Sonntag, Januar 12

Auf dem Parteitag in Sachsen reitet die Alternative für Deutschland auf einer Welle des Erfolgs. Die Führungsspitze hat einen neuen Gegner ausgemacht.

Deutschlandfahnen wehen, das Brandenburger Tor erstrahlt, eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter, Kind, posiert glücklich im Garten: Auf den riesigen Bildschirmen in der abgedunkelten Halle in Riesa läuft ein wuchtiger Wahlkampftrailer im amerikanischen Stil. Aus den Boxen dröhnt noch die treibende Musik, als Alice Weidel die Bühne betritt. In ihrem gewohnten Outfit – Kostüm mit Einstecktuch – und mit einem festen Lächeln schaut sie vom Rednerpult auf die jubelnde Menge.

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Für ihre Rede wird sie dieses Lächeln ablegen. Gerade ist die Partei- und Fraktionsvorsitzende zur Kanzlerkandidatin gewählt worden. Die etwa 600 Delegierten stimmten per Handzeichen ab. Sitzen geblieben ist dementsprechend niemand, die Wahl war einstimmig. Gegenkandidaten gab es keine, die Abstimmung galt als Formalität.

Für Weidel, die 2013 in die Alternative für Deutschland eingetreten ist, ist es der bisherige Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Auch wenn sie keine realistische Chance auf das Kanzleramt hat, symbolisiert ihre Kandidatur den Machtanspruch der AfD.

Die frisch gekürte Kanzlerkandidatin profitiert von stabilen Umfragewerten, die AfD liegt momentan noch acht Prozentpunkte hinter der CDU/CSU. Auch die Wahlwerbung vom amerikanischen Tech-Unternehmer Elon Musk, der den Parteitag auf seinem X-Account live überträgt, scheint Teile der Partei zu beflügeln.

Ein Delegierter meint, Musks offene Unterstützung werde im Wahlkampf «zwei bis drei Prozentpunkte» bringen. Dass Weidel im Gespräch mit Musk, das im Vorfeld des Parteitags stattfand, Hitler als Kommunisten bezeichnete, sorgt allerdings selbst in der Partei für Kopfschütteln. Wirklich gelungen findet den Auftritt niemand, den man an diesem Wochenende fragt.

Weidel schimpft über «linken Mob»

Die Reise nach Riesa gestaltete sich schwierig für die Funktionäre, Delegierten und Mitglieder der AfD. Rund 10 000 linke Aktivisten blockierten die Zufahrtswege zur Sporthalle, dem Veranstaltungsort.

Weidel selbst wird durch eine Sitzblockade der Antifa aufgehalten. Die Störer skandieren: «Wir sind friedlich, was seid ihr?». Trotz dieser Behauptung greifen einzelne Blockierer Weidels Wagen an. Nur durch das Eingreifen der Polizei und ihrer Personenschützer gelingt die Weiterfahrt. Der Parteitag startet wegen der Blockaden etwa zwei Stunden später als geplant.

In ihrer Rede teilen die beiden Parteivorsitzenden, Tino Chrupalla und Alice Weidel, gegen die Demonstranten aus. Weidel spricht vom «linken Mob», Chrupalla nennt sie «Terroristen» und «Antidemokraten». Doch während Weidel sich in ihrer Rede als Kanzlerkandidatin hart und kompromisslos gibt, schlägt Chrupalla auch vergleichsweise moderate Töne an. Er verspricht: «Wir sind professionell, wir ziehen an einem Strang», und «Gemeinsam reissen wir die Brandmauer runter».

Weidel dagegen setzt auf rhetorische Schärfe. Über den Anschlag auf einen Magdeburger Weihnachtsmarkt sagt sie: Der «eingewanderte Mann» habe «Terror über unser Land gebracht und Menschen umgebracht». «Das ist Fakt! Das ist die Wahrheit.» Der Saal johlt.

Zugeständnis für Remigration-Anhänger

Zum Plan der AfD gehöre es, die Grenzen «dichtzumachen» und aus dem europäischen Asylsystem auszutreten. Ähnlich wie einst Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht Weidel «Rückführungen im grossen Stil» und schliesst mit dem Satz: «Wenn es dann Remigration heisst, dann heisst es eben Remigration.»

Ein klares Zugeständnis an die Remigration-Anhänger an der Parteibasis und im politischen Vorfeld der AfD. Seit der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zum Potsdamer Treffen, in dem der neurechte Aktivist Martin Sellner über Remigration – also die Rückführung von Migranten in ihre Heimatländer – sprach, ist der Begriff selbst innerhalb der AfD aufgeladen. Weidel hatte das Wort zuletzt bewusst gemieden, während Chrupalla sich sogar von der Remigrations-Resolution des bayerischen Landesverbandes distanziert hatte.

In einem bemerkenswerten Moment grüsst Weidel den Thüringen Landeschef Björn Höcke betont kameradschaftlich. «Der echte Wahlsieger ist Björn Höcke», sagt sie zu Beginn ihrer Rede in Bezug auf die Thüringer Landtagswahlen im vergangenen September. «Hier vorne sitzt er.» Später schliesst sie sich Höckes Forderung an, Windkraftanlagen abzuschaffen. «Wenn wir am Ruder sind, reissen alle Windräder nieder», ruft Weidel. «Nieder mit diesen Windmühlen der Schande.»

Hauptgegner ist nun die CDU

Der ein oder andere im Saal dürfte sich dabei an Höckes Formulierung vom «Denkmal der Schande» erinnert haben. So bezeichnete er in seiner Dresdner Rede im Jahr 2017 das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Die Rede führte zu einem Eklat und dem erfolglosen Versuch Höcke aus der Partei auszuschliessen – Weidel war daran beteiligt. Diese Zeiten sind längst vorüber.

Weidel nutzt – ähnlich wie Chrupalla – ihre Rede stattdessen, um gegen die Christlichdemokraten auszuteilen. Das Führungsduo hat die CDU und CSU ganz offenbar zu ihrem Hauptgegner auserkoren. So wirft sie Friedrich Merz und Markus Söder vor, den Wählern «das Blaue vom Himmel» zu versprechen – allerdings, so Weidel, ohne dabei mehr zu tun, als das «wunderbar blaue» Programm der AfD zu kopieren. Die CDU sei eine «Betrügerpartei», sagt die Kanzlerkandidatin.

Auch als es um den Bildungsstandort Deutschland geht, bleibt Weidel betont hart, wiegelt das Publikum auf: «Wir schliessen alle Gender Studies – und schmeissen alle diese Professoren raus», ruft sie.

Was wird aus der «Jungen Alternative»?

Der weitere Samstagabend wird von einer schier endlosen Flut an Wortbeiträge geprägt. Über fast hundert Anträge für das Wahlprogramm soll abgestimmt werden. Es ist kurz vor Mitternacht als die letzten Anträge auf den folgenden Tag verlegt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist auch immer noch entschieden, ob der Jugendverband der AfD, die «Junge Alternative» (JA), umstrukturiert werden soll.

Der Bundesvorstand strebt an, dass Mitglieder der JA künftig auch Mitglieder der Partei sein müssen. Die Jugendverbände gelten als besonders radikal. Sie werden in mehreren Bundesländern, unter anderem in Brandenburg, vom jeweiligen Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistische Bewegung» eingestuft. Es liegt nahe, dass die Partei mit dieser Massnahme einer weiteren Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz entgegenwirken möchte.

Ob dies als Zeichen der Normalisierung der Partei gewertet werden kann, ist zweifelhaft. Obwohl es auch sachlichere Töne gibt, ist die Partei von Anschlussfähigkeit an CDU und CSU, oder gar SPD oder FDP, an diesem Abend weit entfernt. Auf die Frage, ob sie im Sommer als Kanzlerin zurückkehren würde, antwortete Weidel kürzlich bei einem Wahlkampfbesuch am Bodensee: «Ein Schritt nach dem anderen. . . Dieses Jahr wird das noch nichts.»

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