Ihre Verbindungen nach Hollywood bescheren Kamala Harris im Wahlkampf Millionenspenden. An ihrem Wohnsitz in Los Angeles treibt die Nachbarn jedoch eine andere Frage um: Was bedeutet es für ihren Alltag, wenn Harris tatsächlich Präsidentin wird?
Dass die Vizepräsidentin in ein paar Tagen nach Hause kommt, ist nicht zu übersehen. Parkverbotszettel hängen entlang der gesamten North Kenter Avenue, einer beschaulichen Wohnstrasse im Stadtviertel Brentwood in Los Angeles. «No stopping anytime», steht darauf.
Vor dem Strassenblock mit Harris’ Wohnhaus würden bald Betonbarrieren errichtet, erklärt eine ältere Dame mit Baseballmütze – Standardprozedere, wenn die Vizepräsidentin daheim ist. Nur noch die direkten Anwohner dürften dann den Strassenblock passieren, und auch sie müssten erst durch einen Sicherheitscheck mit Spürhunden.
Umständlich wird es nicht nur, wenn die Vizepräsidentin da ist, sondern auch, wenn sie kommt oder geht: Eine Wagenkolonne aus Motorrädern und Geländewagen sperrt dann die Seitenstrassen ab. 45 Minuten davor dürfe niemand mehr auf die Strasse, berichtet ein Nachbar. Kamala Harris auf Heimatbesuch, für die Anwohner heisst das: Ausnahmezustand.
Vorstadtatmosphäre, die Hollywood-Stars schätzen
Brentwood bietet ein Stück Vorstadtatmosphäre inmitten der Metropole Los Angeles. Hübsche Einfamilienhäuser reihen sich aneinander, Bäume und Palmen spenden Schatten, die Einkaufsmeile Rodeo Drive und die Hügel von Hollywood sind nicht weit entfernt.
Die North Kenter Avenue zählt zu den bescheideneren Ecken des Quartiers, relativ gesprochen. Auch hier kosten Häuser mehrere Millionen Dollar, doch sie sind nicht ganz so protzig wie die Villen auf den Hügeln des Quartiers, eine der besten Lagen der Stadt. Die Hollywoodschauspielerin Reese Witherspoon lebte bis vor kurzem dort, der Basketballstar LeBron James tut es noch immer, fünf Autominuten von Harris’ Haus entfernt.
Schon seit langem ist Brentwood bei Amerikas Stars beliebt. Hier wurde auch schon Geschichte geschrieben: Marilyn Monroe starb in ihrem Wohnhaus in Brentwood, und O. J. Simpson lieferte sich einst eine Verfolgungsjagd mit der Polizei durch das Viertel.
Harris’ Nachbarin zur Linken kommt gerade vom Spaziergang mit dem Hund nach Hause. Wie ist es, neben der Vizepräsidentin zu wohnen? Die Frau in Sportbustier und weisser Sonnenmütze überlegt kurz. «Interessant», sagt sie dann, vor allem die Sicherheitskontrollen. Sie kenne Harris persönlich nicht, auch mit ihrem Ehemann Doug Emhoff habe sie nie ein Wort gewechselt.
Wo genau Harris wohnt, erkennt man bei genauerem Hinsehen schnell. In der Einfahrt eines Hauses steht ein schwarzer Geländewagen mit Regierungskennzeichen, ein Sicherheitsmann nickt Passanten zu. Harris’ Wohnhaus sticht auch deswegen heraus, weil man partout nicht auf das Grundstück schauen kann. Meterhohe Hecken versperren den Blick, um den gusseisernen Zaun in der Einfahrt ist dunkler Stoff gewickelt. Videokameras thronen auf der Garage und halten fest, was auf der Strasse geschieht.
Eine kurze Suche im Internet verschafft mehr Einblicke: Baujahr 1948, vier Schlafzimmer, fünf Badezimmer, Marktwert: fünf Millionen Dollar, schätzt die Immobilienplattform Zillow. Google Maps zeigt einen Pool im Garten, allerdings keinen Tennisplatz wie bei einigen Nachbarn.
28 Millionen Dollar Spenden an einem Abend
Harris’ Wurzeln in der San Francisco Bay Area sind bestens bekannt – sie selbst redet oft und viel über ihre Kindheit in Berkeley und ihren politischen Aufstieg in San Francisco. Weniger bekannt hingegen sind ihre Verbindungen nach Los Angeles, wo die 60-Jährige seit ihrer Hochzeit 2014 mit dem Anwalt der Unterhaltungsindustrie Doug Emhoff lebt.
Harris hat inzwischen beste Kontakte zum Entertainment-Mekka. Sie ist eng befreundet mit Hollywoodschauspielern, Filmemachern und Topmanagern des Disney-Konzerns. Diese Verbindungen nutzt Harris nun gezielt: Bei dem besagten Heimatbesuch Ende September veranstaltete ihr Wahlkampfkomitee einen Fundraising-Anlass. Sänger wie Stevie Wonder und Demi Lovato und Schauspieler wie Jessica Alba traten auf. Tickets kosteten zwischen 500 und 250 000 Dollar. «Oh, es fühlt sich gut an, zu Hause zu sein», sagte Harris, als sie auf die Bühne trat. An dem Nachmittag nahm sie 28 Millionen Dollar an Spenden ein.
Los Angeles ist für die Vizepräsidentin nicht nur ideal zum Spendensammeln, sondern auch ein Rückzugsort. Donald Trump flog als Präsident regelmässig in sein privates Golfresort in Palm Beach, Joe Biden zieht sich gern in sein Familienhaus in Wilmington, Delaware, zurück. Barack Obama macht am liebsten Ferien auf Martha’s Vineyard in Massachusetts, George W. Bush auf der Familienranch in Texas.
Gemäss einer Auszählung des «Wall Street Journal» hat Harris in ihrer bisherigen Zeit als Vizepräsidentin mehr Zeit in Los Angeles verbracht als in jeder anderen Stadt ausserhalb Washingtons; allein 2023 waren es mindestens 59 Tage. Genug Zeit, dass das Weisse Haus in der Nähe ihres Wohnortes ein eigenes Haus angemietet und ein sicheres Kommunikationsnetz eingerichtet hat.
Wenn Harris und ihr Mann zu Hause sind, besuchen sie auch gerne den Brentwood Country Mart, ein Einkaufsareal aus rot gestrichenen Holzhäuschen, zehn Autominuten von Harris’ Wohnhaus entfernt. Auf dem Parkplatz reihen sich Geländewagen von Audi, Porsche und Mercedes aneinander, drinnen gibt es ein Delikatessengeschäft, einen Buchladen, einen Stand mit frittiertem Hühnchen.
Im Schreibwarenladen erzählt der Besitzer, dass «Doug» gerade vor ein paar Wochen zu Besuch gewesen sei. Der Second Gentleman gilt auch als Stammkunde des Barber Shop. Im lokalen Goop-Laden – einer Luxuskette der Schauspielerin Gwyneth Paltrow – berichtet die Verkäuferin, dass sie Harris schon bedient habe, als diese ein Geschenk für ihre Assistentin gesucht habe.
Harris kennt die Nachteile für ihre Nachbarn
Wie die Präsidentenwahl am 5. November ausgeht, beschäftigt Harris Nachbarn auch aus persönlichen Gründen. Womöglich würde im Fall eines Sieges der Sicherheitskreis um ihren Wohnsitz erweitert werden, spekuliert ein Nachbar, der in der Parallelstrasse wohnt. Sicherheitskontrollen, Spürhunde, Ausweispflicht, «das wäre ein Albtraum». Als Anwohner hoffe er, dass sie verlieren werde, sagt er lachend. Und fügt hinzu: «Aber ich ertrage lieber solche Unannehmlichkeiten als einen Präsidenten Trump.»
Harris scheint zu wissen, dass ihr Amt für die Nachbarn Unannehmlichkeiten mit sich zieht. Der Schauspieler Jon Tenney, der ebenfalls an der North Kenter Avenue wohnt, lernte die prominente Anwohnerin jüngst bei einem Anlass kennen, wie er der «Los Angeles Times» erzählte. Als er Harris sagte, dass sie Nachbarn seien, habe sie als Erstes geantwortet: «Oh, das tut mir so leid.»