Mittwoch, Oktober 2

Alle Länder legen internationales Recht zu ihren Gunsten aus. Doch China geht weit darüber hinaus und setzt auf das Recht des Stärkeren. Dem müssen andere Länder entgegentreten.

Eine Fregatte verändert kein Machtgleichgewicht – auch dann nicht, wenn sie von einem 20 000 Tonnen schweren Versorgungsschiff begleitet wird. Gleichwohl wäre es falsch, die Fahrt der «Baden-Württemberg» und der «Frankfurt am Main» durch die Strasse von Taiwan als kläglichen Versuch einer Mittelmacht abzutun, sich am anderen Ende der Welt gegenüber einer Grossmacht aufzuspielen.

Denn die Fahrt der beiden Schiffe der deutschen Marine ist ein wichtiges – und richtiges – Zeichen, dass sich Deutschland für die Einhaltung des internationalen Rechts einsetzt.

Das Seerecht balanciert gegensätzliche Interessen aus

Konkret geht es um das internationale Seerecht. Dieses ist geprägt von zwei gegensätzlichen Interessen: Auf der einen Seite wollen Anrainerstaaten möglichst viel Kontrolle über Gewässer vor ihrer Küste, über die Schifffahrt und Ressourcen wie Fische, Öl oder Gas. Auf der anderen Seite wollen Schifffahrtsnationen, dass zivile wie militärische Schiffe, die unter ihrer Flagge fahren, auf See möglichst viele Freiheiten haben.

Das Regelwerk des internationalen Seerechts balanciert diese beiden Interessen sorgfältig gegeneinander aus. Als Faustregel gilt: Je näher an der Küste, desto grösser die Rechte des Anrainerstaates; je weiter draussen im Meer, desto grösser die Freiheiten für Schiffe aller Länder.

Die meisten Länder dieser Welt sind sowohl Anrainerstaaten als auch Flaggenstaaten (Binnenländer ohne Meeranstoss wie die Schweiz sind eine Ausnahme). Und da Länder ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, legen sie internationales Recht zu ihren Gunsten aus.

Peking kennt nur ein Recht – das des Stärkeren

Peking geht weit darüber hinaus: Es erklärt riesige Seegebiete zu «Gewässern unter chinesischer Rechtsprechung». Was das heissen soll, bleibt unklar – der Begriff ist nicht definiert. Klar ist aber, dass sich Peking das Recht (des Stärkeren) herausnimmt, alle anderen Länder aus diesen Gewässern fernzuhalten.

Peking tut dies im Südchinesischen Meer, das es fast vollumfänglich für sich beansprucht. Die Rechte anderer Anrainerstaaten missachtet es rücksichtslos. Dass ein internationales Schiedsgericht in Den Haag ihre Ansprüche 2016 für unhaltbar erklärt hat, ist den Machthabern in Peking egal.

Sie beanspruchen auch die Taiwanstrasse für sich – frei von jeglicher Grundlage im internationalen Recht. Denn selbst wenn die Volksrepublik Taiwan kontrollieren würde, wäre ein breiter Streifen zwischen dem Festland und der Insel für Schiffe aller Nationen uneingeschränkt befahrbar.

Das Recht auf freie Schifffahrt ist unteilbar

China und seine Claqueure argumentieren, dass die Marinen weit entfernter Länder wie der USA oder Europas vor der chinesischen Küste nichts zu suchen hätten. Gleichzeitig fahren Kriegsschiffe der Volksrepublik aber durch die Strasse von Gibraltar ins Mittelmeer, durch den Ärmelkanal oder durch die dänischen und schwedischen Meerengen in die Ostsee. All diese Wasserstrassen sind weit weg von Chinas Küste – und alle deutlich enger als die Strasse von Taiwan.

Das Recht auf freie Seefahrt ist unteilbar. Wenn es einzelne Länder schaffen, es in ihrer Nachbarschaft einzuschränken, zerfällt es. Die Weltmeere werden zerstückelt in Einflusszonen.

Chinas Versuch, Gewässer willkürlich seiner «Rechtsprechung» zu unterstellen, muss Einhalt geboten werden. Das geht nur, wenn Länder, denen das internationale Recht wichtig ist, Peking entschieden entgegentreten. Deklarationen und Grundsatzpapiere reichen dazu nicht – es braucht eine physische Präsenz in den entsprechenden Gewässern. Fahrten mit Kriegsschiffen sind daher unentbehrlich.

Man könnte bemängeln, dass Deutschland 22 Jahre gebraucht hat, um wieder zwei Kriegsschiffe durch die Strasse von Taiwan zu schicken. Doch besser spät als nie. Bleibt zu hoffen, dass sich andere Länder dadurch ermutigt sehen, das Gleiche zu tun. Europäische Nationen ebenso wie asiatische oder weitere Pazifikanrainer.

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