Dienstag, April 29

Die Klimaforscherin Sasha Luccioni erklärt, wie wir als Konsumenten künstliche Intelligenz nachhaltiger nutzen können – und
warum die Umweltziele der Tech-Firmen bedeutungslos sind.

Mit künstlicher Intelligenz sind Dinge schnell gemacht: Ein Familienfoto in eine Comicszene verwandeln? Hundert Seiten PDF zusammenfassen, übersetzen oder einen fröhlichen Podcast daraus machen? Dafür reicht ein Klick der Nutzer. Unsere Laptops und Handys laufen davon nicht heiss, ihre Batterieladung bleibt unverändert.

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Die Arbeit findet anderswo statt: in endlosen Regalreihen voller Prozessoren, die für jede Anfrage die passende Antwort errechnen. Sie zu betreiben, benötigt Strom und Kühlwasser. Wie viel genau, ist schwer herauszufinden. Wenige haben sich so vertieft damit beschäftigt wie die Computerwissenschafterin Sasha Luccioni.

Luccioni leitet die Klimaforschung der KI-Firma Hugging Face und ist Mitautorin des kürzlich erschienenen Berichts zu KI und Energie der International Energy Agency. Vorher arbeitete sie für die Uno und mit dem Turing-Preis-Gewinner Yoshua Bengio.

Im Moment kreieren viele Menschen mit Chat-GPT Bilder von sich als Actionfigur oder im Stil des japanischen Comicstudios Ghibli. Wie viel Strom ist nötig, um mit künstlicher Intelligenz (KI) so eine Spielerei zu generieren?

Dazu haben wir keine Zahlen.

Und was schätzen Sie, wie hoch der Stromverbrauch ist?

Wir haben für eine Studie mit 88 KI-Modellen eine Bandbreite errechnet. Sie zeigt, dass die Generierung von tausend Bildern durchschnittlich 2,9 Kilowattstunden Strom verbraucht. Das ist 60-mal so viel, wie die Generierung von Text benötigt.

2900 Kilowattstunden sind etwa so viel, wie ein starker Föhn verbraucht, wenn er eine Stunde lang an ist. Das wäre für 1000 Bilder ja ganz in Ordnung . . .

Klar, jede einzelne Anfrage klingt nicht nach viel, wie so oft bei Nachhaltigkeitsfragen: jede Plastiktüte, jeder Flug, jede kleine Entscheidung, die wir täglich treffen. Bei KI-Trends muss man dazusagen, dass Millionen Menschen diese Bilder generieren – 700 Millionen Bilder waren es in einer Woche bei diesem jüngsten Trend von Chat-GPT. Das summiert sich. Ausserdem brauchen die neuen Modelle von Open AI und den anderen Firmen wahrscheinlich mehr Strom als die von uns getesteten.

Warum kann man den Stromverbrauch nicht genauer bestimmen?

Wenn ich eine Zahl nenne, heisst es von den Firmen immer: Das ist nicht repräsentativ für unsere Anwendung. Und ja, der Energieverbrauch hängt davon ab, wie gross ein Modell ist, welche Hardware Firmen nutzen, wie sie die Anfragen verarbeiten. Google sagte mir, sie wüssten auch intern nicht, wie viel Energie eine KI-Suchanfrage verbrauche, weil jede Anfrage einen anderen Weg durch ein komplexes Computernetzwerk nehme.

Denken Sie nicht, Google könnte den Verbrauch einer Anfrage herausfinden, wenn es wollte?

Absolut. Das liesse sich wissenschaftlich fundiert messen und vergleichen. Aber die Tech-Unternehmen haben keinen Anreiz, dem nachzugehen. Wer eine Zahl veröffentlicht, riskiert nur, schlechter dazustehen als die Konkurrenz. Deshalb bleibt die ganze Branche intransparent.

KI-Anbieter haben einen Anreiz, den Energieverbrauch zu verringern, schliesslich zahlen sie die Stromrechnung. Beobachten Sie eine Entwicklung zu effizienterer KI?

Ja, die Firmen forschen an Methoden, um die Daten effizienter zu verarbeiten. Auch die Hardware wird besser: Nvidia bringt jedes Jahr Prozessoren heraus, die bei gleichbleibendem Stromverbrauch mehr leisten. Doch zugleich gibt es diesen Wettlauf, KI in möglichst alle Dinge einzubauen. In Gmail, in Microsoft-Produkten, auf Whatsapp, auf Amazon, überall begegnet einem generative KI. Als Kunde haben Sie oft nicht einmal die Option, das auszuschalten. Wenn die Firmen es mit den Umweltzielen ernst meinten, würden sie aufhören, uns überall KI aufzudrängen.

Auf Whatsapp, Google und Amazon antwortet einem die KI gratis, die Firmen nehmen die Kosten auf sich. Lohnt sich das überhaupt?

All diese Firmen verlieren Geld. Das Prinzip ist: «Fake it till you make it». Im Moment verursacht es nur Kosten, KI anzubieten. Aber wenn Menschen in Zukunft immer generative KI nutzen, statt einer normalen Suchmaschine oder eines Kochbuchs, dann können die Firmen beginnen, dafür Geld zu verlangen.

Was können Konsumenten tun, die KI nachhaltiger nutzen wollen?

Als Nutzer sollte man sich fragen, was man erreichen will, und dann die Alternativen ausloten. Wenn Sie wissen wollen, welche die Hauptstadt von Deutschland oder Kanada ist, brauchen Sie nicht Chat-GPT zu fragen. Das verbraucht viel mehr Energie als eine normale Websuche. Ich nutze dafür beispielsweise die deutsche Suchmaschine Ecosia, die ganz auf KI verzichtet. Oder: Wenn Sie kochen wollen, können Sie Chat-GPT nach Rezepten fragen, auf eine Koch-Website gehen oder ein Kochbuch aufschlagen. Manche Leute rechnen mit Chat-GPT statt mit dem Taschenrechner! Das ist ineffizient. Allerdings habe ich noch keine vergleichbar gute Alternative zur Navigation mit Google Maps gefunden.

Diese Verbreitung von KI treibt den Strombedarf in die Höhe. Was halten Sie von den Vorschlägen, ihn mit Kohle und Gas zu decken?

Derzeit liegt der Fokus vieler Länder darauf, mehr Energie zu produzieren, und weniger darauf, wie diese Energie erzeugt wird. Ich denke nicht, dass das richtig ist. Man setzt an der falschen Stelle an.

Wie meinen Sie das?

Es gilt als selbstverständlich, dass mehr Energie gebraucht wird. Niemand fragt sich, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann, um die Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu stellen. Wir müssen uns fragen, ob wir Wachstum und Innovation um jeden Preis priorisieren wollen oder ob uns Effizienz und Sparsamkeit wichtiger sind. Derzeit ist das grosse Ziel, Innovation zu fördern – egal welche Innovation.

Hat das mit der Sorge zu tun, im Tech-Wettlauf von China überholt zu werden?

Diese ganze Idee von einem Wettlauf mit China halte ich für verfehlt. Die Chinesen machen interessante Forschung und Innovation. Aber sie haben weniger Ressourcen, weniger Zugang zu KI-Chips oder zu Risikokapital. Sie agieren in einem anderen Umfeld. Ich finde es unlogisch, daraus zu schliessen, dass wir noch mehr Geld investieren müssen, um mit China zu konkurrieren.

«Generative KI hat noch nicht gezeigt, dass sie nützlich sein kann, um die Klimakrise zu lösen.»

Was sagen Sie zu dem Argument, dass die Umweltkosten von KI akzeptabel sind, weil modernste KI uns helfen wird, das Klimaproblem zu lösen?

Hier werden zwei verschiedene Dinge durcheinandergebracht. Wir haben einerseits KI, die von Konsumenten zum Plaudern oder zum Generieren von Katzenbildern verwendet wird. Und dann gibt es KI, die man einsetzen kann, um Stromsysteme zu optimieren, Methanlecks zu entdecken oder die Biodiversität zu überwachen. Doch nicht diese letzteren KI-Technologien treiben den Energieverbrauch in die Höhe. Immerhin verwenden die meisten KI-Systeme für Klimaanwendungen keine generative KI, sondern viel sparsamere Methoden. Generative KI hat noch nicht gezeigt, dass sie nützlich sein kann, um die Klimakrise zu lösen.

Google, Microsoft und Co. setzten sich vor einigen Jahren Netto-Null-Klimaziele. Jetzt verabschieden sie sich davon. Waren die Ziele jemals realistisch?

Diese Ziele waren von Anfang an bedeutungslos. Die Firmen wollten die Emissionen durch kreative Buchhaltung verstecken. Statt ihre Emissionen zu senken, kauften die Firmen Erneuerbare-Energie-Zertifikate, um ihre Emissionen zu kompensieren. Es ist ironisch, dass die Tech-Firmen nun feststellen, dass sie nicht einmal ihre eigenen Ziele erreichen können – und symptomatisch für den Mangel an Verantwortlichkeit in der Tech-Welt.

Könnten die Firmen dann nicht einfach mehr solcher Zertifikate kaufen?

Das geht nicht so einfach. Die Firmen haben prognostiziert, wie hoch der Energieverbrauch sein werde und wie viele Emissionen anfallen würden. Diese Mengen kompensierten sie durch den Kauf von erneuerbarer Energie. Jetzt verbrauchen alle mehr als vorausgesagt und können die Differenz nicht mehr kompensieren. Denn Erneuerbare-Energie-Zertifikate sind endlich. Sie entstehen nur, wenn neue Anlagen zur Produktion von erneuerbarem Strom gebaut werden. Die Firmen kaufen den Strom dieser Anlagen Jahre im Voraus. Irgendwann sind keine neuen Anlagen mehr auf dem Markt, für die man Zertifikate bekommt. Es ist traurig, aber nicht überraschend, dass die Ziele nicht erreicht werden.

Wäre es grundsätzlich möglich, den wachsenden Strombedarf von Rechenzentren mit erneuerbarem Strom abzudecken?

Das Problem mit erneuerbaren Energien und Rechenzentren ist, dass die Rechenzentren sehr viel Strom rund um die Uhr verbrauchen – und die Produktion von Erneuerbaren schwankt. Man könnte Rechenzentren vielleicht mit Wasserkraft versorgen, aber dafür ist sehr viel Wasser nötig. Rechenzentren und erneuerbare Energien passen nicht zusammen.

Könnte man die Nutzung von KI anpassen? Zum Beispiel ein aufwendiges KI-Modell dann trainieren, wenn erneuerbarer Strom verfügbar ist?

Das ist tatsächlich möglich. Man kann das Training zum Beispiel am Abend stoppen und am nächsten Tag fortsetzen. Oder man kann es über Rechenzentren an mehreren Standorten verteilen, so dass immer dort trainiert wird, wo gerade erneuerbarer Strom verfügbar ist. Aber das Training ist nicht der grosse Posten. Viel mehr verbraucht die Nutzung der KI-Modelle. Und die ist unvorhersehbar.

Was ist mit den modernen Atomreaktoren, die Tech-Firmen für ihre KI bauen wollen?

Die kleinen modularen Kernreaktoren werden nicht so schnell zugelassen und in Betrieb sein. Das wird noch Jahre dauern. Kurzfristig machbarer ist eine Lösung wie der Deal von Microsoft mit dem Betreiber des Atomkraftwerks Three Mile Island. Denn das ist eine existierende Anlage. Aber auch die wird nicht sofort ans Netz gehen, weil es mit gutem Grund Sicherheitsprotokolle gibt. Ich nehme den Firmen ab, dass sie von fossiler Energie wegkommen wollen. Aber es ist schwierig, kurzfristig eine geeignete Quelle zu finden.

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