Dienstag, Oktober 8

Die Hochgeschwindigkeitszüge sind Italiens Nationalstolz. Doch ihre Zuverlässigkeit nimmt ab, kürzlich ist wegen einer Panne in Rom das ganze Netz zusammengebrochen. Die Probleme entstehen auch durch den Druck, europäisches Geld schnell auszugeben.

«Beruhigt euch, es war ein Nagel!» Mit diesen Worten versuchte Verkehrsminister Matteo Salvini am letzten Mittwoch die Journalisten zu besänftigen, die ihn nach dem Zusammenbruch des italienischen Zugverkehrs mit Fragen bedrängten. Am frühen Vormittag, mitten im Pendlerverkehr, hatte eine Panne die Bahnhöfe Roma Termini und Roma Tiburtina lahmgelegt. Die Folge waren Verspätungen von bis zu vier Stunden im ganzen Bahnnetz.

Auch bei der Eisenbahn führen in Italien alle Wege nach oder durch Rom. Bricht hier der Verkehr zusammen, geht nichts mehr. «Traffico in Tilt», titelten die Medien, Übersetzung unnötig.

Ein Nagel also, eingeschlagen am falschen Ort, nämlich in einem Kabelstrang, der offenbar von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren der IT-Systeme in den beiden erwähnten Römer Bahnhöfen ist; ein Fehler, verursacht durch einen einzelnen Mitarbeiter eines Subunternehmens, das im Auftrag der Bahn Wartungsarbeiten durchführte. Die Abklärungen laufen, die Firma hat den Auftrag bis auf weiteres verloren.

Salvini hat Wichtigeres zu tun

Salvini hat unterdessen wieder Wichtigeres zu tun. Am Sonntag hat er an einer Parteiveranstaltung seiner Lega in Norditalien zusammen mit Viktor Orban und Geert Wilders die «heilige Allianz der europäischen Völker» verkündet.

Mag sein, dass Salvinis Version mit dem Nagel zutrifft. Und doch ärgern sich viele Italiener über die Nonchalance, mit der der Vizeregierungschef über die Probleme bei der Bahn hinweggeht. Seit geraumer Zeit ist dort nämlich nichts mehr so, wie es sein sollte. Die Meldungen über Verspätungen, Zugsausfälle und andere Pannen häufen sich. Mitten im Sommerreiseverkehr verzögerten sich die Fahrten auf der Nord-Süd-Achse wegen Arbeiten an der Infrastruktur um eine Stunde und mehr.

Noch sind in Italien keine deutschen Verhältnisse eingekehrt. Aber wer zu einem bestimmten Zeitpunkt eine geschäftliche Verabredung hat, plant längere Anreisezeiten ein. Das war vor nicht allzu langer Zeit anders. Die Alta velocità (AV), Italiens Hochgeschwindigkeitsnetz, war zuverlässig, die Züge verkehrten pünktlich zwischen den grossen Zentren. Mit bis zu 300 Sachen brachten die Frecciarossa und der Italo, die beiden Unternehmen, die auf diesem Netz operieren, die Passagiere pünktlich und sicher an ihren Bestimmungsort. Auf der Paradestrecke zwischen Rom und Mailand hat die Eisenbahn dem Flugverkehr den Schneid abgekauft.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, eine der wenigen italienischen der letzten Jahrzehnte, und die Italiener waren zu Recht stolz darauf – auch, weil sie als erstes Land 2012 in Europa das Hochgeschwindigkeitsnetz liberalisiert hatten. Seither verkehren mehr Züge, die Preise sind stark gefallen. Die Frecciarossa der Staatsbahn operiert mittlerweile auch in anderen europäischen Ländern.

Netze nicht getrennt

Dass es nun hapert, hat mehrere Gründe. Der wesentliche besteht nach Meinung von Bahnexperten darin, dass das Hochgeschwindigkeits- und das übrige Bahnnetz nicht überall voneinander getrennt sind. Die AV-Züge halten – mit ein paar Ausnahmen, etwa in Bologna – in denselben Bahnhöfen wie die Züge des Regionalverkehrs. Das kann rasch zu Verstopfungen führen wie letzte Woche im Knotenpunkt Rom. Die Entflechtung der Netze läuft, benötigt aber viel Zeit und grosse Investitionen. Ein nächster Befreiungsschlag soll in den nächsten drei bis vier Jahren die Eröffnung des neuen Florentiner Bahnhofs Belfiore sein, der derzeit eigens für die AV-Züge gebaut wird.

Ein anderes Problem sind aber just diese Investitionen. Um den Bahnverkehr auszubauen und die Infrastruktur zu verbessern, erhält das Land derzeit viele Milliarden aus dem EU-Wiederaufbautopf. Dieses Geld muss bis 2026 ausgegeben sein – was teilweise zu operativer Hektik und mangelnder Sorgfalt auf den vielen derzeit offenen Baustellen führt, Pannen und Hinterzimmerabsprachen bei der Vergabe von Aufträgen inklusive. Mit einem besseren Management könnte hier Abhilfe geschaffen werden.

Der Verkehrsökonom Andrea Giuricin geht indessen weiter. Er fordert eine rasche Privatisierung der staatlichen Bahngesellschaft FS. Italien bleibe dank der Liberalisierung im Hochgeschwindigkeitsbereich ein «internationaler Massstab». Die Resultate seien ermutigend. Diesen Weg gelte es nun zu beschleunigen. Eine rasche Öffnung des Sektors sei der beste Weg für Effizienz und ein höheres Verantwortungsbewusstsein.

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