Montag, November 17

Um die liberale Mitte in Frankreich ist es schlecht bestellt. Die einst erfolgreiche Präsidentenpartei Renaissance könnte bald verschwinden. Sie war sowieso eine Mogelpackung.

Am vergangenen Sonntag feierten Christen aus aller Welt zum ersten Mal seit dem Brand vor fünfeinhalb Jahren eine Messe in der «wiederauferstandenen» Notre-Dame. Gott lasse die Seinen nie allein, sagte der Erzbischof Laurent Ulrich in seiner Predigt. Fast unbemerkt fand zur gleichen Zeit ein Kongress der Präsidentenpartei Renaissance statt. Rund 300 Männer und Frauen hatten sich in Paris eingefunden. Ihr Übervater erschien allerdings nicht: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sass mit seiner Frau Brigitte im Gottesdienst in der ersten Reihe.

Die Glaubenszweifel der Macronisten

Alle Augen waren deswegen auf die Notre-Dame gerichtet, während die «Partei der Wiedergeburt» – geschwächt durch die Glaubenszweifel ihrer Mitglieder – abseits der Fernsehkameras einen neuen Vorsitzenden wählte. Der ehemalige Innenminister Gérald Darmanin glänzte durch Abwesenheit. Der frühere Finanzminister Bruno Le Maire kam zu spät. Mehrere Abgeordnete der macronistischen Bewegung liessen ihren Stuhl frei.

Lange vorbei sind die Zeiten, in denen die Bürgerplattform und Wahlmaschine En Marche, aus der später die Partei La République en marche erwuchs, Frankreich elektrisierte. Über 400 000 Mitglieder zählte sie 2017, als Macron die Präsidentschaft gewann und seine Partei bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit holte. Gerade einmal 8500 sollen es heute noch sein. Renaissance, wie die Partei seit 2022 heisst, ist keine aufregende politische Kraft mehr. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Gabriel Attal, der neue Vorsitzende, präsentierte trotzdem ambitionierte Pläne. «Generalstände» der Basis werde es geben, um «neue Richtungen, starke Linien und klare Werte» festzulegen, sagte er. Einen neuen «grossen Marsch» wolle man auch organisieren; so wie einst, als Aktivisten durch das Land zogen, um die Bürger über ihre Sorgen zu befragen. «Wir werden nie eine Partei wie die anderen sein!», versprach Attal, der mit 95 Prozent, ohne Gegenkandidaten, zum Anführer gewählt wurde.

Der 35-jährige ehemalige Premierminister soll es also richten. Er, der im Januar von Macron zum Regierungschef ernannt wurde und bereits sechs Monate später zurücktrat, soll die angeschlagene Präsidentenpartei retten. Sie verfügt als Teil eines grösseren zentristischen Bündnisses zwar noch über 99 Sitze in der Nationalversammlung. Aber der Präsident ist so unbeliebt wie noch nie. Mehr als 60 Prozent der Franzosen fordern seinen Rücktritt. Das färbt auf die Partei ab. Sie könnte zusammen mit Macron untergehen, fürchten viele.

Attals heikle Mission: Er muss sich von seinem Ziehvater distanzieren, ohne mit ihm zu brechen, solange dieser noch an der Macht ist. Dass aber gerade Attal ein Macronist der ersten Stunde ist, ein «Baby-Macron», wie Spötter sagen, macht die Sache nicht leichter. Der smarte, telegene Sciences-Po-Absolvent steht immer noch da wie ein treuer, politisch anpassungsfähiger Soldat des Präsidenten. Er entscheide jeden Morgen neu, welche Überzeugungen ihm an diesem Tag nützten, lästert ein Insider.

Wohin soll diese Partei steuern? Renaissance kommt in Frankreich wohl dem am nächsten, was man in anderen Ländern als liberal bezeichnen könnte, da Macron immerhin einige markt- und gesellschaftsliberale Reformen anstiess, allerdings auf staatliche Kontrolle und Dirigismus auch nicht verzichten wollte. Weder links noch rechts hiess seine technokratisch gedachte Devise, die in der Praxis darauf hinauslief, bald so, bald so zu regieren.

Attal erklärte nun, dass Renaissance eine «Partei der Ökologie, der Autorität, der Schule, der Gleichstellung von Frauen und Männern und Europas», aber auch Frankreichs künftige «Partei der Arbeit und der Arbeiter» sein werde. Das war erschreckend beliebig, wohl aber auch bezeichnend für den Zustand einer Partei, die am Ende eben doch nicht mehr zu sein scheint als das Karriere-Instrument eines Präsidenten.

Vormarsch von Mélenchon und Le Pen erleichtert

Frankreichs Mitte ist stark geschrumpft, das ist das paradoxe Verdienst Macrons, der Politiker von links und rechts der Mitte zu vereinen suchte. Er holte Sozialdemokraten und Konservative in seine Bewegung und schwächte damit die früheren Volksparteien. Funktioniert hat das aber nicht.

Gewachsen sind die politischen Ränder. Das Land ist zugleich nicht nur zwischen populistischen Linken und Rechten, sondern auch zwischen Arm und Reich, «Modernen» und Traditionellen, einem Frankreich der urbanen Eliten und einem der ländlichen Peripherie gespalten. Macron, der durch seine quasi-monarchische Stellung gegenüber Parlament und Regierung immer selbstherrlicher auftrat, hat diese Gegensätze noch verschärft und so den extremen Parteien um Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon den Vormarsch erleichtert.

In dieser Lage wäre Frankreich eine starke Partei der liberalen Mitte dringend zu wünschen. Doch vieles deutet darauf hin, dass Macron ein ganz anderes Vermächtnis hinterlassen wird – eine politische Krise, die die Mitte zerreisst und den Polparteien in die Hände spielt.

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