich fragen: Welche Bedrohung könnte heute vergleichbare paternalistische Eingriffe rechtfertigen?

Es ist offensichtlich die Sorge, dass jene Aufmerksamkeit, die aus den Lücken der alten Medienwelt entweicht, aufgesogen wird von den Algorithmen sozialer Netzwerke. Von der fünften Gewalt, wenn man so will, von Desinformation und Geschwätz. Dumm nur, dass die Gegenmassnahmen primär den unabhängigen Journalismus treffen.

Wer um die Grundlagen der Demokratie besorgt ist, braucht intelligentere Lösungen als direkte staatliche Interventionen.

Im Kulturjournalismus etwa gibt es auch bürgerliche Stimmen, die für staatlich geförderte Ersatzangebote plädieren. Damit sich subventioniertes Kulturschaffen überhaupt noch einer Kritik stellen muss. Solche Angebote dürften aber den freien Markt keinesfalls verzerren. Vorgeschlagen wird etwa eine unabhängige Institution, die ihre Berichte allen interessierten Abnehmern zur Verfügung stellt.

Aber auch hier ist Skepsis angebracht, denn die Abhängigkeit bleibt bestehen. Selbst solche Ansätze sollten höchstens dann erprobt werden, wenn sich in einer Volksabstimmung eine Mehrheit dafür aussprechen würde – in vollem Bewusstsein der Risiken und der Tragweite des Entscheids. Und sicher nicht wie gerade im Kanton Zürich über ein Pilotprojekt durch die Hintertür.

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