Mittwoch, April 23

Wer Sport treibt, kann sich verletzen. Eine Sprechstunde beim Sportarzt gibt Aufschluss darüber, wie man Verletzungsgefahr erkennt, sich schützt – und in welchem Bereich Frauen anfälliger sind als Männer.

Herr Fröhlich, welche Sportverletzungen sind die häufigsten?

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Blessuren am Sprunggelenk, vor Knieverletzungen.

Und welche Sportarten verursachen am meisten Verletzungen?

Fussball. Gemäss der Suva-Statistik geschehen dort rund 20 Prozent aller Sportunfälle. 18 Prozent der Unfälle resultieren auf Ski oder auf dem Snowboard, 12 Prozent in anderen Ballsportarten wie Badminton, Tennis, Hand- oder Basketball.

Wer Fussball spielt, setzt sich also dem grössten Verletzungsrisiko aus.

Nein. Fussball wird von einer sehr grossen Anzahl Menschen das ganze Jahr über gespielt. Schneesport hingegen wird nur während weniger Monate im Jahr ausgeübt, und der durchschnittliche Fussballer geht seinem Sport deutlich mehr Stunden pro Jahr nach als der durchschnittliche Skifahrer. Allerdings sind die Verletzungen im Schneesport schwerwiegender: Die Suva beziffert die Durchschnittskosten im Fussball pro Unfall mit 3800 Franken, im Schneesport sind die Kosten mehr als doppelt so hoch.

Sport ist offenbar nicht nur teuer, sondern auch ungesund. Wäre Sport gesund, wären Sie als Sportarzt arbeitslos.

Kommt darauf an, von welcher Seite man auf den Sport schaut. Nur auf Verletzungen bezogen sind viele Sportarten ungesund, das stimmt. Die Idealvorstellung ist selbstverständlich, dass man Sport treibt ohne Unfall mit Verletzungsfolgen. Die Realität ist aber anders, deshalb geht uns die Arbeit nicht aus. Zur Realität gehört allerdings genauso die gesundheitswirksame Seite des Sports, also die Effekte auf innere Organe beispielsweise. In dieser Hinsicht ist Sporttreiben gesund und mindert auch die Kosten im Gesundheitswesen. So gesehen sollten Unfallversicherer keine Sportfreunde sein. Krankenkassen allerdings sehr wohl, weil Sport in Therapie und Prävention nützt und so auch die Kosten der Krankenkassen senkt.

Er berät Profi- und Freizeitsportler

PD

Stefan Fröhlich

ram. Stefan Fröhlich ist leitender Arzt der Abteilung Sportmedizin an der Schulthess-Klinik in Zürich. Seine Spezialgebiete sind Sportverletzungen und konservative Sporttraumatologie. Der Facharzt für orthopädische Chirurgie ist tätig für sportmedizinische Beratungen sowie Leistungs- und Eignungsabklärungen im Profi- und im Freizeitsport.

Zurück zum Sprunggelenk: Braucht dieses am meisten Aufmerksamkeit, weil es am verletzungsanfälligsten ist?

Nein. Die Häufigkeit einer Verletzung hat nichts zu tun mit der Schwere. Sprunggelenkverletzungen, also meistens Bänderverletzungen, heilen oft von selbst aus. Wenn Sie sich also überlegen, als Versicherung ein Präventionsprogramm auszuarbeiten, würden Sie sich eher an den Ursachen von komplizierten Verletzungen orientieren. Letztere sind teuer, weil sie etwa eine Operation nach sich ziehen, eine lange Therapie verursachen und Kosten beim Ausfall an der Arbeit generieren. Ein Beispiel wäre der Kreuzbandriss im Knie.

Wie kann man sich davor schützen?

Das gezielte Training der hinteren Oberschenkelmuskulatur ist ein Präventionsfaktor, weil diese Muskulatur mit dem vorderen Kreuzband zusammenspielt. In vielen Sportarten wird die vordere Oberschenkelmuskulatur deutlich besser trainiert, weil diese Muskulatur gegen die Schwerkraft arbeitet, etwa beim Skifahren. Im Hinblick auf einen Schutz vor Kreuzbandverletzungen ist vor allem die Kräftigung der hinteren Muskeln im Oberschenkel gefragt, der Hamstrings. Man versucht bereits bei Jugendlichen auf ein gutes Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Muskelgruppen zu achten, um vor Knieverletzungen zu schützen. Die Statistik zeigt auch, dass nach einem Kreuzbandriss die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es an beiden Knien zu einer weiteren Kreuzbandverletzung kommen kann.

Es heisst, Frauen seien anfälliger für Kreuzbandverletzungen. Stimmt das?

Ja. Warum das so ist, wird in der Forschung diskutiert. Es gibt Hinweise darauf, dass hormonelle Faktoren eine Rolle spielen. In bestimmten Phasen des Monatszyklus können Bänder verletzungsanfälliger sein. Auch biomechanische Faktoren haben einen Einfluss. Wenn Frauen hochspringen, neigen sie bei der Landung eher zu einer X-Bein-Stellung als Männer. Das ist ein Risikofaktor für eine Kreuzbandverletzung. Weil diese Bewegung unbewusst passiert, übt man bewusst die Landung mit gerader Beinhaltung, bis es irgendwann zum Automatismus wird, ähnlich wie das Gleichgewichthalten beim Velofahren: Wenn man es ausreichend übt, geht es irgendwann automatisch.

Kommen gewisse Blessuren bei Männern häufiger vor?

Ja, beispielsweise Achillessehnenrisse oder Muskelfaserrisse sind bei Männern deutlich häufiger.

Sind Männer wehleidiger als Frauen?

Das kann ich nicht mit Sicherheit beantworten. In meiner eigenen Erfahrung gibt es genauso wehleidige Frauen wie wehleidige Männer. Ich kenne auch keine eindeutigen Daten dazu und kann daher nicht sagen, ob es sich bei dieser These um einen Mythos handelt.

Gibt es alterstypische Verletzungen?

Je älter man wird, desto höher ist die Gefahr von Sehnenrissen. Das gilt vor allem, solange man explosive Stop-and-go-Sportarten ausübt wie Fussball, Badminton, Tennis und so weiter. Die Achillessehne ist im Alter besonders verletzungsanfällig, auch Sehnenrisse an der Rotatorenmanschette in der Schulter kommen bei erhöhtem Alter häufiger vor als bei Jüngeren.

Weshalb?

Stellen Sie sich ein Gummiband vor. Je älter es ist, desto spröder wird es. So ist es auch mit den Sehnen des Menschen.

Was kann man tun, damit Sehnen und Bänder elastisch bleiben?

Generell gilt: Gewöhnung an die Belastung. Kennen Sie den Begriff «weekend warrior»?

Bezeichnet man damit Leute, die einen Monat im Büro sitzen und dann am Sonntag einen Ironman absolvieren?

Sie übertreiben zwar, aber die Tendenz stimmt. Das häufigere Beispiel für den «weekend warrior» ist der frühere Fussballer, der sich drei Monate lang wenig bewegt hat und sich dann am Grümpelturnier übernimmt. Das ist ein typisches Beispiel für jemanden, der sich die Achillessehne reisst.

Weshalb?

Wird die Sehne regelmässig belastet, richten sich ihre Fasern schön parallel aus. Sehnen lassen sich in diesem Sinne trainieren. Auch hier ist das wichtigste Prinzip die Gewöhnung, damit die Struktur elastisch und widerstandsfähig bleibt. Man muss sich herantasten und sollte nicht nach einer langen Zeit ohne die entsprechende Gewöhnung an eine Belastung plötzlich etwas machen, was man letztmals vor drei Monaten oder noch länger nicht gemacht hat.

Was empfehlen Sie konkret, wenn ein Fünfzigjähriger nach zwanzig Jahren wieder Fussball spielen will?

Spielen Sie vor dem Grümpelturnier beispielsweise ein paar Mal mit Kindern Fussball. Und machen Sie auch andere Sportarten, bei denen sie auch rennen und Richtungswechsel machen müssen. Generell gilt: Man soll sich gemächlich an den Sport herantasten. Zur Verbesserung der Stabilisierungsfähigkeit sind zum Beispiel Übungen auf instabiler Standfläche empfehlenswert. Sie fördern auch das Gleichgewicht. Dabei werden viele kleine Muskeln und Bänder trainiert, die etwa vor dem Umknicken des Fusses oder vor dem Verdrehen des Knies schützen. Das kann auch beim Joggen schützen, wenn man stolpert. Wie früher bei der Skigymnastik im Fernsehen. Man sollte als Vorbereitung zu Hause die Bewegungen und Belastungen üben, die man auf Ski ausführt.

Beim Sporttreiben oder oft auch danach kann es rasch einmal irgendwo zwicken oder stechen. Wann muss man zum Arzt?

Solange sich der Alltag wie gewohnt bewältigen lässt, kann man abwarten, ob die Beschwerden verschwinden. Ausbleibende Besserung nach zwei, drei Tagen Schonung ist ein Indiz dafür, dass man eine ärztliche Abklärung vornehmen lassen sollte. Wer umknickt und danach noch flüssig gehen kann, kann meist erst einmal abwarten, ob beispielsweise die Schwellung am Knöchel verschwindet. Wer beispielsweise bei einer Schulterverletzung den Arm nicht mehr über Kopf heben oder nicht mehr schlafen kann, sollte dies abklären lassen.

Problemzone Rücken: Wann sollte man zur Abklärung?

Wenn keine Fremdeinwirkung wie ein Schlag oder Zusammenstoss stattgefunden hat, gilt Folgendes: Rückenschmerzen im Sinne eines Hexenschusses können auch spontan wieder verschwinden. Wenn der Schmerz aber unerträglich ist, in die Beine ausstrahlt oder es gar zu Gefühlsstörungen oder Lähmungen der Muskulatur kommt, sollte man zum Arzt.

Kommen die Leute eher zu früh oder zu spät zu Ihnen?

Es ist etwa gleich häufig, dass ich bei einem Patienten sage oder denke: Mit diesen Beschwerden hätten Sie noch ein paar Tage zu Hause bleiben können. Oder andersherum: Erstaunlich, dass Sie es damit zwei Wochen lang ohne Abklärung ausgehalten haben.

Verraten Sie ein Beispiel?

Ich hatte einen Profisportler, der noch erfolgreich Wettkämpfe absolvierte, nachdem er sich das Kreuzband gerissen hatte. Der Patient wollte es nach der Diagnose zuerst gar nicht glauben, dass sein Kreuzband gerissen war. Andere können mit dieser Verletzung kaum noch gehen. In Erinnerung geblieben ist mir auch eine Sportlerin mit offener Fingerluxation. Das ist eine Ausrenkung eines Fingerknochens, bei der der Knochen durch eine Durchspiessung der Haut in der Wunde sichtbar ist. Am Tag nach der Operation wollte sie wieder auf Leistungssportniveau trainieren.

Zurück zum Hobby- und Freizeitsport: Es gibt die verbreitete Ansicht, dass Schmerzen beim Sporttreiben eine Schwelle bilden, die es zu überwinden gilt. Stimmt das?

«No pain, no gain», heisst es auch. In Bezug auf den gesundheitsorientierten Freizeitsport ist es sicher falsch, dass es weh tun muss. Im Ausdauerbereich wie etwa beim Joggen sollte man sanft anfangen, Schmerzen sind dann eher ein Zeichen für Ermüdung oder im schlimmeren Fall ein Warnsignal für eine drohende Verletzung. Ein harmloser Fall von Schmerzen im Sport ist der Muskelkater.

Worin liegt der Unterschied zwischen einem Muskelkater und einer Ermüdung?

Nach einer ungewohnten oder besonders intensiven Belastung ist Muskelkater ein Ausdruck von Mikroverletzungen am Muskel. Diese Mikroverletzungen führen nicht zu langfristigen Schäden. Es ist eine Anpassungsreaktion, die sich nach einer Weile abschwächt. Wenn man sich beim nächsten Mal mit gleicher Belastung bewegt, verringert sich der Muskelkater und verschwindet vielleicht schon beim übernächsten Mal. Eine Ermüdung ist lediglich ein Zeichen der Muskeln, dass man an eine Belastungsgrenze stösst. Diese spürt man während der Belastung, den Muskelkater erst im Anschluss mit einer gewissen Latenz.

Kann man spüren, wenn man sich von einer Ermüdung in den Muskelkater bewegt?

Das Fiese am Muskelkater ist ja, dass er sich im Gegensatz zur Ermüdung erst einige Stunden nach dem Sport meldet. Man kann nur mit Übung und Erfahrung herausfinden, ob man einen Muskelkater einfangen wird während der sportlichen Tätigkeit.

Was ist ein Ermüdungsbruch? Und wie merkt man, dass man Gefahr läuft, einen solchen zu erleiden?

Ermüdungsbrüche sind die Folge von feinen Knochenrissen. Zunehmendes Alter erhöht das Risiko wegen der Abnahme der Knochenqualität, Untergewicht ist ebenfalls ein Risikofaktor. Am häufigsten erleiden Ausdauersportler Ermüdungsbrüche, fast immer sind die unteren Extremitäten betroffen. Wenn sich Knochenschmerzen bei zunehmender Sportdauer verstärken und nach der Belastung wieder abklingen, ist das ein Warnsignal. Macht man nach einer Pause bei der nächsten Belastung die gleiche Erfahrung, empfiehlt sich eine Abklärung. Ermüdungsbrüche treten meistens bei Mittelfussknochen, beim Waden- und Schienbein auf, aber auch am Oberschenkel.

Sehen Sie oft fahrlässige Verletzungen, die auf falsche Ernährung, mangelhafte Ausrüstung oder auf eine ungeeignete Wahl der Sportart zurückzuführen sind?

Das passiert eher selten. Ich weiss aber auch nicht, ob mir ein Patient in einem solchen Fall alles erzählt. Ich muss diesbezüglich sehr selten erzieherisch eingreifen.

Müssen Sie die Patienten eher zügeln oder antreiben, nach der Behandlung wieder Sport zu treiben?

Man muss deutlich häufiger bremsen. Es ist bei Sportlern relativ einfach zu vermitteln, dass der Patient für die Rehabilitation eine gewisse Eigenleistung erbringen soll mit Physiotherapie oder im Kraftraum. Dass man sich aber vor allem Zeit geben und sich in Geduld üben muss, ist in dieser Personengruppe nach einer Verletzung meistens der schwierigere Teil.

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