Im Gespräch erzählt Mahmud Moradkhani, wie nahe er dem iranischen Machthaber stand und weshalb er ihn nun seit über 40 Jahren bekämpft.

Das Telefon klingelt fast pausenlos bei Mahmud Moradkhani. Der Arzt und Neffe von Ayatollah Khamenei lebt seit vielen Jahren im Pariser Exil und engagiert sich von da aus im Widerstand gegen das Mullah-Regime. Seine Mutter, die Schwester des Machthabers, ist in Iran geblieben. Auch sie ist Teil der Opposition, als enges Familienmitglied Khameneis ist sie vor der Repression des Staates geschützt. Seit dem Start der Angriffe Israels auf Iran ist Mahmud Moradkhani ein gefragter Mann. Der von ihm langersehnte Sturz der Islamischen Republik könnte kurz bevorstehen.

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Herr Moradkhani, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie am Freitag von den Angriffen Israels erfahren haben?

Ich bedauerte, dass es so weit gekommen ist. Seit über 40 Jahren kämpfe ich gegen dieses Regime und habe immer gehofft, dass der Umsturz mit anderen Mitteln als mit Krieg gelingt. Wir arbeiteten darauf hin, eine politische Kraft und ein Programm zu schaffen, das den Menschen Hoffnung gibt, so dass es irgendwann zu einem Aufstand des Volkes kommt, zu einer demokratischen Revolution. Der erste Gedanke nach dem israelischen Angriff war: Wir haben unser Ziel nicht erreicht, wir haben versagt.

Nun kommt immerhin etwas in Bewegung.

Jetzt sehen wir vor allem Zerstörung. Wenn die Bombardierungen nur das Regime treffen würden, so wäre das ja nicht schlimm. Aber es gibt viele zivile Tote, die Infrastruktur wird stark beschädigt. Trotzdem hoffe ich, dass die Israeli die Sache nun bis zum Letzten durchziehen. Das Regime muss gestürzt werden, die Islamische Republik verschwinden. Sollte das Regime diese Angriffe auf irgendeine Weise überstehen, wird Ali Khamenei auf gnadenlose Weise Rache nehmen. Die Vergeltung gegen das Volk wird brutal sein. Wir haben das schon einmal erlebt.

Wann?

Als der Krieg zwischen Iran und Irak mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands am 20. August 1988 endete, befahl Ruhollah Khomeini, also der Vorgänger Khameneis, die Hinrichtung Tausender Gefangener in Iran. Ich befürchte, dass wieder dasselbe passiert, sollte das Regime überleben. Man wird den Leuten vorwerfen, sie hätten dieses oder jenes Video verbreitet, sie seien auf die Strasse gegangen und hätten irgendwelche Parolen von sich gegeben. Vor zwei Tagen wurde bereits jemand hingerichtet, von dem behauptet wurde, er sei ein Spion für Israel.

Man hört aus Iran, die Rachefeldzüge hätten längst begonnen, es seien schon zahlreiche Leute wegen angeblicher Kollaboration mit Israel exekutiert worden.

Das Problem ist, dass Israel völlig überraschend angegriffen hat, ohne jegliche Vorwarnung. Danach rief Israel die Bevölkerung zwar auf, Teheran zu verlassen. Aber man kann nicht gleichzeitig vor Bomben fliehen und einen Aufstand gegen das Regime durchführen.

Ihre Mutter, die Schwester von Ali Khamenei, ist noch in Iran. Haben Sie Kontakt mit ihr?

Seit Montag nicht mehr, die Regierung hat das Internet abgeschaltet. Ob das Telefon noch funktioniert, weiss ich nicht, ich habe es nicht ausprobiert.

Was hat sie gesagt, als Sie sie das letzte Mal erreicht haben?

Sie ist wie viele Menschen voller Hoffnung, dass die Angriffe diesem Regime ein Ende setzen. Es wäre höchste Zeit. Unsere Familie kämpft seit dem ersten Tag gegen die Islamische Republik, also seit 45 Jahren. Ein Sturz des Regimes wäre für uns alle eine grosse Erleichterung.

Als enges Familienmitglied des Machthabers war Ihre Mutter bisher vor der staatlichen Repression geschützt. Ihre Schwester allerdings wurde vor drei Jahren festgenommen, nachdem sie sich in einer Videobotschaft gegen das Regime ausgesprochen hatte. Wie geht es ihr?

Sie wurde einige Monate nach der Festnahme auf Bewährung freigelassen. Das machen sie oft so, meistens geben sie für die Freilassung medizinische Gründe an. So war das auch bei meiner Schwester, die eine kleine Operation machen musste. Aber sie haben ihr gedroht, dass sie sofort zurück ins Gefängnis kommt, sollte sie sich wieder so äussern. Mit solchen Methoden schüchtert das Regime die Menschen ein: Man nimmt sie fest, behält sie ein paar Monate und lässt sie unter strengen Bedingungen frei. Sie dürfen dann auch nicht mehr reisen, nicht einmal mehr innerhalb des Landes, sondern müssen in Teheran bleiben.

Hat sich Ihre Schwester daran gehalten?

Ja, sie hat sich nie mehr politisch geäussert. Was bleibt ihr anderes übrig?

Als Kind und Jugendlicher standen Sie Ihrem Onkel Ali Khamenei sehr nahe. Was denken Sie, was geht jetzt in seinem Kopf vor, da seine Macht gefährdet ist?

Dasselbe wie bei allen Diktatoren in ihren letzten Tagen, bei Nicolae Ceausescu, Saddam Hussein oder Adolf Hitler. Sie glauben weiterhin ihren eigenen Lügen und sind fest überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Ihr Gehirn ist völlig deformiert, sie können ihre Meinung nicht mehr ändern. Das ist wie in einer Sekte. Diese Menschen können nicht mehr anders denken.

Wenn also Donald Trump Khamenei zur Kapitulation aufruft, so ist das hoffnungslos?

Ja, eine Kapitulation ist für solche Menschen keine Option. Schon der Gedanke daran ist unmöglich. Alles bei diesen Potentaten ist völlig festgefahren. Es kam in der Geschichte auch noch nie vor, dass sich ein Diktator entschuldigt hat. Psychopathen haben keine Gefühle.

Als Sie ein Kind waren, war Ali Khamenei Ihr Lieblingsonkel. Wie kann sich ein liebenswürdiger Mensch so ändern und zum ruchlosen Mörder werden?

Das mit dem Lieblingsonkel ist sehr lange her. Vor der Revolution 1979 war das so, danach nicht mehr. Zeit verändert die Menschen. Das gilt insbesondere, wenn man in eine Position kommt wie Ali Khamenei. Wenn du ununterbrochen lügst, so macht das etwas mit dir. Hitler glaubte nicht an eine Niederlage, auch dann nicht, als die Lage für die Deutschen längst hoffnungslos war. Ich bin ja Arzt, deshalb weiss ich: Die neuronalen Strukturen im Hirn entwickeln sich mit der Zeit. Und es wird sehr schwierig, sie wieder zu ändern, wenn sie sich in eine bestimmte Richtung modifiziert und fixiert haben.

Sie haben Ali Khamenei zum letzten mal 1985 getroffen, damals waren Sie 22 Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Unsere Familie wollte über die Türkei in den Irak reisen zu meinem Vater, der ein Jahr zuvor aus Protest gegen den Irak-Krieg dorthin gereist war. Wir hatten aber keine Ausreisegenehmigung. Also fuhr ich mit meiner Mutter zu Khamenei, der damals Staatspräsident war. Er verweigerte uns die Ausreise mit Verweis auf Parlamentspräsident Rafsandschani, der dagegen sei. Es war ein sehr formelles Treffen, sehr kühl, nicht besonders angenehm. Zwei Monate später reisten wir heimlich trotzdem aus. Das war mein letzter Kontakt mit ihm. Zuvor kann ich mich vor allem noch daran erinnern, wie ich ihn kurz nach der Revolution 1979 bei seinem ersten Gang ins Verteidigungsministerium begleiten durfte, er war von Khomeini geschickt worden. Ich war damals 16 Jahre alt. Es ist die einzige Erinnerung, die ich von der Revolution habe.

Hat auch Ihre Mutter den Kontakt abgebrochen?

Sie hat die Beziehung bis 2009 lose aufrechterhalten. 2009, nach der Wahl von Mahmud Ahmadinejad, kam es landesweit zu Protesten durch die sogenannte Grüne Bewegung. Bis zu jenem Zeitpunkt hielt Khamenei Kontakt zur Familie, ging auch mindestens einmal pro Jahr zu Familienfesten. Danach reagierte er nicht mehr auf die Einladungen.

Sollte die Regierung stürzen, wird Khamenei das nicht überleben. Belastet Sie das? Schliesslich ist er trotz allem noch Ihr Onkel.

Es ist doch völlig egal, dass er mein Onkel ist! Stellen Sie sich vor, Hitler wäre Ihr Onkel. Sie würden ihn töten wollen, oder? Ich würde das auch dann tun, wenn er mein Vater wäre. Da sind keinerlei Gefühle involviert. Das wäre wohl anders, wenn ich sein Gedankengut teilte. Ich bin aber nicht so wie er, deshalb bin ich auch nicht traurig, wenn er stirbt. Im Gegenteil. Das ist doch normal.

Vor drei Jahren, als in Iran die «Frau, Leben, Freiheit»-Proteste auf dem Höhepunkt waren, glaubten Sie, dass das Regime kurz vor dem Ende steht.

Das war meine Hoffnung. Die Bewegung entwickelte sich aber in die falsche Richtung. Alles drehte sich nur noch um strukturelle und gesellschaftliche Themen, nicht um politische. Das konnte nicht gutgehen. Man sprach nur noch über die Rechte der Frauen statt darüber, wie man das Regime stürzen kann und was danach folgt. Langjährige Kämpfer wie mich hat man ausgeschlossen. Wir können dieses Regime nicht mit Kultur bekämpfen, indem wir Gedichte schreiben, Tänze aufführen und andere solche Dinge tun. Das reicht nicht. Es hat ein klarer Plan gefehlt, ein politisches Programm. Und es standen keine Persönlichkeiten bereit, die nach einem Machtwechsel die Verantwortung hätten übernehmen können. Ohne das lässt sich das Volk nicht für einen Aufstand mobilisieren. Niemand wusste, was nach einem Sturz der Regierung passiert wäre, wie das Land in eine Demokratie hätte überführt werden können. Das ist übrigens auch jetzt das Problem.

Was denken Sie: Was geschieht, wenn das Regime in den nächsten Tagen oder Wochen fällt?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Es könnte zu anarchischen Zuständen kommen, zu einem Krieg zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen oder den politischen Lagern. Das beste Szenario wäre, wenn die Oppositionellen, die im Gefängnis sitzen, freikämen und direkt die Macht übernehmen könnten. Wir haben genügend Leute in den Gefängnissen, die die politische Legitimität hätten. Das wäre viel besser, als wenn Leute von aussen kämen, die lange im Exil waren. Es besteht allerdings die Gefahr, dass das Regime vor dem Untergang die politischen Gefangenen noch umbringt. Die Gefängnistüren müssten sich schnell öffnen.

Wagen Sie eine Prognose: Wie lange wird sich das Regime noch halten können?

Das kann ich nicht. Ich bin kein Analyst, sondern nur Beobachter. Und auch bei den Analysten hat sich gezeigt, dass sie mit ihren Voraussagen oft falsch liegen.

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