Donnerstag, Dezember 26

Liquiditätshilfe sollte Banken in der Krise retten. Doch im Fall der Credit Suisse war die Furcht vor dem Stigma solcher Hilfe zu gross. Die PUK verlangt nun Gegenmassnahmen vom Bundesrat – doch was tun?

Der Aufstieg verläuft bei jedem Finanzinstitut etwas anders, der Niedergang hingegen folgt immer dem gleichen Muster: Irgendwann geht der Bank das Geld aus. Der Abfluss von Kapital erreicht ein Ausmass und eine Geschwindigkeit, dass die vorhandenen Finanzmittel nicht mehr ausreichen, um alle Forderungen zu bedienen.

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Freiwilliger Verzicht der CS

Dieses Muster zeigte sich auch beim Niedergang der Credit Suisse, wie der am vergangenen Freitag publizierte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) minuziös nachzeichnet. Spätestens ab Oktober 2022 war das Vertrauen in die CS derart erschüttert, dass die Liquidität dramatisch abzufliessen begann und es an flüssigen Mitteln mangelte.

Da diese Dramaturgie von Bankenkrisen seit den Anfangszeiten des Finanzwesens bekannt ist, wappnen sich Behörden dagegen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Zentralbanken zu. Als «Kreditgeber der letzten Instanz» stellen sie den Banken Liquidität zur Verfügung, wenn diese in eine Krise geraten, flüssige Mittel brauchen und diese am Markt nicht mehr erhalten.

Bei der CS hat diese Liquiditätshilfe nur ungenügend funktioniert. Dies aus zwei Gründen: Erstens hat es die CS versäumt, genügend Sicherheiten vorzubereiten, die sie bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) für solche Unterstützung hätte hinterlegen müssen. Zweitens verzichtete die CS aus freien Stücken auf Liquiditätshilfe.

Der PUK-Bericht hält fest, dass die Credit Suisse zwischen Oktober und Dezember 2022 dreimal davon absah, ausserordentliche Liquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance, ELA) der SNB zu beziehen. Dies, obwohl die CS darauf Anspruch gehabt und sie aufgrund der hohen Kapitalabflüsse auch dringend gebraucht hätte.

Northern Rock als Mahnmal

Dass eine Bank in akuter Not auf Hilfe verzichtet, mag paradox klingen. Doch die CS hatte gute Gründe. Sie fürchtete sich vor der «stigmatisierenden Wirkung» solcher Nothilfe, wie im PUK-Bericht nachzulesen ist. Denn die Credit Suisse hätte den Bezug von ELA öffentlich und für jedermann ersichtlich deklarieren müssen.

Gut möglich, dass der Markt eine Liquiditätshilfe als Zeichen der Stabilisierung interpretiert hätte. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist aber, dass sie als Signal der Schwäche gesehen worden wäre. Allenfalls wären die Kunden noch nervöser geworden, wenn sie erfahren hätten, dass ihr Geld bei einer Bank liegt, die Hilfe der SNB beansprucht.

Die Inanspruchnahme ausserordentlicher Liquiditätshilfe ist mit einem Stigma verbunden: Wenn die Öffentlichkeit erfährt, dass eine Bank solche Hilfe in Anspruch nimmt, kann dies den Kapitalabfluss und damit die Krisensituation verstärken. Was eigentlich als Hilfe gedacht ist, wird zum Brandbeschleuniger.

Das ist keine Vermutung, sondern mehrfach belegt. Ein Beispiel ist Northern Rock. Die britische Bank beantragte im September 2007 Liquiditätshilfe bei der Bank of England. Als dies publik wurde, stürmten die Kunden sogleich die Bank. Aufgrund der Nothilfe der Zentralbank versiegte die Liquidität erst recht, die Bank musste verstaatlicht werden.

PUK fordert Massnahmen

Die Folge: Banken verzichten oft auf Hilfe oder zögern sie so lange hinaus, bis es zu spät ist. Das war auch bei der CS der Fall. So bezog die Bank erst am 16. März 2023 erstmals ELA. Zu einem Zeitpunkt, als der Niedergang längst besiegelt war und es nur noch darum ging, die Bank ins Wochenende zu retten, um dann die UBS-Übernahme aufzugleisen.

Für die PUK steht fest, dass das Instrument der ausserordentlichen Liquiditätshilfe «in seiner aktuellen Ausgestaltung seinen Zweck nicht in jedem Fall erfüllen kann». Sie fordert deshalb den Bundesrat in einer Motion dazu auf, er solle «Massnahmen ergreifen, um die mit der Inanspruchnahme der ELA assoziierte Stigmatisierung zu verringern».

Die Nationalbank ist sich der potenziell toxischen Wirkung ihrer Hilfe natürlich bewusst. Der PUK-Bericht zeigt, dass sie zwischen Oktober und Dezember 2022 zusammen mit der CS nach Möglichkeiten suchte, um Liquidität zu gewähren, ohne hierfür die heiklen Begriffe «ELA» oder «ausserordentliche Liquiditätshilfe» verwenden zu müssen.

Das Vorhaben scheiterte. Gemäss PUK deshalb, weil die «formelle Bezeichnung des Liquiditätsbezugs bei der SNB keinen Einfluss auf die Offenlegungspflichten der CS in der Schweiz und den USA gehabt hätte». Will heissen: Auch wenn man der Medizin einen harmloseren Namen gegeben hätte, hätte ihre Verabreichung dennoch kommuniziert werden müssen.

Politik der Verheimlichung

Beim Bundesrat stösst die Forderung, Massnahmen gegen die Stigmatisierung von ELA zu ergreifen, auf offene Ohren. Er hat die entsprechende PUK-Motion bereits zur Annahme empfohlen. Denn in seinem eigenen Bericht zur Finanzstabilität hatte der Bundesrat im April 2024 ebenfalls Massnahmen zur Entschärfung dieses Problems angeregt.

Wie könnten solche Massnahmen aussehen? Als Möglichkeit nennt der Bundesrat eine Anpassung der Offenlegungsvorschriften. In einem Gutachten schlägt der frühere britische Notenbanker Paul Tucker beispielsweise vor, dass der Bezug von ELA erst dann veröffentlicht wird, wenn dies für die Bank keine negativen Konsequenzen mehr hat.

Der Vorteil einer solchen Einschränkung der Offenlegung: Die in Not geratene Bank würde ein Zeitfenster erhalten, um die Ursachen der Geldabflüsse anzugehen, ohne dass alle davon erfahren würden. Der Nachteil: Durch die Verheimlichung würde die Markttransparenz eingeschränkt; dem Vertrauen ins Bankensystem wäre dies wenig förderlich.

Damit der Bezug von ELA nicht sofort publik würde, müssten zudem Gesetze angepasst werden, auch im Ausland. Heute können Banken aufgrund der Ad-hoc-Publizität zur Offenlegung von ELA verpflichtet werden, da dies kursrelevant ist. Auch die SNB hat eine Rechenschaftspflicht. Wenn ihre Berichterstattung plötzlich lückenhaft wäre, würden sich diverse Fragen stellen, auch mit Blick auf die Berechnung des Gewinns und möglicher Gewinnausschüttungen.

Ordentlich statt ausserordentlich

Eine Alternative zu solcher Geheimnistuerei wäre, Liquiditätshilfe zu etwas Alltäglichem zu machen. Die Expertengruppe Bankenstabilität des Bundesrates empfiehlt, diese Hilfen zu verschmelzen mit dem normalen geldpolitischen Instrumentarium, «so dass nicht zu eruieren ist, wie viel Liquidität mit welchem Instrument zu welchem Zweck wohin fliesst».

Die Idee dahinter: Wenn Banken kontinuierlich und über ordentliche Kanäle frische Liquidität beziehen, verlieren solche Geldbezüge viel von ihrem vermeintlichen Schrecken. Die Bank of England und die amerikanische Notenbank Fed haben daher sogenannte Discount-Windows eingerichtet, als Teil ihres ordentlichen Instrumentariums.

Doch wenn sehr grosse Liquiditätshilfen nötig würden, wie das bei der CS der Fall gewesen wäre, liessen sich solche Summen kaum als Alltäglichkeit kaschieren. Am Markt würde rasch klar, dass eine Bank ernsthafte Probleme hat. Dass die Bank die Hilfe nicht über einen «ausserordentlichen» Kanal bezieht, würde kaum ausreichen, um die Gemüter zu beruhigen.

Die internationalen Erfahrungen mit Discount-Windows sind denn auch ernüchternd. Die Fenster werden kaum genutzt, da sie – ähnlich wie ELA – als ausserordentliche Krisenmassnahmen wahrgenommen werden und daher ebenfalls mit einem Stigma behaftet sind. Ein neuer Name reicht nicht aus, um etwas Beängstigendes freundlich erscheinen zu lassen.

Ein unlösbares Dilemma

Das mit ELA verbundene Stigma lässt sich kaum aus der Welt schaffen. Das hat auch seine gute Seite, wie eine neue Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt. Denn wenn Banken jederzeit diskret, günstig und risikolos auf flüssige Mittel der Notenbank zurückgreifen könnten, wäre dies ein Anreiz zu risikoreichem Geschäftsgebaren und würde die Finanzstabilität gefährden.

Das Problem dabei: Die Abschreckung darf nicht zu stark sein. Sie darf nicht dazu führen, dass sich Banken selbst in Notlagen nicht trauen, die Liquiditätshilfe der Zentralbank in Anspruch zu nehmen. Ein Kreditgeber der letzten Instanz, dessen Kredite als Bedrohung wahrgenommen werden, ist wenig hilfreich. Eine Lösung für dieses Dilemma, das sich beim Niedergang der CS deutlich offenbarte, dürfte auch der Bundesrat nicht finden.

Exit mobile version